Berliner Zeitung 12.12.2018
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 290 · M ittwoch, 12. Dezember 2018 5 *<br />
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Hauptstadt<br />
Mehr Geld vom Bund<br />
von 2018 bis 2027 erhält die Stadt vom<br />
Bund höhere Zuwendungen für Sicherheit und Kultur.<br />
Zwei Milliarden Euro stehen für hauptstadtbedingte Ausgaben<br />
zur Verfügung, 500 Millionen mehr als bisher.<br />
7,5<br />
Millionen<br />
für die <strong>Berliner</strong><br />
Philharmoniker<br />
Bedächtig zündet der Regierende<br />
Bürgermeister mit einem Streichholz<br />
die Kerzen auf dem Adventsgesteck<br />
in seinem Arbeitszimmer<br />
an. Es ist erst kurznach dem zweiten Advent,<br />
aber Müller entfacht alle vier Kerzen. Die<br />
Überraschung seiner Besucherinnen amüsiert<br />
ihn. Selbst im gediegenen Büro des Regierenden:<br />
Die Hauptstadt lebt aus dem Vollen. Wir sind<br />
mitten im Thema.<br />
Herr Regierender Bürgermeister,zurzeit wirdjawieder<br />
viel über Berlin geschimpft. Würden Sie sagen,<br />
dafür ist eine Hauptstadt nun auch da? Oder trifft so<br />
ein Vorwurfeher?<br />
Weder noch. Einerseits ist es so,dass sich alle an<br />
Berlin reiben. Andererseits hat sich dieses Berlin-<br />
Bashing mittlerweile auch verbraucht. Ich bin da<br />
wirklich unaufgeregt. Es sehen ja alle, dass diese<br />
Stadt sich toll entwickelt –auch wenn sich noch einiges<br />
verbessernmuss.<br />
Ist das Verhältnis von Berlin zum Bund in den vergangenen<br />
Jahren harmonischer geworden?<br />
Eindeutig. Die Bundestagsabgeordneten erleben<br />
Berlin. Dadurch haben sich manche Vorbehalte<br />
in Luft aufgelöst. Es gab früher ja großes politisches<br />
Unbehagen, ob Berlin Hauptstadt werden<br />
soll. Viele dachten, man knüpft an die ungute Geschichte<br />
in unserer Stadt an. DieseVorurteile gibt es<br />
nicht mehr.<br />
Wie wirkt sich der Standortvorteil für die<br />
Hauptstadt aus? Nutzt es, dass man in<br />
der gleichen Stadt sitzt wie die Regierung?<br />
15<br />
Absolut. Ich bin beinahe<br />
jede Woche im Bundestag, im<br />
Bundeskanzleramt, in einem<br />
Ministerium, um<br />
Dinge direkt zu besprechen.<br />
Beiden Millionenin-<br />
Millionen für den<br />
Hauptstadtkulturfonds<br />
vestitionen für das Naturkundemuseum<br />
vor vier<br />
Wochen waren wir selber<br />
überrascht, dass das quasi<br />
auf Zuruf ging. Da hieß es,<br />
komm rüber, wir setzen uns<br />
schnell zusammen, wir machen<br />
das und übermorgen die<br />
Pressekonferenz. Das wäre früher<br />
undenkbar gewesen. Die Runden im<br />
Kanzleramt sind für mich nur zehn Minuten<br />
vonhier weg, alle anderen Ministerpräsidenten<br />
müssen anreisen. Ichmuss nicht zum Bahnhof<br />
und habe immer noch die Möglichkeit, am Rand<br />
Gespräche zu führen. Daserleichtert, <strong>Berliner</strong> Themen<br />
zu setzen.<br />
Funktioniert die Bundeshauptstadt einfacher als<br />
Landeshauptstadt?<br />
Es ist eindeutiger in den Entscheidungsstrukturen<br />
und bei den Ansprechpartnern. Anders als oft<br />
zwischen Bezirks- und Landesebene …insofern<br />
haben Sie recht. Aber man kriegt auch nichts geschenkt.<br />
DerBund hat ja auch Anforderungen und<br />
Erwartungen, die man verhandeln muss. Die<br />
Hauptstadtrolle hat Vor- und Nachteile.<br />
Berlin hat<br />
nicht nur<br />
Baustellen<br />
Warum es einfacher<br />
ist Hauptstadt zu sein<br />
als Landeshauptstadt<br />
Michael Müller,Regierender Bürgermeister BLZ/PAULUS PONIZAK<br />
Inwiefern?<br />
Es ist einerseits toll und beflügelt. Die Metropole,<br />
in die alle wollen …Auf der anderen Seite werden wir<br />
mit allem in einen Topf geworfen. BeiProblemen<br />
gibt es keine Unterscheidung<br />
zwischen Land und<br />
Bund, solange sie in<br />
Berlin stattfinden.<br />
Wenn auf der Museumsinsel die Baustelle nicht<br />
funktioniert, dann ist die Überschrift „Zeitverzögerung<br />
in Berlin“ –sie gilt als <strong>Berliner</strong> Baustelle,trotz der<br />
Zuständigkeit des Bundes. Ein Streik bei der Deutschen<br />
Bahn wirdzueinem <strong>Berliner</strong>Verkehrsproblem,<br />
obwohl wir damit gar nichts zu tun haben.<br />
Man hat gerade bei den <strong>Berliner</strong>n den Eindruck,<br />
dass die Kritik an den Verhältnissen groß ist. Viele<br />
haben das Gefühl, dass hier nichts funktioniert.<br />
Daskommt so pauschal bei mir nicht an.<br />
Wirklich?<br />
Natürlich erreicht mich auch Ärger … über<br />
Dinge, die oft auch wirklich nicht funktionieren.<br />
Wenn man zum Beispiel an die Baustellenkoordinierung<br />
denkt. Ja,das stimmt. Oder wenn man die<br />
Personalsituationen auf den Ämtern sieht. Trotzdem<br />
bleibe ich dabei: Das Zusammenleben funktioniertgut.<br />
In vielen Städten gibt es bis heute in jederWoche<br />
Bürgerproteste gegen die Aufnahme von<br />
Flüchtlingen und Integrationsbemühungen. Bei<br />
uns klappt das seit Jahrzehnten. Ich will nichts<br />
schönreden: Natürlich gibt es Kritik, aber sie ist selten<br />
pauschal. Außerdem lobt man in Berlin ja generell<br />
nicht, wenn es gut läuft.<br />
Aber in den Ämtern liegt doch einiges im Argen?<br />
Ja, das kann man nicht wegdiskutieren, manches<br />
könnte man sicher schneller und besser organisieren.<br />
Doch wir können auch erst seit drei Jahren<br />
das aufholen, was vorher in fast 15 Jahren nicht<br />
möglich war, weil wir sparen, sparen, sparen<br />
mussten. Ichdachte auch, dass dieser Aufholprozess<br />
schneller gehen würde,aber<br />
er geht nicht schneller.<br />
Woranliegt das?<br />
Man bekommt nicht von<br />
heute auf morgen das Fachpersonal,<br />
man muss es ausbilden, man<br />
10<br />
muss es einarbeiten. Man bekommt<br />
nicht vonheute auf morgen<br />
die Baufirmen, die man will,<br />
weil im Moment alle in Berlin<br />
Millionen für die<br />
bauen. Ich habe das Geld, aber ich<br />
Opernstiftung<br />
kriege die Firmen gar nicht, die es<br />
verbauen. S-Bahn-Züge und U-Bahn-<br />
Züge zu bestellen, dauertbei den Herstellern<br />
zehn Jahre. Und das nicht, weil wir so<br />
schlafmützig sind, sondern weil die Hersteller so<br />
lange brauchen. Diese Ungeduld vieler <strong>Berliner</strong>innen<br />
und <strong>Berliner</strong> teile ich. Trotzdem müssen wir akzeptieren,<br />
dass zehn oder 15 JahreSparen an dieser<br />
Stadt nicht spurlos vorübergegangen sind.<br />
Hätte man nicht schon eher damit Schluss machen<br />
müssen?<br />
Zu viel gesparthaben wir,glaube ich, nicht. Das,<br />
wovonwir heute profitieren, hängt ja mit dem Sparkurs<br />
zusammen. Wir waren damals in einer Situation,<br />
wo wir nicht wussten, ob wir die Gehälter im<br />
öffentlichen Dienst zahlen können. Ich kann mich<br />
noch an die Fraktionssitzung erinnern, als das diskutiertwurde.Ich<br />
akzeptieredie Kritik, dass wir offensichtlich<br />
nicht rechtzeitig umgesteuert haben,<br />
als es schon wieder finanziell besser wurde. Und<br />
vorallen Dingen, als Berlin wieder anfing zu wachsen.<br />
Da wurde erst zeitverzögert zwei, drei Jahre<br />
später reagiert.<br />
Wiesteht Berlin international da?<br />
Blendend. Es hat sich unglaublich viel entwickelt.<br />
Der Sonderstatus der sogenannten Frontstadt<br />
ist natürlich weg. Früher hatte der Regierende<br />
Bürgermeister in der Woche nach seiner Vereidigung<br />
soforteinen Termin im Weißen Haus.Das gibt<br />
es heute nicht mehr. Aber dennoch wird Berlin international<br />
viel mehr wahrgenommen. DieStadt ist<br />
im Konzert der Weltmetropolen mit dabei. Ihr Ruf<br />
als Stadt der Freiheit zieht die Menschen aus aller<br />
Welt magisch an.<br />
Istdie Gentrifizierung dafür nicht ein hoher Preis?<br />
Das hat mir einen zu negativen Touch. Es ist<br />
durch und durch positiv, dass wir international<br />
wahrgenommen werden. Dass man hier frei und<br />
offen leben kann, dass es eine tolerante und inzwischen<br />
auch vielsprachige Stadt ist, eben eine internationale<br />
Stadt –das ist ein harter Standortfaktor.<br />
Deswegen haben wir Ansiedelungserfolge. Gates,<br />
Soros, Oxford kommen mit ihren Stiftungen nach<br />
Berlin, weil es eine offene Stadt ist. Und auch für<br />
Siemens hat das eine große Rolle gespielt.<br />
Im Hauptstadtvertrag steht, dass Berlin die Bundesrepublik<br />
repräsentiert. Aber repräsentativ ist die<br />
Stadt doch gar nicht für Deutschland, oder?<br />
Ach, doch.Wirhaben ja auch viel nationalenTourismus<br />
in Berlin. Undwenn man aufmerksam durch<br />
die Stadt streift, findet man auch viele Orte und Gegebenheiten,<br />
in denen sich Besucher Berlins an die<br />
eigene Heimat im Bundesgebiet erinnertfühlen. Die<br />
Deutschen sehen ihreHauptstadt schon gerne.Und<br />
ich glaube,sie sind auch stolz auf sie.<br />
DasGespräch führten Tanja<br />
Brandes und Christine<br />
Dankbar.<br />
5Millionen<br />
Humboldt-<br />
Forum<br />
Die Zahlungen für<br />
hauptstadtbedingte Aufgaben<br />
sind in einem eigenen Vertrag<br />
zur Hauptstadtfinanzierung<br />
geregelt. Darin ist auch der<br />
Tausch von Grundstücken<br />
zwischen Land und Bund<br />
festgehalten, aus dem sich<br />
weitere Einnahmen ergeben.<br />
Ausgaben für Sicherheit: 1,1Milliarden<br />
GRAFIK: STEFFI REEG