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Hinz&Kunzt 300 Februar 2018

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Stadtgespräch<br />

HINZ&KUNZT N°<strong>300</strong>/FEBRUAR <strong>2018</strong><br />

Zelte, Verschläge, Plastikplanen, sogar ein<br />

kleiner Teppich: So versuchten 28 Obdachlose,<br />

sich auf dem Bahngrundstück einzurichten.<br />

Bettler soll 450 Euro<br />

Strafe zahlen<br />

Weil sie auf einem Grundstück der Deutschen Bahn ein<br />

Lager errichtet hatten, sollen 28 Obdachlose nun Strafen bezahlen.<br />

Die Bahn stellte Anzeige wegen Hausfriedensbruch.<br />

TEXT: BENJAMIN LAUFER<br />

FOTOS: BENJAMIN LAUFER, DMITRIJ LELTSCHUK<br />

Für David war das eine teure<br />

Nacht. Ein Freund habe ihn im<br />

vergangenen Mai mit in das Lager<br />

an der Amsinckstraße genommen, wo<br />

zu diesem Zeitpunkt schon seit Monaten<br />

etwa 30 Obdachlose in Zelten und<br />

Hütten gelebt hatten, sagt er im Gespräch<br />

mit Hinz&<strong>Kunzt</strong>. Am frühen<br />

Morgen kamen dann Mitarbeiter der<br />

Bahn, der das Grundstück an der Gleisanlage<br />

gehört, und räumten das Lager<br />

mit Unterstützung der Polizei. „Ich<br />

wusste gar nicht, was das Ganze soll“,<br />

sagt David. Danach habe er sich einen<br />

anderen Schlafplatz in Hamburg gesucht<br />

und nicht mehr an den Vorfall<br />

gedacht.<br />

Bis zum vergangenen November,<br />

als ihn ein Brief eines Hamburger<br />

Amtsgerichts erreicht. Der Brief war an<br />

seine Frau in Rumänien gegangen.<br />

Weil David nicht lesen kann, versteht er<br />

nicht, was drin steht. Er glaubt, es gehe<br />

um Schwarzfahren und will die Rechnung<br />

bei der S-Bahn begleichen. Erst<br />

die Mitarbeiter dort machen ihm klar,<br />

dass er einen Strafbefehl wegen Hausfriedensbruch<br />

bekommen hat. 450 Euro<br />

soll er bezahlen, 30 Tagessätze.<br />

Die Bahn leugnet zunächst,<br />

Strafanzeigen gestellt zu haben<br />

Die Deutsche Bahn bestreitet zunächst<br />

auf Anfrage von Hinz&<strong>Kunzt</strong>, Strafanzeigen<br />

gegen die Obdachlosen gestellt<br />

zu haben.<br />

Erst Staatsanwaltschaft und Bundespolizei<br />

klären auf: Doch, die Bahn<br />

hat am 9. August gegen 28 Obdachlose<br />

Strafanzeigen gestellt. Auf erneute<br />

Nachfrage räumt das auch ihr Sprecher<br />

Egbert Meyer-Lovis ein. „Es gab im<br />

Vorwege mehrmals schriftliche Auffor-<br />

derungen – in verschiedenen Sprachen<br />

– das Gelände zu räumen“, rechtfertigt<br />

er das Vorgehen. Von den Aufforderungen<br />

habe er nichts gewusst, bekräftigt<br />

David, schließlich habe er nur eine<br />

Nacht auf dem Bahngelände geschlafen.<br />

Trotzdem soll er nun eine Strafe<br />

bezahlen.<br />

30 Tagessätze à 15 Euro<br />

für einen Bettler<br />

Das Gericht hat einen Tagessatz von 15<br />

Euro zur Bemessung der Strafe angesetzt.<br />

Für einen Bettler ganz schön viel,<br />

findet auch Davids Rechtsanwältin, die<br />

nun gegen den Strafbefehl vorgeht. Wie<br />

genau der Richter auf die Höhe des Tagessatzes<br />

kam, ohne mit David über seine<br />

Situation zu sprechen, lässt sich nicht<br />

mehr rekonstruieren.<br />

Doch ein Gerichtssprecher sagt,<br />

dass etwa bei Sozialhilfeempfängern<br />

häufig Tagessätze zwischen 5 und 12<br />

Euro verhängt werden, also deutlich<br />

weniger als bei David. „Die Einkünfte<br />

aus der Bettelei werden auch berücksichtigt“,<br />

erklärt Nana Frombach, Sprecherin<br />

der Staatsanwaltschaft. Im Zweifelsfall<br />

würden die geschätzt. „Wir<br />

wissen, dass sie teilweise erhebliche Einkünfte<br />

haben.“<br />

David kann das nicht nachvollziehen.<br />

Von seinen geringen Einkünften<br />

durch Betteln und dem Verkauf der<br />

Zeitung Straßenjournal müsse er seine<br />

Frau und seine beiden Kinder in Rumänien<br />

ernähren, sagt er. „Wie soll ich das<br />

bezahlen?“ •<br />

Kontakt: benjamin.laufer@hinzundkunzt.de<br />

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