-flip_joker_2019-03
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8 KULTUR JOKER THEATER<br />
Es menschelt bei den Göttern<br />
Die Straßburger Oper bringt Giovanni Legrenzis Oper „La Divisione del Mondo“ auf die Bühne<br />
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.<br />
Jupiter hat gerade die<br />
Titanen besiegt und fordert seine<br />
Brüder Neptun und Pluto auf,<br />
ihren Vater Saturn zu befreien.<br />
Venus verdreht nicht nur Mars<br />
den Kopf, sondern wird auch<br />
von Jupiter angebaggert, was<br />
seine Gattin Juno zur Weißglut<br />
bringt. Außerdem sind Neptun<br />
und Pluto Venus verfallen,<br />
was die schüchterne, in Pluto<br />
verliebte Cintia unglücklich<br />
macht. Der steife Apollo wehrt<br />
sich letztendlich erfolgreich gegenüber<br />
den Annäherungsversuchen<br />
der draufgängerischen<br />
Venus. „La Divisione de Mondo“<br />
(Die Teilung der Welt) von<br />
Giovanni Legrenzi heißt die<br />
frühe Barockoper, die Thomas<br />
Hengelbrock bei den Schwetzinger<br />
Festspielen im Jahr 2000<br />
mit seinem Balthasar Neumann<br />
Ensemble ausgegraben hatte.<br />
An der Straßburger Oper sitzt<br />
das französische Orchester Les<br />
Talens Lyriques unter Christope<br />
Rousset im Orchestergraben<br />
und bietet allein schon in der<br />
Continuogruppe mit drei Theorben,<br />
einer Barockharfe und<br />
Szene aus „La Divisione del Mondo“<br />
Foto: Klara BECK<br />
zwei Cembali einen musikalischen<br />
Reichtum, der beglückt.<br />
Die vielen Rezitative werden<br />
auf immer neue Weise begleitet,<br />
unterschiedlich gefärbt und<br />
emotionalisiert. Aus der verworrenen<br />
und handlungsarmen<br />
Geschichte macht die Regisseurin<br />
Jetske Mijnssen eine einzige<br />
große Beziehungskiste, die<br />
unterhält, aber auch in einigen<br />
Momenten tiefer geht, wenn die<br />
Verletzungen der Figuren spürbar<br />
werden. Es menschelt sehr in<br />
diesem Götterclan, den Bühnenbildner<br />
Herbert Murauer in einer<br />
feudalen Villa platziert. Obwohl<br />
die Regisseurin die Charaktere<br />
zuspitzt und auch karikiert, wird<br />
es an diesem leichten, humorvollen<br />
Abend nie zu platt, zumal<br />
Dirigent Christophe Rousset<br />
gerade auch die tragischen<br />
Momente auskostet.<br />
Mit blauem Anzug, gegeltem<br />
Haar und etwas zu viel Vibrato<br />
in der Stimme ist Carlo Allemano<br />
als Jupiter ein sich immer<br />
noch jung fühlendes Familienoberhaupt,<br />
dessen bessere Zeiten<br />
schon lange vorbei sind (Kostüme:<br />
Julia Katharina Berndt).<br />
Aus Neptun (mit hellem Tenor:<br />
Stuart Jackson) und Pluto (mit<br />
markantem Bariton: André<br />
Morsch) macht die Regie ein<br />
echtes Nerd-Brüderpaar mit<br />
Zauselbart und altbackenen<br />
Klamotten. Und wenn Neptun<br />
zum Rendezvous mit Cintia<br />
(glockenhell: Soraya Mafi) einen<br />
Goldfisch im Wasserglas<br />
mitbringt, ist das eines der vielen<br />
charmanten Regie-Details<br />
an diesem Abend. Der als noch<br />
rüstiger Rentner gezeichnete Saturn<br />
(Arnaud Richard) hat auch<br />
seine stumme Gattin dabei, die<br />
im Rollstuhl sitzt und raucht –<br />
Komik und Tragik halten sich<br />
die Balance. Auch die drei Countertenöre<br />
Jake Arditti (Apollo),<br />
Rupert Enticknap (Merkur) und<br />
Mars (Christopher Lowrey) bestechen<br />
nicht nur musikalisch,<br />
sondern bieten auch darstellerisch<br />
eine große Bandbreite an<br />
– zwischen zügelloser Leidenschaft,<br />
gelangweilter Coolness<br />
und verklemmter Intellektualität.<br />
Amor (Ada Elodie Tuca) und<br />
Discordia (Alberto Miguélez<br />
Rouco) sind Zwillinge in Schuluniformen,<br />
die für noch mehr<br />
Verwirrung sorgen. Im Mittelpunkt<br />
des Treibens steht Sophie<br />
Junker als von allen begehrte<br />
Venus. Die belgische Sopranistin<br />
ergreift jede Chance zum<br />
Espressivo und sorgt gemeinsam<br />
mit den wunderbar begleitenden<br />
Les Talens Lyriques für Ruhepunkte,<br />
die berühren. Am Ende<br />
zieht Jupiter Amor und Discordia<br />
an den Ohren und teilt die<br />
Welt zwischen den Brüdern auf:<br />
Neptun bekommt das Meer und<br />
Pluto die Unterwelt. Und auch<br />
die richtigen Paare finden zu<br />
einander. Nur der Göttervater<br />
muss schauen, wie seine Ehe mit<br />
seinem eifersüchtigen Luxusweibchen<br />
Juno (Julie Boulianne)<br />
noch zu retten ist.<br />
Weitere Vorstellungen: 1.3., 20<br />
Uhr, 3.3., 15 Uhr (Mulhouse,<br />
La Sinne), 9.3., 20 Uhr (Colmar,<br />
Théâtre), www.operanationaldurhin.eu<br />
Georg Rudiger<br />
Vier für die Commedia Dell‘Arte<br />
Antonio Latella zeigt mit „Die drei Musketiere“ im Theater Basel, dass intelligent auch lustig geht<br />
und Unterhaltung mehr ist als Klamauk<br />
Eines vorweg: Antonio Latellas<br />
Inszenierung „Die drei Musketiere“<br />
ist nicht dazu angetan,<br />
fehlende Lektürekenntnisse, was<br />
Alexandre Dumas angeht, zu<br />
kompensieren. Da muss man wohl<br />
weiterhin die einschlägigen Mantel<br />
und Degen-Filme konsultieren. Obgleich<br />
Dumas‘ Name auf der Kleinen<br />
Bühne des Theater Basel meist<br />
gleich im Dreiklang genannt wird,<br />
ist in „Die drei Musketiere“ bis auf<br />
das Grundgerüst der Handlung<br />
nicht allzu viel vom historischen<br />
Abenteuerroman übrig geblieben.<br />
Stattdessen geht es um das Theater<br />
an sich, den Widerstreit zwischen<br />
Commedia Dell’Arte und Comédie<br />
Française, Dramaturgen (mit Federico<br />
Bellini und Carmen Bach hat<br />
diese Produktion gleich zwei) und<br />
nicht zuletzt um Schauspielkunst.<br />
Und diese sieht man in den knapp<br />
zwei Stunden auf einem derart<br />
hohen Niveau, dass „Die drei Musketiere“<br />
einfach auch ein sehr vergnüglicher<br />
Spaß ist. Nicola Mastroberardino,<br />
Michael Wächter, Elias<br />
Eilinghoff und Vincent Glander,<br />
die man in den vergangenen Spielzeiten<br />
aus vielen anspruchsvollen<br />
Rollen kennt, zeigen, dass auch<br />
Komödie hohe Kunst ist.<br />
Athos, Porthos und Aramis tragen<br />
auf Jacken und Hosen die<br />
Rauten des Harlekinkostüms der<br />
Commedia Dell’Arte in Blauund<br />
Grautönen, nur D’Artagnons<br />
gelb-brauner Anzug variiert dieses<br />
Schema (Kostüme: Simona<br />
D’Amico) und dennoch können sie<br />
auf der leeren Bühne in zeitgenössischer<br />
Manier über das Motto der<br />
Musketiere „Einer für alle, alle für<br />
einen“ räsonieren. Einer nach dem<br />
anderen rennt zur Bühnenkante,<br />
erklärt seinen Beziehungsstatus<br />
in der dynamischen Männergemeinschaft<br />
und macht kehrt. Das<br />
arithmetische Paradox, dass vier<br />
drei Musketiere und D’Artagnan<br />
ergeben, bleibt ungelöst. Seit dem<br />
19. Jahrhundert ist „Einer für alle,<br />
alle für einen“ auch das traditionelle<br />
Motto der Schweiz und dies<br />
ist einer der Hinweise, dass es<br />
Antonio Latella nicht allein um<br />
eine ästhetische Diskussion geht,<br />
sondern auch um die schwindende<br />
Solidarität und die zunehmende<br />
Gleichgültigkeit Europas gegenüber<br />
Schwachen und den Verlust<br />
von universellen Werten. Carlo<br />
Goldonis Komödie „Diener zweier<br />
Herren“, die theatergeschichtlich<br />
so etwas wie den Höhepunkt des<br />
Stegreiftheaters bildet, ist insofern<br />
Vorbild als die vier Schauspieler<br />
gleich in drei Rollen zu schlüpfen<br />
haben. Weit vor der Ankunft<br />
der Musketiere lernen wir deren<br />
Pferde kennen, die Darsteller tragen<br />
Metallplatten unter den Schuhen<br />
und steppen die verschiedenen<br />
Gangarten und Charaktere: Musik,<br />
konkrete Poesie und Pferdegebiss.<br />
Bereits diese Stepptanzkomposition<br />
zeigt, dass Komik durch jeweilige<br />
Eigenarten und Physiognomien<br />
noch verstärkt wird. Dann kommen<br />
die Diener (schiefmäulig, mit hängenden<br />
Schultern und rollenden<br />
Augen) und irgendwann auch die<br />
Musketiere und D’Artagnan (mit<br />
Federbusch am Hut, viel Spitze,<br />
schwarzen Stiefeln und Degen).<br />
Latella greift zeitgenössische Theaterkonventionen<br />
auf, da wird gegen<br />
die vierte Wand gerannt, das Saallicht<br />
angelassen, durch die Ränge<br />
gelaufen und Nicola Mastroberardino<br />
versucht sich zaghaft an einer<br />
Zuschaueranrede. Das Ballett der<br />
französischen Komödie wird durch<br />
einen Tanz der Pferde ersetzt: statt<br />
„Schule der Frauen“ die hohe Schule<br />
der spanischen Hofreitschule. Allein<br />
dieses Kabinettstückchen lohnt<br />
schon den Theaterbesuch, umso<br />
mehr die vier Darsteller.<br />
Weitere Vorstellungen: 8./17./23.<br />
und 30. März, Kleine Bühne des<br />
Theater Basel. Annette Hoffmann