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Hinz&Kunzt 300 Februar 2018

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Ein Foto aus unbeschwerten<br />

Tagen:<br />

Der Korrespondent in<br />

Istanbul gemeinsam<br />

mit Autorin Yasemin<br />

Ergin im Juni 2016. Ein<br />

halbes Jahr später verhaftete<br />

ihn die Polizei.<br />

Seit gut einem<br />

Jahr sitzt<br />

Deniz in einer<br />

Einzelzelle.<br />

was er an seinem Berichtsland so sehr liebte. Wenn<br />

die Menschen, die für eine freiere Türkei kämpften, trotz aller<br />

Widerstände Mut und Hoffnung nicht verloren, dann wollte<br />

er das auch nicht tun.<br />

Der Regierung war er zu jener Zeit schon längst ein<br />

Dorn im Auge. Versuche, ihn einzuschüchtern, hatte es schon<br />

mehrfach gegeben, aber daran die Türkei zu verlassen, dachte<br />

Deniz nicht. Er glaubte, als deutscher Korrespondent trotz<br />

allem weniger zu riskieren als seine türkischen Kollegen.<br />

Wie schwer der Schock ihn und seine Familie getroffen<br />

haben muss, als er am 27. <strong>Februar</strong> 2017 nach zwei Wochen<br />

in Polizeigewahrsam inhaftiert wurde, das kann ich nur erahnen.<br />

Ich selbst weiß noch genau, wo ich war und was ich tat,<br />

als ich von seiner Verhaftung<br />

erfuhr. Diese Bestürzung<br />

hält unvermindert<br />

an, hinzu kommt<br />

täglich neue Fassungslosigkeit.<br />

Darüber, dass er<br />

noch immer ohne Anklageschrift<br />

in Haft ist, dass<br />

die Klagen beim türkischen<br />

Verfassungsgericht<br />

und beim Europäischen<br />

Gerichtshof für Menschenrechte bisher keine Wirkung hatten<br />

und vor allem darüber, dass die deutsche Regierung nur<br />

so wenig für ihn ausrichten kann oder will.<br />

Seit gut einem Jahr sitzt Deniz nun im Hochsicherheitsgefängnis<br />

Silivri in einer Einzelzelle, bis vor Kurzem noch<br />

komplett isoliert von seinen Mithäftlingen. Sich vorzustellen,<br />

wie es Deniz, einem der gesprächigsten, geselligsten Menschen,<br />

die ich kenne, in dieser Situation geht, das tut weh.<br />

Dass er dennoch seinen Humor und seinen Mut bewahrt<br />

zu haben scheint, gibt Hoffnung. Seine Frau Dilek erzählt,<br />

dass er bei ihren wöchentlichen Besuchen oft lache, dass er<br />

guter Dinge sei, weil er wisse, dass er in seinem Job, den er<br />

über alles liebe, alles richtig gemacht habe. Auch in seinen<br />

Briefen und Artikeln, die über seine Anwälte gelegentlich<br />

den Weg nach draußen finden,<br />

klingt Deniz fast so wie immer.<br />

Welche langfristigen Folgen<br />

die Haft auf ihn haben werde, das<br />

könne er nicht einschätzen, sagte er selbst in seinem ersten<br />

Interview aus dem Gefängnis.<br />

Klar ist, dass die Haft nicht nur sein Leben verändert<br />

hat, sondern auch das seiner Angehörigen. Seine Schwester<br />

Ilkay und seine Ehefrau Dilek stehen seit seiner Verhaftung<br />

in der Öffentlichkeit und engagieren sich unermüdlich für<br />

seine Freilassung. Sie sind wie viele seiner Freunde und Kollegen<br />

zu Aktivisten für die Pressefreiheit geworden. Unzählige<br />

Soliveranstaltungen hat der Freundeskreis #FreeDeniz<br />

(siehe Infokasten) im vergangenen Jahr organisiert, immer<br />

neue Aktionen sind in Planung. Dass dieses Engagement ihn<br />

erreicht und ihm Mut macht, ist das Wichtigste daran. Nebenbei<br />

hilft es aber auch gegen die eigene Hilflosigkeit, das<br />

kann ich aus eigener Erfahrung sagen.<br />

Damals im Sommer 2016, knapp zwei Wochen, nachdem<br />

der eingangs erwähnte optimistische Lagebericht von<br />

ihm erschien, gönnte Deniz sich übrigens eine kleine Auszeit<br />

und flog mit Dilek an die Westküste der Türkei. Statt Kommentaren<br />

zur politischen Situation in der Türkei postete er<br />

ein paar Fotos von aufblasbaren Flamingos auf der Ägäis<br />

und von Bootstouren. Deniz liebt das Meer, nach dem seine<br />

Eltern ihn benannt haben. Ich hoffe jeden Tag, dass er es<br />

bald wiedersieht. •<br />

Kontakt: redaktion@hinzundkunzt.de<br />

Wer Deniz Yücel schreiben will:<br />

Gefängnisadresse: lker Deniz Yücel, 9 Numaralı Kapalı Ceza<br />

nfaz Kurumu A11-81 Silivri/Türkei. Da Mitteilungen auf Türkisch<br />

bessere Chancen haben, bei ihm anzukommen, hat „Die Welt“<br />

einen Übersetzungs service eingerichtet. Mail an<br />

schreibdeniz@weltn24.de. Dort wird der Brief übersetzt und zu<br />

Deniz geschickt. Infos dazu unter www.huklink.de/deniz<br />

Infos über Deniz: www.facebook.com/FreundeskreisFreeDeniz<br />

Auch wer Ideen für Veranstaltungen hat, kann sich dort melden.<br />

Mitte <strong>Februar</strong> erscheint das Buch von Deniz Yücel „Wir sind<br />

ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere<br />

Gebrauchstexte“ , Doris Akrap (Hrsg.), 224 Seiten, 16 Euro<br />

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