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Berliner Kurier 18.01.2019

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SEITE19<br />

BERLINER KURIER, Freitag, 18. Januar 2019<br />

KIEZENGEL<br />

GenerationLebenslust Wie Senioren mit tollen Initiativen Schwung<br />

in ihren Alltag bringen. Der KURIER stellt in einer großen Serie <strong>Berliner</strong><br />

vor, die mit viel Fantasie unsereStadt ein bisschen wärmer machen.<br />

Foto:<br />

Ost. „Das war so einfach<br />

nicht. Wir sind<br />

für die hier so etwas wie<br />

Zonenrandgebiet.“ Funktioniert<br />

aber inzwischen<br />

gut.<br />

Mit ersten Geldern kamen<br />

die Malgruppe, Thementage<br />

von Theodor Fontane bis Tagespolitik,<br />

Kaffeetrinken,<br />

anschließend<br />

Entspannungsübungen.<br />

Eines Tages<br />

schneite<br />

Jörg vom<br />

Sportbüro Moabit herein:<br />

„Mensch Leute, wollt ihr nicht<br />

mal ’ne Laufgruppe gründen?“<br />

Seither laufen sie. Jeden Mittwoch<br />

ab 12.15 Uhr, Landwehrkanal<br />

bis Ultimo. Mit oder ohne<br />

Nordic Walking Sticks, je nach Fähigkeit,<br />

Lust oder Laune.<br />

Es gab Kunstpädagogen, die<br />

Malkurse veranstalteten. „Uns bespaßen?“<br />

Das können sie selbst<br />

viel besser, fanden sie heraus. Sie<br />

drehten Filme. Malten, was das<br />

Zeug hielt. Eine 90-jährige Dame<br />

kam, die gegenüber wohnt. Ehemalige<br />

Pianistin. „Sie hat sich<br />

zwar jetzt im Pflegeheim angemeldet,<br />

ist aber noch fit und begeistert<br />

uns musikalisch. Einmal<br />

in der Woche führt sie uns quer<br />

durch die Klassik“, sagt Gierscher.<br />

Eine ehemalige Studienrätin, referierte<br />

gestern über Heinrich Heine,<br />

zweiter Teil. Waltraud, eine<br />

andere Anwohnerin, erzählte<br />

über eine Schule, die sie einst in<br />

Mosambik gegründet hatte. Fritz,<br />

der alte Journalist, gibt gern Einblicke<br />

in das aktuelle Sportgeschehen,<br />

von Jogi bis Kloppo und Eiskunstlauf.<br />

„Ganz tolle Leute ,die<br />

hier herkommen“, schwärmt<br />

Gierscher.<br />

Allein Silvie Steinberg-Meyer<br />

sitzt am liebsten abseits in der Küche.<br />

Das hat einen Grund. „Ich bin<br />

in der Wohnung direkt über diesem<br />

Laden aufgewachsen. Jahrzehnte<br />

träumte ich, dass die Wohnung<br />

wieder frei würde: Sie können<br />

hier einziehen!“. Daraus wurde<br />

nichts. Aber als Gierscher den<br />

Laden aufmachte, fühlte sie sich<br />

direkt angesprochen. Jetzt kommt<br />

sie fast täglich aus Steglitz. „Das ist<br />

vielleicht Alterssentimentalität.<br />

Aber ich sitze jetzt hier genau<br />

unter meinem früheren Kinderzimmer<br />

und tue das, was ich damals<br />

dort tat: Malen.“<br />

Manchmal schraubt Gierscher<br />

an Computern herum, ein Hobby.<br />

PC-Kurse? Kein Thema in Moabit.<br />

Macht er selbst. Manchmal<br />

schreibt er Gedichte. Manchmal<br />

stellt er sie im Laden vor, dazu<br />

ausgewählte Liebeslyrik der Weltliteratur.<br />

„Zuhause rumsitzen und<br />

jammern? Ick musste wat machen“,<br />

sagt er und pafft erst mal eine<br />

vor der Tür, Kälte hin oder her.<br />

„Mit Danksagung übrigens an<br />

meinen ehemaligen Chef Michael<br />

Wiesemann-Wagengruber vom<br />

Frechen Spatz, der uns das hier<br />

überhaupt ermöglicht hat.“ Für<br />

seine Arbeit hat er einen „Ehrenpreis“<br />

des Bezirks Mitte erhalten.<br />

„Vor ein oder zwei Jahren“. So<br />

wichtig ist ihm das gar nicht.<br />

Zurück im Warmen, am Tisch,<br />

sitzt auch seine Ex-Frau, Renate<br />

Gierscher (69). Wisse doch der<br />

Geier, wie das zusammengehe, jedenfalls<br />

hat sie den Verein mitbegründet.<br />

Jeden Montag und Mittwoch<br />

ist sie hier, eisern. Obwohl<br />

sie inzwischen in Wedding wohnt.<br />

Der Moabiter Pate lehnt sich ein<br />

wenig zurück. „Wissen Sie, der<br />

<strong>Berliner</strong> Politik wäre es ganz<br />

recht, zynisch gesagt, wenn alle<br />

still vor sich hin stürben. Aber es<br />

gibt ja noch ein paar, die etwas bewegen.“<br />

Treffpunkt 50+, Melanchthonstraße<br />

15, Tel.: 0159-03488555,<br />

k.gierscher@outlook.de<br />

Morgen lesen Sie:<br />

Eine eingeschworene Senioren-<br />

Gruppe, die Pfeffer im Hintern hat

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