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Festspielzeit Frühling 2018

Das Magazin der Bregenzer Festspiele

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OPER IM FESTSPIELHAUS<br />

Zwei Frauen im Rom des<br />

16. Jahrhunderts beschließen,<br />

sich vom Patriarchen, ihrem<br />

Vater und Ehegatten, durch Mord zu<br />

befreien, um dessen gewalttätiger<br />

Herrschaft ein Ende zu machen. Sie<br />

bezahlen dafür mit ihrem eigenen<br />

Leben und werden öffentlich hingerichtet.<br />

Was macht diesen Stoff heute<br />

interessant?<br />

Johannes Erath: Einerseits ist<br />

spannend, dass in einer Welt, in der<br />

man niemandem mehr trauen kann,<br />

Glaube wieder ein Thema wird und<br />

andererseits, dass in einer Welt, in<br />

der Machtkämpfe einen höheren<br />

Stellenwert haben als Gerechtigkeit,<br />

Menschen in ihrer Verzweiflung<br />

zur Selbstjustiz fähig werden.<br />

Francesco Cencis Gewaltherrschaft<br />

geht nämlich so weit, dass er weder<br />

davor zurückschreckt, seine beiden<br />

Söhne ermorden zu lassen noch<br />

seine Tochter Beatrice und zweite<br />

Frau Lucrezia zu vergewaltigen.<br />

Der Vatikan lässt sich dafür quasi<br />

Schweigegeld bezahlen. Zu Beginn<br />

der Oper beten die beiden Frauen<br />

noch geduldig für Versöhnung im<br />

Paradies und hoffen auf das »jüngste<br />

Gericht«. Absurderweise bringt erst<br />

der Prälat Orsino, den Beatrice zu<br />

lieben glaubt, die beiden Frauen auf<br />

die Idee, Cenci ermorden zu lassen.<br />

Orsino hingegen flüchtet.<br />

Haben Beatrice und Lucrezia diesen<br />

Mord nur aus der persönlichen<br />

Situation, nicht mehr weiterleben zu<br />

können, heraus geplant, oder sehen<br />

sie in ihrer Tat auch einen größeren,<br />

quasi gesellschaftlichen Auftrag?<br />

wusst nur darum geht, wenigstens<br />

einen Funken Würde zurückzuerlangen,<br />

bevor sie physisch sterben.<br />

Als Zuschauer haben wir Empathie<br />

mit ihnen und ertappen uns womöglich<br />

bei dem Gedanken, dass Cenci<br />

»zu Recht« sterben musste, Beatrice<br />

und Lucrezia vielleicht sogar zu<br />

»Unrecht«. Das Erschreckende an<br />

dieser Geschichte ist, dass wir erst<br />

heute versuchen, (Macht-)Missbrauch<br />

zu enttabuisieren ...<br />

Letztlich stellt sich also die Frage:<br />

Gibt es einen gerechten Mord?<br />

Nein, einen »gerechten« Mord gibt<br />

es nicht. Es gibt aber auch keine<br />

»gerechte« Hinrichtung oder Todesstrafe!<br />

War es vielleicht kein Zufall – obwohl<br />

Goldschmidt die Gelegenheit eines<br />

Opernwettbewerbs ergriffen hatte –,<br />

dass er den Stoff genau in den Vier-<br />

Beatrices und Lucrezias Leidensdruck<br />

muss unermesslich hoch sein.<br />

Mir scheint, dass es ihnen unbezigerjahren<br />

kurz nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg komponierte? Er trug<br />

ihn ja schon lang mit sich herum;<br />

kennengelernt hatte er ihn 1923<br />

durch Stendhals Novelle, sich dann<br />

aber auf Shelleys Drama von 1819<br />

bezogen. Was zeichnet Goldschmidts<br />

Oper und seine Version dieser wahren<br />

Begebenheit aus?<br />

Am spannendsten ist die Form von<br />

Ohnmacht, die in Musik gefasst ist.<br />

Es stehen unglaublich berührende<br />

musikalische Momente sehr machtvollen,<br />

geradezu monumentalen<br />

Passagen unmittelbar gegenüber,<br />

so dass man das Gefühl bekommt,<br />

da werden zwei zerbrechliche Wesen<br />

zermahlen. Mir erscheint das<br />

ganze Werk wie eine Art Requiem.<br />

Womit die Oper ja auch endet.<br />

Genau.<br />

Das ausschweifende Leben eines<br />

Grafen, Vergewaltigung der eigenen<br />

Tochter, dubiose Machenschaften<br />

mit der Kirche, ein Mord durch<br />

Tochter und zweite Ehefrau: »Sex<br />

and Crime sells«, auch in der Oper.<br />

Wie lässt sich diese grausame und<br />

unmoralische Welt auf die Bühne<br />

bringen?<br />

Unsere Köpfe sind durch die Medien<br />

übervoll von platten »Sex and<br />

»Beatrice Cenci ist in<br />

Musik gefasste Ohnmacht.<br />

Man fühlt förmlich, wie<br />

zwei zerbrechliche Wesen<br />

zermahlen werden.«<br />

6<br />

Crime«-Bildern. Es geht mir im<br />

Theater nicht darum, Themen<br />

realitätsgetreu abzubilden, sondern<br />

mir liegt vielmehr am Herzen, durch<br />

unerwartete Bilder, die emotional<br />

erfassbar sind, Phantasien und<br />

Assoziationsketten beim Publikum<br />

auszulösen. Apropos »Realität«.<br />

Es gibt keine absolute Realität.<br />

»Realität« ist vielleicht das, was wir<br />

gerade noch ertragen wahrzunehmen.<br />

Sie ist somit sowieso subjektiv.

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