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KULTOUR KULTUR JOKER 19<br />

Abschied vom roten Teppich<br />

Dieter Kosslick prägte die Berlinale wie kein zweiter und erntete gleichzeitig oft harsche Kritik. Nach 19 Jahren<br />

geht der Festivaldirektor nun in Ruhestand. Am 17. Februar ging seine letzte Berlinale zuende<br />

Jeder in Berlin kennt Dieter<br />

Kosslick, „den Kossi“ wie sie ihn<br />

nennen, den vermutlich einzigen<br />

nicht nur geduldeten sondern<br />

sogar beliebten Schwaben in<br />

der Hauptstadt. 2001 übernahm<br />

der gebürtige Pforzheimer die<br />

Festivalleitung und sorgte vom<br />

ersten Tag an für frischen Wind.<br />

Nach der Ära des als knorrig und<br />

cholerisch geltenden Vorgängers<br />

Moritz de Hadeln änderte sich<br />

unter Kosslick aufgrund dessen<br />

unkomplizierter, humorvoller<br />

und kommunikativer Art schnell<br />

der Tonfall. Der neue Leiter<br />

setzte einiges in Bewegung: Er<br />

schärfte das Profil der Berlinale<br />

als politisches Festival, das man<br />

sich schon bei der Gründung<br />

1951 in der westberliner Enklave<br />

auferlegte, und setzte den Fokus<br />

noch stärker auf Filme, die soziale<br />

und politische Missstände<br />

anprangern und Haltung beziehen<br />

zu Themen wie Migration,<br />

Frauenrechte oder Homophobie.<br />

Gleichzeitig ist es Kosslicks Verdienst,<br />

dass die Berlinale zum<br />

größten Publikumsfestival der<br />

Welt avancierte. Im Gegensatz<br />

zu Cannes oder Venedig, wo sich<br />

die Filmszene in einer glamourösen,<br />

hermetisch abgeriegelten<br />

Blase bewegt, ist die Berlinale<br />

für jedermann zugänglich, was<br />

den Dialog zwischen FilmemacherInnen<br />

und ZuschauerInnen<br />

fördert – eine Tatsache, die<br />

auch auf Produzentenseite sehr<br />

geschätzt wird. Zusätzlich vergrößerte<br />

sich die Berlinale unter<br />

Kosslick signifikant und das ist<br />

gleichzeitig einer der Punkte,<br />

die man dem Direktor immer<br />

wieder vorwarf. Die Sektionen<br />

wurden erweitert, zu den etablierten<br />

Bereichen ‚Panorama‘,<br />

‚Forum‘ kamen die ‚Perspektive<br />

Deutsches Kino‘,eine Seriensparte,<br />

eine Reihe für indigenes<br />

Kino und das berüchtigte ‚Kulinarische<br />

Kino‘, jene Sektion, die<br />

Kino und kochen vereinen soll<br />

und immer wieder als typisches<br />

Beispiel für den merkwürdigen<br />

Wildwuchs des Berlinaleprogramms<br />

herangezogen wird. Zu<br />

groß und unübersichtlich wurde<br />

das Festival in den letzten Jahren.<br />

Bei in der Regel über 300<br />

Filmen, die in den neun Tagen<br />

anlaufen, entwickelte sich die<br />

Berlinale mehr und mehr zu<br />

einem „Festival des Verpassens“.<br />

Selbst der ambitionierteste<br />

Cineast kann maximal 20<br />

Prozent des Gesamtangebots<br />

sichten und das auch nur, wenn<br />

mindestens fünf Filme pro Tag<br />

abgesessen werden. Beinahe folgerichtig<br />

wirkte sich die quantitative<br />

Aufstockung dann auch<br />

auf die Qualität der Filme aus:<br />

Um alle Sparten bedienen zu<br />

Gibt nach 19 Jahren den Staffelstab weiter:<br />

Der scheidende Festivaldirektor Dieter Kosslick.<br />

© Pablo Ocqueteau / Berlinale <strong>2019</strong><br />

können, griff man offensichtlich<br />

zu oft auf Produktionen aus<br />

der zweiten Reihe zurück, über<br />

deren Sinn und Unsinn Jahr für<br />

Jahr enervierende Debatten geführt<br />

wurden.<br />

Daneben, und dieser Vorwurf<br />

wirkt schwerer, wurde Kosslick,<br />

als Direktor auch gleichzeitig<br />

künstlerischer Leiter des Wettbewerbprogramms,<br />

aufgrund<br />

mangelnder Profilierung eben<br />

jener Wettbewerbssektion, dem<br />

Herzstück und Aushängeschild<br />

des Festivals, kritisiert. Und in<br />

der Tat ließ die Berlinale hier<br />

oft Inspiration und Weltkino<br />

vermissen. Frische, innovative<br />

Filme, gar welche mit weltweiter<br />

Strahlkraft suchte man<br />

weitestgehend vergebens. Das<br />

Mittelmaß dominierte, der qualitative<br />

Abstand zur Konkurrenz<br />

in Cannes und Venedig<br />

wurde zusehends größer. Über<br />

Jahre gehörten daher bei Presse<br />

und Publikum die Beschwerden<br />

über die Wettbewerbsbilder zur<br />

Berlinale dazu, wie der eiskalte<br />

Februarwind und das graue Nieselwetter<br />

am Potsdamer Platz.<br />

Und so wurde die Kritik sowohl<br />

bei fachkundigen Beobachtern<br />

als auch in der Filmbranche<br />

selbst in den letzten Jahren lauter<br />

und lauter. Unrühmlicher<br />

Höhepunkt war 2017 ein offener<br />

Brief von 79 Regisseurinnen und<br />

Regisseuren aus Deutshland, in<br />

dem deutlich ein „Neuanfang“<br />

gefordert wurde. Unterzeichnet<br />

auch von langjährigen Weggefährten<br />

Kosslicks, wie beispielsweise<br />

dem Hamburger Filmemacher<br />

Fatih Akin, der 2004<br />

mit „Gegen die Wand“ in den<br />

Wettbewerb eingeladen wurde,<br />

prompt den Goldenen Bären<br />

gewann und so einen wichtigen<br />

Grundstein seiner späteren Karriere<br />

legen konnte. Spätestens<br />

da war Kosslick angezählt und<br />

auch für die Kulturstaatsministerin<br />

als institutionelle Förderin,<br />

die ihm grundsätzlich gewogen<br />

schien, nur noch schwer<br />

zu halten. Der in diesem Jahr<br />

auslaufende Vertrag wurde<br />

nicht verlängert, auch wenn er<br />

stets betonte, gerne weitermachen<br />

zu wollen. Ein ungewolltes<br />

und eher unglückliches Ende der<br />

19-jährigen Amtszeit.<br />

Wie war sie also nun, die letzte<br />

Berlinale unter der Ägide<br />

von Dieter Kosslick? Das Fazit<br />

ausnahmsweise vorweg: Es war<br />

durchschnittlich. Im Wettbewerb<br />

lief, typischer Weise, lange<br />

Zeit Mittelmaß, bis es dann am<br />

Ende doch noch spannend wurde.<br />

Das lag allen voran an dem<br />

israelisch-französischen Beitrag<br />

„Synonyms“, der bisweilen satirisch<br />

überhöht und in rasantem<br />

Tempo von einem jungen Israeli<br />

erzählt, der nach dem Militärdienst<br />

das Land gen Paris mit<br />

dem Ziel verlässt, mit seiner Heimat<br />

abzuschließen und sich seiner<br />

israelischen Identität zu entledigen.<br />

Für diese Geschichte erhielt<br />

Regisseur Nadav Lapid den<br />

Goldenen Bären. Die silbernen<br />

Bären für beste Hauptdarstellerin<br />

und besten Hauptdarsteller<br />

gingen in diesem Jahr beide an<br />

den beeindruckenden chinesischen<br />

Film „So long, my Son“.<br />

Der erzählt in verschachtelten<br />

Erzählsträngen eine tieftraurige<br />

Familiengeschichte, die eng mit<br />

den letzten dreißig Jahren der<br />

chinesischen Historie, von der<br />

Kulturrevolution bis zum heutigen<br />

Turbokapitalismus, verwoben<br />

ist - ein Highlight des diesjährigen<br />

Festivals. Und Angela<br />

Schanelecs sperriger und spröder<br />

Film „Ich bin zu Hause, aber…“<br />

sorgte zumindest für Irritationen<br />

und leidenschaftliche Debatten<br />

über das, was Kino kann, soll<br />

und darf – und derlei Auseinandersetzungen<br />

schaden nie! Der<br />

Silberne Bär für die beste Regie<br />

geht auch hier in Ordnung.<br />

Bemerkenswert und mehr als<br />

nur eine Randnotiz: sieben der<br />

16 Filme, die um die Bärentrophäen<br />

konkurrierten, kamen von<br />

Regisseurinnen, so viel wie noch<br />

nie. Auch hier ist die Berlinale<br />

Vorreiterin und auch das trägt<br />

Dieter Kosslicks Handschrift.<br />

Frischer Wind wird dem Festival<br />

gut tun, vor allem das<br />

Wettbewerbsprogramm braucht<br />

dringend eine Auffrischung.<br />

Dennoch hat Dieter Kosslick die<br />

Berlinale in ihrer Gesamtstruktur<br />

geprägt und zwar über seine<br />

Amtszeit hinaus. Nachfolger<br />

sind übrigens schon gefunden,<br />

die Aufgaben werden fortan<br />

geteilt: Mariette Rissenbeek,<br />

bislang Geschäftsführerin für<br />

German Films, übernimmt die<br />

kaufmännische, Carlo Chatrian,<br />

der derzeit noch dem Filmfestival<br />

von Locarno vorsitzt, die<br />

künstlerische Leitung. Blicken<br />

wir mit Spannung auf die Berlinale<br />

im kommenden Jahr, die<br />

sich pünktlich zu ihrem 70. Geburtstag<br />

in neuem Gewand präsentieren<br />

wird.<br />

Johannes Litschel<br />

Karten im Vorverkauf zu 15,- bis 40,- € (Ermäßigung für aktive Mitglieder der Freiburger<br />

Dommusik, „Freunde der Freiburger Dommusik e.V.“, Schüler, Studenten, Menschen mit<br />

Behinderung, Rentner) bei BZ Ticket (Kaiser-Joseph-Str. 229; Tel. 0761 4968888) oder<br />

unter www.reservix.de; Abendkasse Domsingschule Freiburg, Münsterplatz 10, ab 16 Uhr.

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