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10 KULTUR JOKER VISION 2025<br />

Kunstvereine im Gespräch (13):<br />

Freiburg sucht Experimente<br />

Kunstvereine spielen eine<br />

wichtige Rolle im Kulturleben<br />

von Städten und Gemeinden<br />

– gerade auch in unserer<br />

Region. Aber wie sieht das im<br />

Einzelnen aus? Die Serie über<br />

die Kunstvereine Südbadens<br />

geht dem nach. Diesmal bleiben<br />

wir in Freiburg. (mf)<br />

Mitten in der Innenstadt, direkt<br />

an der Dreisam liegt der<br />

Kunstverein Freiburg, der mit<br />

den an der Fassade angebrachten<br />

leuchtend roten Lettern „K“<br />

und „V“ auf sich aufmerksam<br />

macht.<br />

Der Bau überrascht, nicht nur<br />

dank seiner Geschichte als ehemaliges<br />

Schwimmbad, die man<br />

nur zu gerne vergisst, wenn<br />

man eintritt und sich plötzlich<br />

in einem Ausstellungsraum für<br />

zeitgenössische Kunst befindet.<br />

Wurde das Gebäude noch<br />

bis Ende der 1980er Jahre als<br />

Schwimmbad genutzt, beherbergt<br />

es heute den Kunstverein<br />

Freiburg. Umbauten in den<br />

1990er Jahren versiegelten das<br />

Schwimmbecken und schafften<br />

einen 400 Quadratmeter<br />

großen Ausstellungsraum. Die<br />

Schwimmhalle von damals ist<br />

zu einem Ort des Experiments<br />

und des Austauschs über gegenwärtige<br />

Kunst geworden.<br />

Der Kunstverein wurde 1827<br />

gegründet, gehört somit zu<br />

den ältesten Kunstvereinen in<br />

Deutschland und zählt stolze<br />

600 Mitglieder. Nach Standorten<br />

unter anderem am Münsterplatz,<br />

an der Friedrichstraße,<br />

in der Wiehre und im Schwarzen<br />

Kloster, bezog der Kunstverein<br />

das 1997 ehemaligen<br />

Marienbad. In jährlich fünf<br />

Ausstellungen werden hier international<br />

relevante, aber auch<br />

noch wenig beachtete, künstlerische<br />

Praktiken gezeigt und<br />

zur Diskussion gestellt. In der<br />

gegenwärtigen Kunst werden<br />

gesellschaftliche Umbrüche,<br />

technologische Entwicklungen,<br />

ökonomische Kräfte und ökologische<br />

Herausforderungen<br />

reflektiert. Ausgehend von seinen<br />

Ausstellungen, initiiert der<br />

Kunstverein Dialoge über aktuelle<br />

gesellschaftliche Fragen<br />

und schafft Verbindungslinien<br />

zu anderen Bereichen kultureller<br />

Produktion.<br />

Seit März 2017 ist Heinrich<br />

Dietz Direktor am Kunstverein<br />

Freiburg und startete sein<br />

Ausstellungsprogramm mit der<br />

Ausstellung Site Visit (März bis<br />

Juli 2017), in der gezielt generelle<br />

Fragen zur Institution und<br />

Ausstellungskonzeption aufgeworfen<br />

wurden. In wöchentlich<br />

stattfindenden Veranstaltungen<br />

wurden Künstlerinnen, Kunsthistoriker<br />

und Wissenschaftler<br />

zu Diskussionen eingeladen.<br />

Seither zeigt der Kurator des<br />

Kunstvereins in Einzel- und<br />

Gruppenausstellungen internationale<br />

Positionen. So waren<br />

im Rahmen der Ausstellung<br />

Immortalismus (September bis<br />

Oktober 2017) Arbeiten von<br />

Pakui Hardware oder Cécile B.<br />

Evans zu sehen. Im vergangenen<br />

Jahr (2018) gab es Objekte<br />

von Hans-Christian Lotz, Keramikarbeiten<br />

von Aaron Angell,<br />

eine Performance von New Noveta<br />

und eine über sechs Wochen<br />

im Kunstverein selbst entstandene<br />

Rauminstallation von<br />

Amy Lien & Enzo Camacho, die<br />

in der Ausstellungshalle und<br />

auf der Galerie zu sehen waren.<br />

Bei der jährlichen Regionale<br />

im November präsentiert der<br />

Kunstverein Werke von Kunstschaffenden<br />

aus der Region, im<br />

engen Austausch mit Ausstellungshäusern<br />

aus Frankreich,<br />

der Schweiz und Deutschland.<br />

Für die Zukunft wünscht sich<br />

Heinrich Dietz: „Einen Kunstverein,<br />

der weiterhin inspiriert,<br />

verwirrt, herausfordert oder<br />

auch verunsichert, der die Kritik<br />

an den herrschenden Verhältnissen<br />

befördert, neue Brücken<br />

schlägt und lebenswerte Zukünfte<br />

aufscheinen lässt. Ich glaube<br />

nicht, dass der Kunstverein die<br />

ganze Welt zur zeitgenössischen<br />

Kunst bekehren muss. Er macht<br />

Angebote, aber auf das Risiko,<br />

diese anzunehmen, kann sich<br />

nur jeder selbst einlassen. Im<br />

besten Falle könnte dann das Kaleidoskop<br />

der eigenen Weltsicht<br />

so durchgeschüttelt werden, dass<br />

dahinter noch etwas anderes<br />

sichtbar wird.“<br />

Im Kunstverein sollen nicht<br />

nur Ausstellungen stattfinden,<br />

sondern insbesondere<br />

der Austausch über Kunst und<br />

aktuelle gesellschaftliche Fragen<br />

ermöglicht sein. Neben<br />

den ausstellungsbegleitenden<br />

Veranstaltungs- und Vermittlungsprogrammen<br />

findet jeden<br />

ersten Donnerstagabend im<br />

Monat die „till ten Bar“ statt,<br />

die vom Künstlerischen Beirat<br />

des Vereins bespielt wird. Die<br />

Bar selbst wird alle zwei Jahre<br />

von einem Kunstschaffenden<br />

mit Freiburg-Bezug neugestaltet<br />

(aktuell: BLIND PIG<br />

von Kriz Olbricht). Sie schafft<br />

einen Treffpunkt für die Freiburger<br />

Kunstszene und dient<br />

als offener Raum für Präsentationen,<br />

Performances und<br />

Gespräche. Auf Initiative von<br />

Studierenden organisieren die<br />

kunstFReunde seit 2016 regelmäßige<br />

Veranstaltungen zu den<br />

Ausstellungen im Kunstverein<br />

Kunstverein Freiburg<br />

und Ausflüge zu anderen Plätzen<br />

zeitgenössischer Kunst in<br />

der Region. Der Kunstverein<br />

versteht sich als Ort des Experiments<br />

– als ein Produktionsfeld<br />

für Neues, für Entdeckungen<br />

und Fragen, nicht für beruhigende<br />

Bestätigungen oder fertige<br />

Antworten. Statt Etabliertes<br />

zu zeigen oder Erwartungen<br />

zu erfüllen, geht es ihm darum,<br />

das Selbstverständliche in Frage<br />

zu stellen und neue, ungewohnte<br />

Darstellungsformen<br />

und Sichtweisen vorzustellen,<br />

um eine kritische Auseinandersetzung<br />

mit der Gegenwart zu<br />

ermöglichen.<br />

Ann-Kathrin Harr<br />

Foto: Marc Doradzillo<br />

Info: www.kunstvereinfreiburg.de<br />

Aktuelle Ausstellung: „Berthold<br />

Reiß – Exemplar“ bis 10. März.<br />

Öffnungszeiten während einer<br />

Ausstellung: Di-So 12-18 Uhr<br />

und Mi 12-20 Uhr.<br />

EMail (z. B. zum Newsletter-Abo):<br />

info@kunstvereinfreiburg.de<br />

Gastautorin: Ann-Kathrin<br />

Harr, gebürtig in Luxemburg,<br />

studierte Kunstgeschichte, französische<br />

Literaturwissenschaft<br />

und Pädagogik an der Universität<br />

Trier, war von 2017 bis <strong>2019</strong><br />

Volontärin im Kunstverein Freiburg<br />

und arbeitet seit 1. März<br />

bei Museums-Pass-Musées in<br />

Basel.<br />

Rolf Böhme Kultur und Europa<br />

Vor wenigen Tagen verstarb<br />

Rolf Böhme 84-jährig. Er amtierte<br />

von 1982 bis 2002 als<br />

Freiburger Oberbürgermeister.<br />

Böhme war Generalist mit<br />

Schwerpunkt auf finanzpolitischen<br />

Fragen und europäischen<br />

Die Seiten „Kulturhauptstadt“<br />

werden unterstützt von:<br />

Belangen. Für Freiburg bleibt<br />

kulturpolitisch stehen, dass er<br />

Gründung und Fortbestand des<br />

ZMF und des Jazzhauses wesentlich<br />

begleitete. Zwei weitere<br />

Aspekte sind vielleicht nicht so<br />

bewusst. Gleich zu Beginn der<br />

Amtszeit beförderte Böhme mit<br />

Geschick den Ankauf des großen<br />

Emaille-Kunstwerks „Freiburger<br />

Bild“ von Horst Antes, das seit<br />

1974 bereits an der ehemaligen<br />

Westfront des Stadttheaters<br />

angebracht war. Dafür die Gemeinderatsmehrheit<br />

zu erzielen,<br />

war nicht selbstverständlich. Das<br />

Objekt wurde bekanntlich bald<br />

demontiert und ist über 20 Jahre<br />

nun schon eingelagert. Da kann<br />

sich der neue OB noch Sporen<br />

verdienen. Zum seinerzeit virulenten<br />

Thema der Bewerbung<br />

Freiburgs um den Titel „Europäische<br />

Kulturhauptstadt“ schrieb<br />

Rolf Böhme (KulturJoker, Okt.<br />

2010) einige Notizen auf, aus denen<br />

kurz zitiert sei:<br />

„Die Diskussion zur möglichen<br />

Bewerbung von Freiburg als Kulturhauptstadt<br />

Europas 2020 halte<br />

ich für richtig und wichtig (...)<br />

Wenn das Bewerberjahr nicht auf<br />

das Jahr 2020 festgelegt wird,<br />

muss das kein Nachteil sein. Die<br />

Verbindung zur 900-Jahrfeier ist<br />

auch dann inhaltlich gegeben.<br />

Entscheidend für eine erfolgreiche<br />

Bewerbung sind nicht<br />

die Angebote und Inhalte der<br />

laufenden Kulturprogramme in<br />

der Stadt, sondern zusätzliche<br />

Schwerpunkte und Profile im<br />

möglichen Hauptstadtjahr (...)<br />

Als inhaltliche Schwerpunkte<br />

benenne ich: Die Gründungsgeschichte<br />

der Stadt mit der durch<br />

die Zähringer Herzöge bewirkten<br />

traditionellen Verbindung<br />

zur Schweiz(…); das Münster<br />

als sozialer und kultureller Mittelpunkt<br />

der Stadt und als Maßstab<br />

zur Baukultur in Freiburg,<br />

zugleich als Bürgerkirche das<br />

Sinnbild einer Partizipation der<br />

Zivilgesellschaft von heute (…);<br />

der Humanismus am Oberrhein<br />

im 15./16. Jh. als kulturelle, wirtschaftliche<br />

und auch politische<br />

Blütezeit, (…) Von diesem Geist<br />

war unsere Stadt auch politisch<br />

immer wieder beeinflusst, z.B.<br />

im Vormärz durch Rotteck und<br />

Welcker, und in der Revolution<br />

1848/49, ebenso auch in unserer<br />

Zeit, als Freiburg seit den<br />

1970er Jahren die Auseinandersetzungen<br />

mit den Neuen Sozialen<br />

Bewegungen erlebte und<br />

sich später als offene Stadt für<br />

Toleranz und Menschenrechte<br />

und gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit<br />

profilierte<br />

(…); die Erhaltung der natürlichen<br />

Lebensgrundlagen als ein<br />

Thema, durch das Freiburg eine<br />

Vorreiter-Rolle in der Umweltpolitik<br />

spielte (…).<br />

Rolf Böhme wusste damals<br />

noch nicht, dass die EU das<br />

Deutschland zusprechende Kulturhauptstadtjahr<br />

erst auf 2025<br />

festsetzen würde. Und er konnte<br />

nicht ahnen, dass sein Nachfolger<br />

allen derartigen Bemühungen<br />

in der Stadt mit einem folgenschweren<br />

„Basta“ im Mai 2011<br />

die wohl endgültige Absage erteilte.<br />

Martin Flashar

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