Hinz&Kunzt 300 Februar 2018
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Stadtgespräch<br />
Was kann man tun, damit sich Hamburg<br />
fair verhält und nicht ausgerechnet<br />
das Winternotprogramm als Hebel dient,<br />
um Menschen auszusortieren?<br />
Man muss zur Ehrenrettung sagen:<br />
Hamburg ist sicher im Vergleich zu anderen<br />
größeren Städten in Deutschland<br />
schon sehr engagiert und teilweise<br />
vorbildlich.<br />
Aber die neue Politik, speziell Rumänen<br />
und Bulgaren herauszufischen,<br />
die ist auch unter dem Gesichtspunkt<br />
der Gleichbehandlung fragwürdig.<br />
Schließlich haben wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit.<br />
Die Menschen haben<br />
das Recht zu kommen.<br />
Gibt es denn so viele arme Zuwanderer aus<br />
Rumänien?<br />
Zahlenmäßig nicht. Im Gegenteil. Die<br />
ganze Diskussion ist ein Stück weit unberechtigt.<br />
Deutschland und Hamburg<br />
profitieren extrem von der Freizügigkeit.<br />
Und der größte Teil der Rumänen<br />
zahlt Sozialabgaben in die Kassen ein.<br />
Nur ein geringer Teil der Rumänen bekommt<br />
Sozialleistungen, wenige sind<br />
die klassischen Hartz-IV-Empfänger.<br />
„Schmarotzer<br />
habe ich nicht<br />
kennengelernt.“<br />
Die meisten Rumänen, die hier obdachlos<br />
sind und die wir kennen, haben ja sowieso<br />
kein Anrecht auf Sozialleistungen, es sei<br />
denn, sie haben gearbeitet.<br />
Ich kenne so viele Rumänen hier! Fast<br />
nur solche, die zum Arbeiten hierherkommen.<br />
Die meisten sind bereit, dafür<br />
Höllenjobs zu machen und unter den<br />
ärmsten Bedingungen zu leben.<br />
Schmarotzer habe ich in meiner<br />
sechsjährigen Laufbahn als Konsul<br />
nicht ken nengelernt.<br />
Ein Problem ist ja, dass der rumänische<br />
Staat bislang Menschen in Not nicht<br />
hinreichend unterstützt hat. Gibt es Grund<br />
zur Hoffnung, dass sich das ändert?<br />
Rumänien zeigt ein zwiegespaltenes<br />
Gesicht. Es ist derzeit wieder das Land<br />
mit der höchsten Wachstumsrate in Europa.<br />
Das war Rumänien schon mal bis<br />
zur Finanzkrise 2008. In der Zwischenzeit<br />
sind Zehntausende ausgewandert.<br />
Und wer bleibt zurück? Die Alten und<br />
die Schwachen. Das kann so nicht<br />
weitergehen.<br />
Zehntausende sind aus Rumänien<br />
abgewandert, gut Ausgebildete wie Arme.<br />
Klaus Rainer Kirchhoff würde gerne diesen<br />
Braindrain beenden: „Ich möchte nicht auf<br />
einer Insel der Glückseligen leben, wenn<br />
um mich herum Europa verkommt.“<br />
Immerhin hat die Regierung erkannt,<br />
dass sie den Sozialstaat stärken muss.<br />
Deutschland ist ja auch wegen seines<br />
Sozialstaates groß geworden, nicht etwa<br />
trotz des Sozialstaates. Wir müssen mit<br />
Ländern wie Rumänien und Bulgarien<br />
Geduld haben. Aber ich bin hoffnungsvoll,<br />
dass sich etwas tut.<br />
Auch für die Armen?<br />
Viele Rumänen, die in Hamburg auf<br />
der Straße landen, kommen aus ländlichen<br />
Regionen in Rumänien – mit hoher<br />
Arbeitslosigkeit und wenig Perspektive.<br />
Wir haben andere Regionen, wo<br />
Arbeitskräfte gesucht werden. Mittlerweile<br />
gibt es von der rumänischen Regierung<br />
ein Programm, Leute aus unterentwickelten<br />
Regionen in Regionen<br />
überzusiedeln, wo Arbeitskräfte gesucht<br />
werden. Es wird aber noch einige Zeit<br />
dauern, bis das greift.<br />
Haben Sie noch andere Ideen, was man tun<br />
könnte, um den Menschen zu helfen?<br />
Deutschland und Rumänien müssten<br />
stärker zusammenarbeiten. Man könnte<br />
eine Akademie gründen, auf der man<br />
junge Leute dort und hier ausbildet. Damit<br />
sie in Deutschland und Rumänien<br />
arbeiten können. Beispielsweise in der<br />
Pflege. Es muss sich einfach etwas ändern,<br />
damit der Braindrain nicht anhält.<br />
Ich möchte nicht auf der Insel der<br />
Glückseligen hier in Deutschland leben,<br />
wenn um mich herum Europa verkommt.<br />
Und wenn sich die Verhältnisse<br />
in Rumänien ändern, gehen auch viele<br />
in ihre Heimat zurück. •<br />
Kontakt: birgit.mueller@hinzundkunzt.de<br />
Klaus Rainer Kirchhoff, Behördenvertreter<br />
und Experten diskutieren<br />
am 6. <strong>Februar</strong> ab 17.30 Uhr in<br />
der Reihe „Hamburg! Gerechte Stadt“<br />
über Armut und Arbeitnehmer -<br />
f rei zügigkeit in der EU.<br />
Ort: Haus der kirchlichen Dienste,<br />
Danziger Straße 64. Eintritt frei.