Querschnitt 21 / Februar 2007 - h_da: Hochschule Darmstadt
Querschnitt 21 / Februar 2007 - h_da: Hochschule Darmstadt
Querschnitt 21 / Februar 2007 - h_da: Hochschule Darmstadt
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Querschnitt</strong> <strong>21</strong><br />
redAktionsmAnAgement<br />
und redAktionelle<br />
innoVAtionen einer grossen<br />
nAchrichtenAgentur<br />
Projekt in Kooperation zwischen der hochschule <strong>Darmstadt</strong> und der Austria Presse Agentur (APA) Wien<br />
autor •<br />
Prof. Dr. Klaus Meier<br />
1 • ziele der studie<br />
Die Anglizismen Newsroom, Newsdesk und Crossmedia avancierten<br />
in letzter Zeit zu Modewörtern des re<strong>da</strong>ktionsmanagements<br />
im deutschsprachigen raum – vor allem bei Tageszeitungen,<br />
aber auch bei Nachrichtenagenturen und rund-<br />
funkanstalten. Innovative Chefre<strong>da</strong>kteure versprechen sich<br />
durch neue re<strong>da</strong>ktionelle Strukturen eine höhere journalistische<br />
Qualität, weil <strong>da</strong>durch komplexe Themen ressortübergreifend<br />
bearbeitet, re<strong>da</strong>ktionelle Workflows optimiert und die<br />
Themenplanung professionalisiert werden können. Zudem<br />
sollen die Herausforderungen einer konvergenten Medienwelt<br />
in crossmedialen re<strong>da</strong>ktionen besser bewältigt werden – zum<br />
Beispiel durch einen gemeinsamen Newsroom für Print, Internet<br />
und mobile Medienplattformen. Bislang liegen jedoch kaum<br />
empirische evaluationen vor, welche die neuen Modelle überprüfen<br />
und analysieren, wie sich die Arbeitszufriedenheit der<br />
Journalisten und die journalistische Qualität verändern.<br />
Da zurzeit neue re<strong>da</strong>ktionsmodelle wie Pilze aus dem Boden<br />
schießen, die sich in Detail erheblich unterscheiden, mussten<br />
im Forschungsprojekt zunächst alle möglichen re<strong>da</strong>ktionellen<br />
Innovationen recherchiert und verglichen werden. Auf dieser<br />
Basis wurde in einer Fallstudie <strong>da</strong>s neue Newsroom-Konzept<br />
der Austria Presse Agentur (APA) in Wien empirisch analysiert<br />
(Meier 2006a; 2006b; <strong>2007</strong>a). Die APA ist die sechstgrößte<br />
Nachrichtenagentur in europa. Sie arbeitet unabhängig durch<br />
1<br />
ein Genossenschaftsmodell, <strong>da</strong>s nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
vom anglo-amerikanischen Journalismus übernommen wurde.<br />
Der neue Newsroom der APA wurde in einer Beilage der<br />
Zeitschrift Der Österreichische Journalist als „europas modernster<br />
Newsroom“ bezeichnet. er war gleich nach der eröffnung<br />
im August 2005 Pilgerstätte für Dutzende von re<strong>da</strong>ktionsleitern<br />
aus aller Welt und dient als Vorbild für Innovationen<br />
in anderen re<strong>da</strong>ktionen – zum Beispiel bei der Gründung der<br />
großen neuen Tageszeitung „Österreich“ in Wien oder bei den<br />
umstrukturierungen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in<br />
Hamburg und der Schweizerischen Depeschenagentur (s<strong>da</strong>) in<br />
Bern.<br />
Die Studie erforschte den Innovationsprozess der APA-re<strong>da</strong>ktion<br />
mit sozial- und journalistik-wissenschaftlichen Methoden<br />
und war in vielerlei Hinsicht eine Pionierstudie. Bislang liegen<br />
untersuchungen zu neuen re<strong>da</strong>ktionsstrukturen und Management-Modellen<br />
in re<strong>da</strong>ktionen nur nach umstrukturierungen<br />
(Hansen/Neuzil/Ward 1998; Singer 2004) oder zu bestimmten<br />
Zeitpunkten im umstrukturierungsprozess vor (Meier 2002).<br />
Außerdem gibt es inzwischen eine Fülle von einzelbeschreibungen<br />
neuer Newsroom-Konzepte deutschsprachiger Medien,<br />
vor allem im Tageszeitungsbereich (vgl. u. a. Initiative Tageszeitung<br />
2004; Meier 2006a), die jedoch noch nicht empirisch<br />
überprüft sind. Jetzt bestand die einmalige Möglichkeit, die<br />
re<strong>da</strong>ktionsorganisation vor und nach einer umstrukturierung<br />
re<strong>da</strong>ktionsmanagement und re<strong>da</strong>ktionelle innovationen einer großen nachrichtenagentur<br />
zu untersuchen und zu vergleichen, wie sich die Arbeitsbedingungen<br />
der re<strong>da</strong>kteure verändern und ob die neuen Strukturen<br />
aus Sicht der re<strong>da</strong>ktion zu einer Verbesserung der journalistischen<br />
Qualität beitragen. Neben wissenschaftlicher erkenntnis<br />
und Prognosemöglichkeiten zur Zukunft der re<strong>da</strong>ktion ergaben<br />
sich ratschläge, wie <strong>da</strong>s re<strong>da</strong>ktionsmanagement der<br />
APA optimiert werden kann.<br />
2 • theoretischer hintergrund: neue re<strong>da</strong>ktionsmodelle als<br />
konzepte der Qualitätssicherung<br />
Die APA steht mit ihrem Innovationsprozess nicht alleine, sondern<br />
folgt einem allgemeinen Trend: Die Strukturen der re<strong>da</strong>ktionen<br />
sind weltweit Jahrzehnte lang gleich geblieben und<br />
sollen nun gesellschaftlichen und technischen Veränderungen<br />
sowie dem Wandel des Mediennutzungsverhaltens angepasst<br />
werden.<br />
Typisch für die klassische re<strong>da</strong>ktionsorganisation in Mitteleuropa<br />
ist sowohl in den Print-, als auch den großen rundfunkhäusern<br />
und Nachrichtenagenturen die ressortierung, also<br />
die einteilung der Welt in feste Sektionen, die „Departementalisierungen<br />
der realität“, wie es der Schweizer Forscher ulrich<br />
Saxer genannt hat. Die Kernressorts Politik, Wirtschaft, Kultur,<br />
Sport und Lokales gibt es schon seit mehr als 100 Jahren.<br />
Jedes ressort ist für sich selbst verantwortlich; Koordination<br />
findet allenfalls in einer kurzen allgemeinen re<strong>da</strong>ktionskonferenz<br />
statt. Die re<strong>da</strong>kteure arbeiten nur für ihre Sparte oder<br />
ihre Sendung, die anderen Sparten und Sendungen interessieren<br />
praktisch nicht. Die Separierung wird durch Architektur<br />
gestützt: In Mitteleuropa sind re<strong>da</strong>ktionsräume traditionell in<br />
kleine Büros unterteilt. Jedes ressort hat ein eigenes Büro –<br />
manchmal sogar jeder re<strong>da</strong>kteur ein eigenes Zimmer.<br />
Der Nachteil dieser re<strong>da</strong>ktionsstrukturen ist, <strong>da</strong>ss <strong>da</strong>s Bewusstsein<br />
für die Zeitung oder <strong>da</strong>s Programm als Ganzes abhanden<br />
kommt und die re<strong>da</strong>ktion nur Themen wahrnimmt, die<br />
ins raster der ressorts oder der Abteilungen passen. Themen,<br />
die nicht zweifelsfrei zum Beispiel der Politik, der Wirtschaft<br />
oder der Kultur zugeordnet werden können, werden nicht<br />
wahrgenommen oder nur monoperspektivisch, also einseitig<br />
behandelt. Gerade komplexe Themen können nicht adäquat<br />
recherchiert und bearbeitet werden.<br />
Hinzu kommt, <strong>da</strong>ss Medienhäuser zunehmend mehrmedial arbeiten<br />
und mehrere Ausspielkanäle bedienen (z. B. Print im<br />
normalen Format, Print als kompaktes Format für junge Zielgruppen,<br />
Internet, mobile Kommunikation etc.). Vor ein paar<br />
Jahren hat man <strong>da</strong>mit begonnen, für jedes Medium eine eigene<br />
abgetrennte re<strong>da</strong>ktion einzurichten. Der Trend geht heute <strong>da</strong>hin,<br />
die Medien zusammenzuführen und re<strong>da</strong>ktionen crossmedial<br />
zu organisieren, was nicht unproblematisch ist und<br />
neue Herausforderungen mit sich bringt (vgl. u. a. Singer<br />
2004).<br />
eine Nachrichtenagentur beliefert zwar kein Massenpublikum,<br />
sondern stellt den re<strong>da</strong>ktionen den Input zur Verfügung, organisatorisch<br />
hat sie allerdings mit ähnlichen Problemen zu<br />
kämpfen: komplexe Themen, einseitige ressortierung, monomediale<br />
Bearbeitung, verbesserungswürdige Workflows und<br />
entscheidungsstrukturen. umstrukturierungen der re<strong>da</strong>ktion<br />
sollen <strong>da</strong>zu beitragen, alle diese Defizite zu beheben.<br />
FAchbereich soziAl- und kulturwissenschAFten<br />
In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich für<br />
neue re<strong>da</strong>ktionsmodelle, welche die genannten Ziele verfolgen,<br />
die Begriffe „Newsdesk“ und „Newsroom“ durchgesetzt.<br />
Die Begriffe können wie folgt definiert werden (Meier 2006a):<br />
• Der Newsdesk ist eine Koordinations- und Produktionszentrale,<br />
in der alles zusammenläuft, was die re<strong>da</strong>ktion an<br />
Material zur Verfügung hat. In Zeitungsre<strong>da</strong>ktionen werden<br />
dort die Seiten verschiedener ressorts und/oder Lokalre<strong>da</strong>ktionen<br />
gemeinsam koordiniert und produziert. Am Newsdesk<br />
können zudem crossmedial mehrere Plattformen abgestimmt<br />
und bedient werden. Je nach Konzept können am Newsdesk<br />
nur ein oder zwei re<strong>da</strong>kteure, aber auch bis zu einem Dutzend<br />
oder sogar noch mehr re<strong>da</strong>kteure (besser: editors oder editoren)<br />
sitzen.<br />
• Der Newsroom ist nicht einfach ein traditionelles Großraumbüro,<br />
sondern unterstützt architektonisch neue re<strong>da</strong>ktionelle<br />
Konzepte des ressort- und medienübergreifenden Planens<br />
und Arbeitens. Die Wände zwischen ressorts und Medien werden<br />
eingerissen; alle Journalisten sitzen in einem gemeinsamen<br />
re<strong>da</strong>ktionsraum und sollen sich so besser absprechen<br />
und koordinieren. Mit dem Begriff „Newsroom“ ist indes gar<br />
nicht so sehr die Architektur, sondern eher <strong>da</strong>s neuartige Organisationsmodell<br />
und die neue Art journalistisch zu denken<br />
und zu handeln gemeint. Oft ist die rede vom „Fall der Mauern<br />
im Kopf“.<br />
• Mitunter werden beide Konzepte verbunden: Der Newsdesk<br />
bildet <strong>da</strong>nn <strong>da</strong>s Zentrum eines Newsrooms.<br />
Auf Newsdesk- oder Newsroom-Konzepte haben zum Beispiel<br />
umgestellt: Berner Zeitung (Schweiz), Braunschweiger Zeitung,<br />
Der Stan<strong>da</strong>rd Wien, Deutsche Presse-Agentur Hamburg, Die Welt/<br />
Welt kompakt/Berliner Morgenpost, Evangelischer Pressedienst epd<br />
Frankfurt, Financial Times Deutschland Hamburg, Frankfurter<br />
Rundschau, Fränkischer Tag Bamberg, Freie Presse Chemnitz,<br />
Handelsblatt Düsseldorf, Mainpost Würzburg, Mittelbayerische<br />
Zeitung regensburg, Neue Osnabrücker Zeitung, Neue Westfälische<br />
Bielefeld, Rheinische Post Düsseldorf, Ruhr Nachrichten<br />
Dortmund, Saarbrücker Zeitung, Schwäbische Zeitung Leutkirch,<br />
Süddeutsche Zeitung München, Tagesspiegel Berlin, Trierischer<br />
Volksfreund, Wiesbadener Kurier/Wiesbadener Tagblatt.<br />
empirische Studien, welche den erfolg der neuen Modelle<br />
überprüfen, sind (noch) selten. Sie kommen zu unterschiedlichen<br />
ergebnissen (Meier 2006a: <strong>21</strong>1 – <strong>21</strong>2), was vor allem <strong>da</strong>ran<br />
liegt, <strong>da</strong>ss die analysierten re<strong>da</strong>ktionsmodelle zwar meist<br />
in den Zielen, nicht jedoch in wichtigen organisatorischen Details<br />
übereinstimmen. Bei einer Befragung im rahmen einer<br />
Diplomarbeit an der <strong>Hochschule</strong> <strong>Darmstadt</strong> (Bettels 2005) gaben<br />
die Journalisten der Mainpost (Würzburg) und des Medienhauses<br />
Nordjyske Medier (Dänemark) mehrheitlich an, <strong>da</strong>ss<br />
durch Newsdesk und Newsroom zwar der zeitliche Druck,<br />
aber auch die Arbeitszufriedenheit gestiegen sei, weil es zum<br />
Beispiel befriedigender ist, für mehrere Medien zu arbeiten.<br />
Zudem gaben 60 Prozent der befragten Journalisten an, <strong>da</strong>ss<br />
die Qualität der journalistischen Produkte gestiegen sei: es<br />
werde jetzt deutlich mehr recherchiert und weniger auf Agenturmaterial<br />
zurückgegriffen.<br />
Bei den ohnehin wenigen vorliegenden untersuchungen handelt<br />
es sich um „snapshot in time“-Studien (Singer 2004: 17). es<br />
1