Hinz&Kunzt 300 Februar 2018
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Stadtgespräch<br />
Deniz Yücel hat die deutsche und die<br />
türkische Staatsbürgerschaft.<br />
Als Türkei-Korrespondent war er ein gern<br />
gesehener Gast in deutschen Talkshows.<br />
An einem Abend Ende Juli 2016 saßen Deniz<br />
und ich zusammen in seiner Istanbuler Wohnung.<br />
Wir tippten eifrig Texte in unsere Computer<br />
und unterhielten uns nebenbei. Es waren<br />
hektische Zeiten. Der Putschversuch lag<br />
nur zwei Wochen zurück und die „Säuberungsaktionen“, mit<br />
denen das Erdo an-Regime auf den versuchten Staatsstreich<br />
reagierte, waren in vollem Gange. Tausende Staatsbeamte<br />
und Oppositionelle waren entlassen oder verhaftet worden.<br />
Ein paar Tage zuvor war der Ausnahmezustand in Kraft getreten,<br />
der es Erdo an noch einfacher machen sollte, Kritiker<br />
hinter Gitter zu bringen. Es sah nicht gut aus für die Türkei.<br />
Deniz war dennoch optimistisch und ich ließ mich von<br />
ihm anstecken. Wir sprachen darüber, wie sich die in den Tagen<br />
nach dem Putschversuch so gedrückte Stimmung langsam<br />
wieder zu normalisieren schien, wie schwer die Menschen<br />
in der Türkei sich einschüchtern ließen und dass<br />
vielleicht ja doch nicht alles den Bach runtergehen würde.<br />
Kurz darauf schrieb Deniz einen Text dazu für seine Zeitung.<br />
Er plädierte gegen zu viel Schwarzmalerei und argumentierte<br />
mit Hinweis auf Erdo ans Pragmatismus und die Ausdauer<br />
des säkular-urbanen Milieus, dass vielleicht ja doch alles gut<br />
oder zumindest nicht schlechter werden würde. Viele Leser<br />
kritisierten, dass so viel Optimismus in so schweren Zeiten<br />
fehl am Platz sei.<br />
Seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Dilek habe<br />
ihm damals vorgeworfen, die Dinge zu rosig zu sehen, weil er<br />
so in sie verliebt sei, sagte Deniz in einem taz-Interview, das er<br />
im vergangenen November aus dem Gefängnis gab.<br />
Über den Ernst der Lage war Deniz sich aber selbstverständlich<br />
bewusst. Neben ein, zwei vorsichtig optimistischen<br />
Kommentaren erschienen von ihm in jenen Monaten ja auch<br />
unzählige brisante, gewissenhaft recherchierte, beunruhigende<br />
Artikel über die Entwicklungen im Land. Er schrieb über<br />
die nicht enden wollende Verhaftungswelle gegen Oppositionelle<br />
und Journalisten, über den immer wieder aufflammenden<br />
Terror, über die zunehmend totalitären Tendenzen des<br />
Erdo an-Regimes. Er verlor dabei bloß nicht den Blick dafür,<br />
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