-flip_joker_2019-03
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10 KULTUR JOKER VISION 2025<br />
Kunstvereine im Gespräch (13):<br />
Freiburg sucht Experimente<br />
Kunstvereine spielen eine<br />
wichtige Rolle im Kulturleben<br />
von Städten und Gemeinden<br />
– gerade auch in unserer<br />
Region. Aber wie sieht das im<br />
Einzelnen aus? Die Serie über<br />
die Kunstvereine Südbadens<br />
geht dem nach. Diesmal bleiben<br />
wir in Freiburg. (mf)<br />
Mitten in der Innenstadt, direkt<br />
an der Dreisam liegt der<br />
Kunstverein Freiburg, der mit<br />
den an der Fassade angebrachten<br />
leuchtend roten Lettern „K“<br />
und „V“ auf sich aufmerksam<br />
macht.<br />
Der Bau überrascht, nicht nur<br />
dank seiner Geschichte als ehemaliges<br />
Schwimmbad, die man<br />
nur zu gerne vergisst, wenn<br />
man eintritt und sich plötzlich<br />
in einem Ausstellungsraum für<br />
zeitgenössische Kunst befindet.<br />
Wurde das Gebäude noch<br />
bis Ende der 1980er Jahre als<br />
Schwimmbad genutzt, beherbergt<br />
es heute den Kunstverein<br />
Freiburg. Umbauten in den<br />
1990er Jahren versiegelten das<br />
Schwimmbecken und schafften<br />
einen 400 Quadratmeter<br />
großen Ausstellungsraum. Die<br />
Schwimmhalle von damals ist<br />
zu einem Ort des Experiments<br />
und des Austauschs über gegenwärtige<br />
Kunst geworden.<br />
Der Kunstverein wurde 1827<br />
gegründet, gehört somit zu<br />
den ältesten Kunstvereinen in<br />
Deutschland und zählt stolze<br />
600 Mitglieder. Nach Standorten<br />
unter anderem am Münsterplatz,<br />
an der Friedrichstraße,<br />
in der Wiehre und im Schwarzen<br />
Kloster, bezog der Kunstverein<br />
das 1997 ehemaligen<br />
Marienbad. In jährlich fünf<br />
Ausstellungen werden hier international<br />
relevante, aber auch<br />
noch wenig beachtete, künstlerische<br />
Praktiken gezeigt und<br />
zur Diskussion gestellt. In der<br />
gegenwärtigen Kunst werden<br />
gesellschaftliche Umbrüche,<br />
technologische Entwicklungen,<br />
ökonomische Kräfte und ökologische<br />
Herausforderungen<br />
reflektiert. Ausgehend von seinen<br />
Ausstellungen, initiiert der<br />
Kunstverein Dialoge über aktuelle<br />
gesellschaftliche Fragen<br />
und schafft Verbindungslinien<br />
zu anderen Bereichen kultureller<br />
Produktion.<br />
Seit März 2017 ist Heinrich<br />
Dietz Direktor am Kunstverein<br />
Freiburg und startete sein<br />
Ausstellungsprogramm mit der<br />
Ausstellung Site Visit (März bis<br />
Juli 2017), in der gezielt generelle<br />
Fragen zur Institution und<br />
Ausstellungskonzeption aufgeworfen<br />
wurden. In wöchentlich<br />
stattfindenden Veranstaltungen<br />
wurden Künstlerinnen, Kunsthistoriker<br />
und Wissenschaftler<br />
zu Diskussionen eingeladen.<br />
Seither zeigt der Kurator des<br />
Kunstvereins in Einzel- und<br />
Gruppenausstellungen internationale<br />
Positionen. So waren<br />
im Rahmen der Ausstellung<br />
Immortalismus (September bis<br />
Oktober 2017) Arbeiten von<br />
Pakui Hardware oder Cécile B.<br />
Evans zu sehen. Im vergangenen<br />
Jahr (2018) gab es Objekte<br />
von Hans-Christian Lotz, Keramikarbeiten<br />
von Aaron Angell,<br />
eine Performance von New Noveta<br />
und eine über sechs Wochen<br />
im Kunstverein selbst entstandene<br />
Rauminstallation von<br />
Amy Lien & Enzo Camacho, die<br />
in der Ausstellungshalle und<br />
auf der Galerie zu sehen waren.<br />
Bei der jährlichen Regionale<br />
im November präsentiert der<br />
Kunstverein Werke von Kunstschaffenden<br />
aus der Region, im<br />
engen Austausch mit Ausstellungshäusern<br />
aus Frankreich,<br />
der Schweiz und Deutschland.<br />
Für die Zukunft wünscht sich<br />
Heinrich Dietz: „Einen Kunstverein,<br />
der weiterhin inspiriert,<br />
verwirrt, herausfordert oder<br />
auch verunsichert, der die Kritik<br />
an den herrschenden Verhältnissen<br />
befördert, neue Brücken<br />
schlägt und lebenswerte Zukünfte<br />
aufscheinen lässt. Ich glaube<br />
nicht, dass der Kunstverein die<br />
ganze Welt zur zeitgenössischen<br />
Kunst bekehren muss. Er macht<br />
Angebote, aber auf das Risiko,<br />
diese anzunehmen, kann sich<br />
nur jeder selbst einlassen. Im<br />
besten Falle könnte dann das Kaleidoskop<br />
der eigenen Weltsicht<br />
so durchgeschüttelt werden, dass<br />
dahinter noch etwas anderes<br />
sichtbar wird.“<br />
Im Kunstverein sollen nicht<br />
nur Ausstellungen stattfinden,<br />
sondern insbesondere<br />
der Austausch über Kunst und<br />
aktuelle gesellschaftliche Fragen<br />
ermöglicht sein. Neben<br />
den ausstellungsbegleitenden<br />
Veranstaltungs- und Vermittlungsprogrammen<br />
findet jeden<br />
ersten Donnerstagabend im<br />
Monat die „till ten Bar“ statt,<br />
die vom Künstlerischen Beirat<br />
des Vereins bespielt wird. Die<br />
Bar selbst wird alle zwei Jahre<br />
von einem Kunstschaffenden<br />
mit Freiburg-Bezug neugestaltet<br />
(aktuell: BLIND PIG<br />
von Kriz Olbricht). Sie schafft<br />
einen Treffpunkt für die Freiburger<br />
Kunstszene und dient<br />
als offener Raum für Präsentationen,<br />
Performances und<br />
Gespräche. Auf Initiative von<br />
Studierenden organisieren die<br />
kunstFReunde seit 2016 regelmäßige<br />
Veranstaltungen zu den<br />
Ausstellungen im Kunstverein<br />
Kunstverein Freiburg<br />
und Ausflüge zu anderen Plätzen<br />
zeitgenössischer Kunst in<br />
der Region. Der Kunstverein<br />
versteht sich als Ort des Experiments<br />
– als ein Produktionsfeld<br />
für Neues, für Entdeckungen<br />
und Fragen, nicht für beruhigende<br />
Bestätigungen oder fertige<br />
Antworten. Statt Etabliertes<br />
zu zeigen oder Erwartungen<br />
zu erfüllen, geht es ihm darum,<br />
das Selbstverständliche in Frage<br />
zu stellen und neue, ungewohnte<br />
Darstellungsformen<br />
und Sichtweisen vorzustellen,<br />
um eine kritische Auseinandersetzung<br />
mit der Gegenwart zu<br />
ermöglichen.<br />
Ann-Kathrin Harr<br />
Foto: Marc Doradzillo<br />
Info: www.kunstvereinfreiburg.de<br />
Aktuelle Ausstellung: „Berthold<br />
Reiß – Exemplar“ bis 10. März.<br />
Öffnungszeiten während einer<br />
Ausstellung: Di-So 12-18 Uhr<br />
und Mi 12-20 Uhr.<br />
EMail (z. B. zum Newsletter-Abo):<br />
info@kunstvereinfreiburg.de<br />
Gastautorin: Ann-Kathrin<br />
Harr, gebürtig in Luxemburg,<br />
studierte Kunstgeschichte, französische<br />
Literaturwissenschaft<br />
und Pädagogik an der Universität<br />
Trier, war von 2017 bis <strong>2019</strong><br />
Volontärin im Kunstverein Freiburg<br />
und arbeitet seit 1. März<br />
bei Museums-Pass-Musées in<br />
Basel.<br />
Rolf Böhme Kultur und Europa<br />
Vor wenigen Tagen verstarb<br />
Rolf Böhme 84-jährig. Er amtierte<br />
von 1982 bis 2002 als<br />
Freiburger Oberbürgermeister.<br />
Böhme war Generalist mit<br />
Schwerpunkt auf finanzpolitischen<br />
Fragen und europäischen<br />
Die Seiten „Kulturhauptstadt“<br />
werden unterstützt von:<br />
Belangen. Für Freiburg bleibt<br />
kulturpolitisch stehen, dass er<br />
Gründung und Fortbestand des<br />
ZMF und des Jazzhauses wesentlich<br />
begleitete. Zwei weitere<br />
Aspekte sind vielleicht nicht so<br />
bewusst. Gleich zu Beginn der<br />
Amtszeit beförderte Böhme mit<br />
Geschick den Ankauf des großen<br />
Emaille-Kunstwerks „Freiburger<br />
Bild“ von Horst Antes, das seit<br />
1974 bereits an der ehemaligen<br />
Westfront des Stadttheaters<br />
angebracht war. Dafür die Gemeinderatsmehrheit<br />
zu erzielen,<br />
war nicht selbstverständlich. Das<br />
Objekt wurde bekanntlich bald<br />
demontiert und ist über 20 Jahre<br />
nun schon eingelagert. Da kann<br />
sich der neue OB noch Sporen<br />
verdienen. Zum seinerzeit virulenten<br />
Thema der Bewerbung<br />
Freiburgs um den Titel „Europäische<br />
Kulturhauptstadt“ schrieb<br />
Rolf Böhme (KulturJoker, Okt.<br />
2010) einige Notizen auf, aus denen<br />
kurz zitiert sei:<br />
„Die Diskussion zur möglichen<br />
Bewerbung von Freiburg als Kulturhauptstadt<br />
Europas 2020 halte<br />
ich für richtig und wichtig (...)<br />
Wenn das Bewerberjahr nicht auf<br />
das Jahr 2020 festgelegt wird,<br />
muss das kein Nachteil sein. Die<br />
Verbindung zur 900-Jahrfeier ist<br />
auch dann inhaltlich gegeben.<br />
Entscheidend für eine erfolgreiche<br />
Bewerbung sind nicht<br />
die Angebote und Inhalte der<br />
laufenden Kulturprogramme in<br />
der Stadt, sondern zusätzliche<br />
Schwerpunkte und Profile im<br />
möglichen Hauptstadtjahr (...)<br />
Als inhaltliche Schwerpunkte<br />
benenne ich: Die Gründungsgeschichte<br />
der Stadt mit der durch<br />
die Zähringer Herzöge bewirkten<br />
traditionellen Verbindung<br />
zur Schweiz(…); das Münster<br />
als sozialer und kultureller Mittelpunkt<br />
der Stadt und als Maßstab<br />
zur Baukultur in Freiburg,<br />
zugleich als Bürgerkirche das<br />
Sinnbild einer Partizipation der<br />
Zivilgesellschaft von heute (…);<br />
der Humanismus am Oberrhein<br />
im 15./16. Jh. als kulturelle, wirtschaftliche<br />
und auch politische<br />
Blütezeit, (…) Von diesem Geist<br />
war unsere Stadt auch politisch<br />
immer wieder beeinflusst, z.B.<br />
im Vormärz durch Rotteck und<br />
Welcker, und in der Revolution<br />
1848/49, ebenso auch in unserer<br />
Zeit, als Freiburg seit den<br />
1970er Jahren die Auseinandersetzungen<br />
mit den Neuen Sozialen<br />
Bewegungen erlebte und<br />
sich später als offene Stadt für<br />
Toleranz und Menschenrechte<br />
und gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit<br />
profilierte<br />
(…); die Erhaltung der natürlichen<br />
Lebensgrundlagen als ein<br />
Thema, durch das Freiburg eine<br />
Vorreiter-Rolle in der Umweltpolitik<br />
spielte (…).<br />
Rolf Böhme wusste damals<br />
noch nicht, dass die EU das<br />
Deutschland zusprechende Kulturhauptstadtjahr<br />
erst auf 2025<br />
festsetzen würde. Und er konnte<br />
nicht ahnen, dass sein Nachfolger<br />
allen derartigen Bemühungen<br />
in der Stadt mit einem folgenschweren<br />
„Basta“ im Mai 2011<br />
die wohl endgültige Absage erteilte.<br />
Martin Flashar