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6 KULTUR JOKER THEATER<br />

Durch den Teilchenbeschleuniger geschossen<br />

Michael Wertmüllers Oper „Diodati. Unendlich“ wird am Theater Basel uraufgeführt<br />

Eine rasende Hammond Orgel<br />

trifft auf ein hyperaktives<br />

Schlagzeug und einen pulsierenden<br />

E-Bass. Für das Trio<br />

Steamboat Switzerland hat Michael<br />

Wertmüller schon viele<br />

Stücke geschrieben und dabei die<br />

Grenzen zwischen Neuer Musik,<br />

Jazz und Rock aufgelöst. In seiner<br />

Oper „Diodati. Unendlich“<br />

(Libretto: Dea Loher), die das<br />

Theater Basel in Auftrag gegeben<br />

hat, ergänzt er das Trio mit<br />

einer E-Gitarre (Yaron Deutsch)<br />

und platziert es in den Orchestergraben,<br />

um gemeinsam mit dem<br />

Sinfonieorchester Basel unter<br />

der souveränen Leitung von Titus<br />

Engel diese rhythmische Energie<br />

auf die Bühne und in den<br />

Zuschauerraum zu schicken.<br />

Dea Lohers Libretto berichtet<br />

vom legendären Besuch englischer<br />

Literaten im Jahr 1816<br />

in der Villa Diodati am Genfer<br />

See. Die illustre Runde um Lord<br />

Byron berauscht sich an Opium<br />

und an den Gesprächen. Wegen<br />

des schlechten Wetters bleiben<br />

sie im Haus, debattieren über<br />

künstliches Leben und erzählen<br />

sich Schauergeschichten. In<br />

Kristina Stanek, Seth Carico, Holger Falk<br />

der Schweizer Idylle entsteht<br />

in diesem Sommer Mary Godwins<br />

Roman „Frankenstein“ und<br />

„Der Vampyr“, geschrieben von<br />

Byrons Leibarzt John Polidori.<br />

Loher verschränkt in ihrer Vorlage<br />

diesen historischen Schauplatz<br />

mit dem CERN im Kanton<br />

Genf, wo im 27 Kilometer<br />

langen Teilchenbeschleuniger<br />

Grundlagenforschung betrieben<br />

wird. In ihrer Inszenierung führt<br />

Regisseurin Lydia Steier beide<br />

©Sandra Then<br />

Ebenen zusammen. Flurin Borg<br />

Madsen bringt am Theater Basel<br />

ein Labor auf die Bühne, in dessen<br />

Mitte ein historischer Raum<br />

der Villa Diodati nachgebaut<br />

ist. Hier fahren Wissenschaftler<br />

in Schutzanzügen zu den ersten<br />

Schlagzeugimpulsen die leblosen<br />

Literaten auf Sackkarren hinein<br />

und reanimieren sie (Kostüme:<br />

Ursula Kudrna). Eigentlich werden<br />

die Figuren aber durch Michael<br />

Wertmüllers Musik zum<br />

Leben erweckt. Dabei arbeitet<br />

der Komponist mit schnellen<br />

Schnitten, die oft vom Schlagzeug<br />

geschärft werden. Die Pausen<br />

sind kurz, die Reizdichte ist<br />

hoch, alles passiert gleichzeitig!<br />

Einen größeren Spannungsbogen<br />

baut Wertmüller aber nicht auf.<br />

Er setzt auf einzelne Bausteine,<br />

die für sich stehen und durchaus<br />

unterschiedlich gestaltet sind.<br />

Kristina Stanek singt als Mary<br />

Godwin in großen melodischen,<br />

ganz opernhaft gezogenen Linien<br />

von ihrem verstorbenen Kind;<br />

die von Lord Byron schwangere<br />

Claire Clairmont (bis in stratosphärische<br />

Höhen glasklar: Sara<br />

Hershkowitz) leckt zur hochgepeitschten<br />

Musik seinen Schritt,<br />

ehe Byron von den Wissenschaftlern<br />

ein blinkendes Gerät um die<br />

Hüfte geschnallt bekommt, das<br />

ihn zusätzlich stimuliert. Mit<br />

atemberaubender Geschwindigkeit<br />

folgt Szene auf Szene. Rolf<br />

Romei als Mary Godwins Freund<br />

Percy Bysshe-Shelley mit Mittelscheitel<br />

und Nickelbrille singt<br />

strahlende Spitzentöne dazu.<br />

Seth Carico ist mit seinem mächtigen<br />

Bassbariton ein markanter<br />

Leibarzt Polidori, der im zweiten<br />

Teil in Strapsen Lord Byron seine<br />

Liebe erklärt.<br />

Im exquisiten Solistenensemble<br />

ist Holger Falk als anarchistischer<br />

Lebemann George Gordon<br />

Noel Lord Byron das Kraftzentrum.<br />

„Das große Ziel des Lebens<br />

ist Empfinden. Zu spüren,<br />

dass wir existieren“, formuliert er<br />

im zweiten Teil in einer der wenigen<br />

ruhigeren Szene sein Credo<br />

im Sprechgesang. Das sexuelle<br />

Verhältnis mit seiner Halbschwester<br />

Augusta Leigh (koloraturengeschärft:<br />

Samantha Gaul) zelebriert<br />

dieser Byron genauso<br />

selbstverständlich, wie er Orangen<br />

an seiner nackten Brust reibt.<br />

Rausch und Ekstase als Kern des<br />

Lebens? Eine Verbindung zwischen<br />

all den Elementen, die wie<br />

im Teilchenbeschleuniger umherschießen,<br />

gelingt an diesem<br />

Abend nicht. Aber vielleicht ist<br />

das auch zu konservativ gedacht<br />

für diesen herausfordernden<br />

Musiktheaterabend.<br />

Weitere Vorstellungen:<br />

1./7./19./23./31. März, 8. April<br />

<strong>2019</strong>, Theater Basel.<br />

Georg Rudiger<br />

Üppig bebildert, dünne Story<br />

Ewlina Marciniak untersucht in ihrer Inszenierung „Die Bartholomäusnacht“ am Theater Freiburg Machtstrukturen<br />

Die große<br />

Reise<br />

Eine Reise um die Welt<br />

von Judith Nab für Kinder ab 4 +<br />

Die Theaterinstallation steht<br />

vom 14. bis 24. März bei uns.<br />

Mehr unter: www.marienbad.org<br />

Kartentelefon: 0761 31470<br />

Vögel werden im Laufe der<br />

Inszenierung von Ewlina Marciniak<br />

noch das eine oder andere<br />

Mal genannt, so als sollte<br />

dies die plastische Existenz<br />

dieser Tiere auf der Bühne des<br />

Großen Hauses legitimieren.<br />

Aber sie machen sich da auch<br />

einfach gut in der Tiefe des<br />

Raums. Und Bühnenbildnerin<br />

Anna Królikiewicz hat jene europäischen<br />

Arten bemüht, die<br />

farblich am besten kommen:<br />

Eisvogel, Stieglitz, Grünspecht.<br />

Dabei soll hier keine Vogelhochzeit<br />

gefeiert werden, es ist<br />

symbolischer. Mit der Heirat<br />

von Margarete von Valois und<br />

Heinrich von Navarra sollte der<br />

Krieg zwischen den Katholiken<br />

und Protestanten in Frankreich<br />

befriedet werden, stattdessen<br />

mündete die Hochzeitsnacht<br />

in der Abschlachtung von gut<br />

10.000 Hugenotten ‒ der so genannten<br />

Bartholomäusnacht.<br />

Wie bereits beim „Sommernachtstraum“<br />

der jungen polnischen<br />

Regisseurin so ist auch<br />

der Schauwert von „Die Bartholomäusnacht“<br />

hoch – die Inszenierung<br />

basiert auf Motiven<br />

des historischen Romans von<br />

Alexandre Dumas (Textfassung:<br />

Jan Czaplinski und Michael Billenkamp).<br />

Marciniak ist stark<br />

von der Kunstgeschichte inspiriert.<br />

Hieronymus Boschs „Garten<br />

der Lüste“ ist auf einigen der<br />

historisch anmutenden Kostüme<br />

gedruckt und tatsächlich stammt<br />

die Vogelschar auch aus diesem<br />

Bild. Mutter Katharina von<br />

Medici (Anja Schweitzer) und<br />

ihre Tochter Claudia (Stefanie<br />

Mrachacz) stecken zusammen<br />

in einem Hemd. Man muss sich<br />

ihre Beziehung deshalb nicht<br />

gleich als symbiotisch vorstellen.<br />

Denn die eigentlichen Themen<br />

sind auch in der zweiten Freiburger<br />

Inszenierung von Ewlina<br />

Marciniak die Machtverhältnisse<br />

zwischen den Geschlechtern<br />

und die Gewalt, die gegen<br />

Frauen ausgeübt wird. Das 16.<br />

Jahrhundert ist mehr Ambiente<br />

als wirkliches Anliegen und<br />

es lässt sich kaum als Folie für<br />

heutige Zustände verstehen. Das<br />

weiß man auch auf der Bühne,<br />

nicht grundlos macht sich Lukas<br />

Hupfelds Heinrich von Anjou<br />

über den „Renaissancefeminismus“<br />

lustig. Frauen werden im<br />

monastischen Kalkül auf dem<br />

Altar der Politik geopfert, und<br />

wirklich sieht die Hochzeitstafel<br />

von Margarete (Rosa Thormeyer)<br />

und Heinrich von Bourbon<br />

(Thieß Brammer) ein bisschen<br />

wie das letzte Abendmahl<br />

aus, nur dass es hier mehr als<br />

einen Judas gibt und Margarete<br />

trotz aller Frömmelei (katholisch)<br />

lebensfroh und aufmüpfig<br />

genug ist, sich kurz vor ihrer<br />

Vermählung mit La Môle (Tim<br />

Al-Windawe) einen gar protestantischen<br />

Liebhaber anzulachen.<br />

Auch das politische Chaos<br />

beginnt mit der weiblichen<br />

Machtübernahme der Macht<br />

durch eine Frau, Katharina von<br />

Medici greift zu, als Heinrich<br />

II. (Hartmut Stanke) noch nicht<br />

einmal richtig kalt ist. Auch<br />

wenn er wie Holbeins toter<br />

Christus ausgestreckt auf dem<br />

Boden liegt, hält ihn dies nicht<br />

davon ab, noch ein paar letzte<br />

Worte zu verkünden, aufzustehen<br />

und zu gehen. Und schon<br />

bald sind, was eben noch Bürger<br />

von Paris waren, nur noch<br />

Katholiken und Protestanten.<br />

„Die Bartholomäusnacht“<br />

schaut mit dem Wissen über die<br />

Gegenwart auf die Vergangenheit.<br />

Ereignisgeschichte wird<br />

aufgerufen, Massaker gegenüber<br />

Protestanten in einer Kirche verübt,<br />

die kurzerhand angezündet<br />

wird, Pogrome gegen Juden,<br />

dann der Völkermord in Ruanda<br />

und das Attentat auf Utoya.<br />

Alles ist aus dem gleichen Geist<br />

entstanden, der Sündenfall der<br />

Glaubenskriege setzt sich fort.<br />

Der Protestantenhasser Heinrich<br />

de Guise (Henry Meyer) interessiert<br />

sich kein bisschen für den<br />

Wortlaut der Bibel, die gerade auf<br />

Französisch veröffentlicht wurde.<br />

Religion ist nichts anderes<br />

als ein Unterscheidungsmerkmal<br />

und Katharina de Medici<br />

ist nur wenig an einem gütlichen<br />

Ende des Konflikts gelegen, die<br />

Rolle der Friedensstifterin soll<br />

jedoch ihr zu kommen, da wird<br />

die Rivalin Johanna von Navarra<br />

(Janna Horstmann) noch auf der<br />

Zielgeraden vergiftet. Die Stoßrichtung<br />

der Inszenierung jedoch<br />

hat man bald verstanden und so<br />

können die drei Stunden durchaus<br />

lang werden. Da helfen auch<br />

diverse Splattereffekte nicht.<br />

Weitere Vorstellungen: 8./16.<br />

und 29. März, im Großen Haus<br />

des Theater Freiburg.<br />

Annette Hoffmann

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