Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
10 BERLIN BERLINER KURIER, Freitag, 18. Januar 2019 *<br />
Protest in der Karl-<br />
Marx-Allee: Die<br />
Wohnungen wollte<br />
die Deutsche<br />
Wohnen haben.<br />
Diegroße Debatte<br />
Sind Enteignungen<br />
wirklich die halbeMiete?<br />
Linke und Grüne sind dafür,der Regierende will lieber kaufen<br />
Berlin – Etwa 700 Menschen<br />
bewerben sich um eine halbwegs<br />
preiswerte Mietwohnung.<br />
In Berlin ist das Alltag.<br />
Denn in kaum einer deutschen<br />
Stadt stiegen die Kaltmieten<br />
(im Schnitt 10,15 Euro/Quadratmeter)<br />
so stark<br />
wie in der Hauptstadt. In<br />
Mitte oder Prenzlauer Berg<br />
finden selbst Gutverdiener<br />
kaum eine bezahlbare Wohnung.<br />
Vor diesem Hintergrund<br />
wird in Berlin nun<br />
über ein Instrument diskutiert,<br />
das viele an die Nazizeit<br />
oder die Praxis in der DDR<br />
erinnert: Enteignungen.<br />
Eine Initiative will dazu im<br />
April ein Volksbegehren starten.<br />
Ziel ist ein Gesetz zur „Vergesellschaftung“<br />
großer Unternehmen,<br />
die in der Stadt mehr<br />
als 3000 Wohnungen haben. Im<br />
Fokus steht der börsennotierte<br />
Immobilienkonzern Deutsche<br />
Wohnen, der allein in Berlin<br />
und Umgebung 115000 Wohnungen<br />
besitzt. Er sorgt wegen<br />
Mieterhöhungen und dem Umgang<br />
mit seinen Mietern immer<br />
wieder für Schlagzeilen. „Wir<br />
wollen ein Stoppsignal für das<br />
spekulative Kapital setzen“,<br />
sagt Rouzbeh Taheri, einer der<br />
Initiatoren des Volksentscheids.<br />
„Es kann nicht sein,<br />
dass Konzerne immer mehr<br />
Einfluss gewinnen und die Mieten<br />
in die Höhe treiben.“<br />
Es ist nicht unwahrscheinlich,<br />
dass das Begehren eine Mehrheit<br />
bekommt. Die im Senat mit<br />
regierenden Linken und die<br />
Grünen haben Unterstützung<br />
zugesagt. Wirtschaftsvertreter<br />
warnen hingegen davor, Investoren<br />
zu vergraulen. „Es ist beunruhigend,<br />
dass populistische<br />
und durch die Realität längst<br />
mehrfach widerlegte Forderungen<br />
ausgerechnet in Berlin<br />
mit seiner politischen Vergangenheit<br />
ihr Comeback feiern“,<br />
sagt IHK-Chef Jan Eder.<br />
Aber sind Enteignungen<br />
überhaupt möglich? Im Grundgesetz<br />
(Artikel 14) ist das für bestimmte<br />
Fälle geregelt. Bei neuen<br />
Straßen oder Bahntrassen<br />
könne ein Grundstück gegen<br />
Entschädigung enteignet werden,<br />
erläutert der Rechtswissenschaftler<br />
Christian<br />
Pestalozza von der<br />
Freien Universität<br />
Berlin.<br />
Berlins Einwohnerzahl<br />
wächst,<br />
Wohnungen sind<br />
knapp. Städtische<br />
Gesellschaften<br />
sollen bis 2021 etwa<br />
30 000 Sozialwohnungen<br />
bauen.<br />
Doch es gibt<br />
wenig Bauland.<br />
Daher setzt der<br />
Senat auf den Ankauf<br />
bestehender<br />
Wohnungen. Der<br />
Regierende Bürgermeister<br />
Michael<br />
Müller (SPD) schlägt<br />
vor, Tausende einst<br />
privatisierte Wohnungen<br />
zurückzukaufen –<br />
ausgerechnet von der<br />
Deutsche Wohnen. Das<br />
Unternehmen, das in Berlin<br />
aktuell –stark in der Kritik<br />
steht, zeigte sich gesprächsbereit.<br />
Womöglich auch vor<br />
der Drohkulisse der Enteignungsdebatte.<br />
Der Regierende<br />
Michael Müller will<br />
lieber Wohnungen<br />
zurückkaufen als<br />
enteignen –vor<br />
allem vonder<br />
Deutsche Wohnen.<br />
Fotos: Ponizak,imago