Der Burgbote 1970 (Jahrgang 50)

Abschließend noch ein Wort zum ersten Tag
in Paris. Viele von euch kennen die Stadt,
andere erleben sie zum erstenmal. Da muß
man einen Ausgangspunkt haben, ich stelle
mir vor, eine erste Busfahrt gilt dem Märtyrerhügei
(Montmartre). Sie führt euch auf die
Eine Hauptperson in Paris ist die Pförtnerin, die Concierge.
Man braucht keine Hausschlüssel und keinen
Briefkasten. Sie sortiert die eingehende Post und zieht
den Cordon („Cordon Madame!") geht man aus, oder
begehrt Einiaß durch Klingeldruck. Katzen und Hunde
dürfen nie fehlen
breite Aussichtsterrasse unterhalb der weißen
Marmorkirche Sacre Coeur.
Vielleicht hattet ihr euch vorher auf der klei
nen Piace du Tertre, dem Herzstück der
„Freien Gemeinde Montmartre", umgesehen.
Hier habe ich in den 20er Jahren mit meinen
Künstierfreunden das alte Viertel erlebt, als
es noch nicht vom Tourismus überwuchert
war. Ob unter den heutigen Maiern auf der
Piace du Tertre ein künftiger Picasso heran
wächst, bleibt abzuwarten. Auch die kleinen
Kneipen rundum haben sich — ihr gutes Recht!
— auf den Weittourismus eingestellt. Gemüt
lich sind sie immer noch.
Und dann der Bück von der Terrasse auf die
Stadt, auf ihren Grundriß des großen Halb
kreises und das gegenüberliegende Seine-
Ufer. Feine Grisaiiietöne und silbriger Dunst
weichen die Konturen auf. Nur an kühleren
Tagen wird alles greifbarer und härter. Paris
— das aber ist von hier aus nicht erkennbar —
hat sich von einer Vielzahl von Dörfern oder
(Kirchspielen) zur Einheit gefügt.
Diese Einheit verjüngt sich immerwährend
aus den Kräften der französischen Provinzen
und durch den Zuzug aus aller Weit. Von den
Seineinsein aus — der iie St. Louis und der
iie de ia Cite - hat sich der Zentralismus des
französischen Königtums entwickelt. Paris
stärkt seine Substanz durch die Assimilation
der Kräfte, die stetig von außenher einströ
men.
Hermann A. Ginzel
Fotos: Daniel Frasney, Verlag der Europäischen Büche
rei, H. M. Hieronimi, Bonn (2) - Archivbilder (5)
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