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Berliner Zeitung 06.04.2019

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2 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 81 · 6 ./7. April 2019<br />

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·<br />

Report<br />

Kommt sie oder kommt sie nicht?<br />

Wird die Gläserne Blume aus dem<br />

großen Foyerdes Palasts der Republik<br />

die versunkene DDR im neuen<br />

Prestige-Projekt Humboldt Forum ineiner<br />

positiven, schönen Facette vertreten? Die<br />

Frage der Blume wühlt auf. Eine Leserin<br />

schrieb: „Für die Gläserne Blume würde ich<br />

auf die Straße gehen.“<br />

Die jüngste Kunde lautet: Sie kommt ein<br />

bisschen, auf Zwergenformat geschrumpft<br />

und äußerlich deutlich verändert; das Original<br />

ist statisch und politisch zu gefährlich.<br />

Obendrein liegt dieses mittlerweile unzugänglich<br />

und zugerümpelt im Depot –ausgerechnet<br />

30 Mauerteile mussten dortuntergebracht<br />

werden, um vorErosion geschützt zu<br />

werden. EinTreppenwitz der Geschichte.<br />

Wasder DDR-Bürgern Palast und Blume<br />

bedeuteten, verdeutlichen schon die Zahlen.<br />

Vonder Eröffnung am 26. März 1976 bis zur<br />

Schließung im September 1990 hatte das<br />

Haus 70 Millionen Gäste –viermal die Bevölkerung<br />

der ganzen kleinen DDR. Fünf Millionen<br />

im Jahr.Eine unfassbar große Zahl.<br />

Die meisten betraten das Haus durch den<br />

Haupteingang, standen sofort imFoyer –86<br />

Meter lang, 42 Meter breit, acht Meter hoch<br />

über zwei Etagen –und sahen die Gläserne<br />

Blume: mit Edelstahl-Schaft, grüner Innenkugel<br />

und kristallen funkelnden Blättern. Groß<br />

und doch leicht, fünf Tonnen schwebten da<br />

5,20 hoch im Raum, hochpräsent trotz der erstaunlichen<br />

Transparenz. Dierunde Form entsprach<br />

den mehr als tausend Kugelleuchten.<br />

Die Idee der politischen und gestalterischen<br />

Architekten des Republikpalastes,das<br />

Foyer zum repräsentativen Empfangssalon<br />

fürs Volk zu machen, ging auf. Galt die Weltzeituhr<br />

auf dem Alexanderplatz für die umstandslose<br />

Verabredung als beste Wahl, so<br />

war das für den gepflegten Nachmittag die<br />

rote Polstergruppe an der Gläsernen Blume.<br />

Nurannähernd ähnlich<br />

Eingedenk des künstlerischen, emotionalen<br />

und historischen Stellenwertes erschien es<br />

als Selbstverständlichkeit, das Original aus<br />

den Depotkisten zu befreien und in der Nähe<br />

des ursprünglichen Platzes wieder aufzustellen.<br />

Aber nein: Diezuständige Stiftung Humboldt<br />

Forum teilt nun mit, man werde das<br />

Mini-Modell der Gläsernen Blume zuerst<br />

dem Stadtmuseum Berlin für seine Ausstellung<br />

„Ost-Berlin – die halbe Hauptstadt“<br />

ausleihen und es nach der Eröffnung des<br />

Humboldt Forums vorerst in einer Vitrine im<br />

Eingangsbereich der Ausstellung zur Geschichte<br />

des Ortes zeigen. Es handelt sich um<br />

ein 50 Zentimeter großes Blümchen, nur annähernd<br />

dem Original ähnlich, keine Kopie.<br />

Hergestellt hat es einer der beiden Schöpfer<br />

der Palast-Blume, Reginald Richter, imAuftrag<br />

der Stiftung Humboldt Forum–ohne den<br />

zweiten Urheber, RichardWilhelm, auch nur<br />

zu informieren, geschweige denn sein Einverständnis<br />

einzuholen. Dasist fast so,als würde<br />

man eine Kurzfassung der Dreigroschenoper<br />

fabrizieren und aus dem Künstlerduo<br />

Brecht/Weill den Brecht tilgen.<br />

DerVersuch, dem Schicksal der Blume näherzukommen,<br />

führt erst zum Interesse aufgeschlossener<br />

West-Kulturleute, dann in einen<br />

Irrgarten von Geschichtsvergessenheit,<br />

Gemeinheit, Eitelkeit, Arroganz und ideologischen<br />

Verklemmungen. Verstehen lässt sich<br />

der Konflikt um die Gläserne Blume nur vor<br />

dem Hintergrund der DDR-Abwicklung und<br />

den Abertausenden Verletzungen, die dabei<br />

entstanden. Siesind 30 Jahrenach dem Mauerfall<br />

keineswegs verheilt.<br />

Richard Wilhelm, Glaskünstler aus einer<br />

Bautzener Glasmacherfamilie mit 300-jähriger<br />

Tradition, hat seine speziellen Erfahrungen<br />

gemacht. Der Mitschöpfer der Gläsernen<br />

Blume ist 87 Jahrealt und lebt in Magdeburg.<br />

Dort entstand in der von ihm 1953 gegründeten<br />

und bis 1984 geleiteten Werkstatt<br />

das Kunstwerk. Er selber sei für die Gesamtleitung<br />

zuständig gewesen, sagt er,und habe<br />

überwiegend an der grünen Kugel gearbeitet,<br />

Reginald Richter an den großen kristallenen<br />

Blätternund deren Ornamenten.<br />

Gerne erinnert sich Wilhelm an die Änfänge.ImFrühjahr<br />

1974 habe ihn der Palastarchitekt<br />

Heinz Graffunder gefragt, wie man<br />

wohl die mit poliertem Marmor belegte Fläche<br />

des Foyers mit einem Zentrum, einem<br />

Höhepunkt versehen könnte. Erwusste um<br />

die Platzangst, die Menschen vorgroßen leeren<br />

Flächen zurückschrecken lässt. Statt<br />

diese zu betreten, weichen sie an die Ränder<br />

aus. Doch es sollte ja ein erhebendes Zu-<br />

Hause-Gefühl entstehen, ein Gesamtwerk<br />

von großer Schönheit. „Denk dir was aus,<br />

aber halt die Klappe“, so lautete Graffunders<br />

Auftrag. Wilhelm dachte sich was aus: zum<br />

einen ein Trio der geometrischen Grundformen<br />

Kubus,Kugel, Pyramide –zum anderen<br />

einen Baum. In der Urversion sah der auch<br />

so aus,mit roten Früchten am Geäst.<br />

DerBaum gefiel sofort, Graffunder stellte<br />

ihn dem obersten Bauherrn der Republik,<br />

Erich Honecker,vor –auch der war angetan.<br />

Doch statt der Früchte sollten es große Blätter<br />

sein und überhaupt wenig Farbe. Die<br />

brachten ja schon die großen Gemälde an<br />

den Wänden ins Revier.Zudem waren hochwertige<br />

Polstermöbel, rotes feines Leder, für<br />

das Staatswohnzimmer vorgesehen.<br />

Zu diesem Zeitpunkt war nach Wilhelms<br />

Erinnerung klar, dass ein so gewaltiges Werk<br />

eine Gemeinschaftsarbeit werden müsste –<br />

zumal der Fertigstellungstermin Anfang<br />

1976 Eile gebot. So wurde der am besten geeignete<br />

Kollege im Kollektiv der Glaskünstler,<br />

Reginald Richter, Wilhelms Schüler in Glasbaudingen,<br />

ins Vertrauen gezogen. In der<br />

Magdeburger Werkstatt legten insgesamt<br />

fünf Leute los: kreativ und handwerklich auf<br />

höchstem Niveau.<br />

Ein Reporter der <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> beobachtete<br />

dort imAugust 1977: Abgesehen<br />

vonder künstlerischen Idee könne einer„gut<br />

schleifen und in anderen Techniken arbeiten<br />

oder montieren“, ein anderer „bedenkt besonders<br />

schöpferisch die eine oder andere<br />

Aufgabe“. Der sozialistische Staat ehrte Wilhelm<br />

und Richter mit dem Orden „Banner<br />

der Arbeit Stufe I“, Richter auch als „Held der<br />

Arbeit“ und Wilhelm mit dem „Nationalpreis<br />

für Kunst und Literatur“.<br />

Von der Palasteröffnung weiß Richard<br />

Wilhelm eine echte DDR-Anekdote zu erzählen.<br />

Honecker habe dort„die Blume“ gepriesen,<br />

und prompt stand es am Tagdarauf genau<br />

so im Neuen Deutschland. Wilhelm bestand<br />

aber darauf, das Werk sei ein Baum,<br />

und bat im Kulturressort des Zentralorgans<br />

um Korrektur. Die Antwort: „Wenn der<br />

Staatsratsvorsitzende sagt, es ist eine Blume,<br />

dann bleibt es eine Blume.“<br />

Hübsche Geschichte, allerdings wird das<br />

Objekt als Teil der Foyer-Konzeption „Wenn<br />

Kommunisten träumen“ schon im Werkvertrag<br />

mit den beiden Künstlern von 1975 als<br />

Glas-Stahl-Plastik „Palast Blume“ bezeichnet.<br />

Als Gläserne Blume machte sie Karriere.<br />

Auch Lothar de Maizière, als erster frei gewählter<br />

Ministerpräsident der DDR zugleich<br />

ihr Abwickler, räumte 2016 ein, dass sich<br />

„unheimlich viele positive Alltagserlebnisse<br />

mit diesem Palast“ verbanden, und vermutete<br />

zu Recht, den Abriss mit der Asbestbelastung<br />

zu begründen, sei den Leuten wie<br />

eine „Scheindiskussion“ vorgekommen. Sie<br />

hätten das Gefühl gehabt: „Die meinen nicht<br />

das Gebäude.“<br />

Tatsächlich war der Abriss vomZornjener<br />

begleitet, die sich darin heimisch gefühlt hatten.<br />

Dieses Gefühl kristallisierte sich in der<br />

Gläsernen Blume. Soist das bis heute, denn<br />

sie existiertjanoch. Entsprechend aufregend<br />

war dieVorstellung, sie wieder aufzustellen.<br />

Zuerst gab es um 2006 im Deutschen Historischen<br />

Museum (DHM) unter dem damaligen<br />

Generaldirektor Hans Ottomeyer<br />

„Überlegungen, die Blume oder Teile davon<br />

im Foyer oder in Wechselausstellungen zu<br />

zeigen“, erfuhr die <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> jetzt vom<br />

Sammlungsdirektor Fritz Backhaus. „Doch<br />

da hatten wir das populäre, kompliziert aufgebaute<br />

Kunstobjekt noch nicht in Augenschein<br />

genommen“, schreibt er. Infolge dieser<br />

Überlegungen übernahm das DHM die<br />

Teile vom Bundesamt für zentrale Dienste<br />

und offene Vermögensfragen.<br />

Notdürftig gesichert<br />

Diezehn Glassegmente lagerninTransportrahmen<br />

verpackt, zum Teil an den Wänden<br />

lehnend, zum Teil in Regalen, die grüne Kugel<br />

in zwei Hemisphären geteilt auf Platten<br />

und sonstige Teile in Kisten in einem Spandauer<br />

Depot des DHM. Die Teile seien „so<br />

schwer,dass der Zustand aller Segmente von<br />

uns nicht ausreichend beurteilt werden<br />

konnte“, erklärt Fritz Backhaus. ImJanuar<br />

2008 berichtete ein Restaurierungsexperte<br />

des DHM von „vergilbtem und versprödetem<br />

Klebstoff, der wellig ist und sich zum Teil<br />

abziehen lässt“. Lose Teile der Glas-auf-Glas-<br />

Applikationen seien „notdürftig gesichert“.<br />

Eine „Aufstellung ohne jede restauratorische/konservatorische<br />

Maßnahme im Hinblick<br />

auf die Sicherheit der Öffentlichkeit“ sei<br />

„völlig ausgeschlossen“. Im Umkehrschluss:<br />

Nach Restaurierung wäreeswohl möglich.<br />

Als Nächste zeigte die Stadt Magdeburg<br />

Interesse an einer Rückholung der Blume an<br />

ihren Entstehungsortund an der Wiederaufstellung.<br />

Im März2011 beauftragte der Stadtrat<br />

den Oberbürgermeister, mit dem Verwahrer<br />

DHM sowie dem Bund als Eigentümer<br />

über eine Dauerleihgabe zu verhandeln.<br />

Möglicher Standort: das Foyer des MDR-<br />

Landesfunkhauses. Man bedachte die baustatische<br />

Prüfung –und vergaß nicht, beide<br />

Künstler zu befragen. Laut Magdeburger Beschlussprotokoll<br />

stimmte Richard Wilhelm<br />

im November 2010 zu, vorbehaltlich einer<br />

Sanierung.<br />

Reginald Richter äußerte sich skeptisch,<br />

war das Objekt doch für die besondere Umgebung<br />

des Palastfoyers erdacht. Zudem<br />

könnten jüngere Sicherheitsauflagen nur<br />

sehr schwer erfüllt werden. Eine Neuaufstellung<br />

erfordereÜberkopfmontage; das ist nur<br />

Die Frage<br />

der Blume<br />

Einst stand sie im Foyer des Palasts der Republik,<br />

die große Gläserne Blume.<br />

Dann verschwand sie im Depot, zerlegt und zugerümpelt.<br />

Und ihre beiden Schöpfer stritten um die Urheberschaft.<br />

Nur ein Miniatur-Modell soll nun im Humboldt Forum gezeigt<br />

werden. Warum zeigt man nicht das Original?<br />

Ein Lehrstück über den Umgang mit DDR-Kunst und<br />

Heimatgefühlen<br />

VonMaritta Tkalec<br />

Verehrtund missachtet: Die Gläserne Blume im Foyer des Palasts der Republik, elegant mit kristallklaren Blättern.<br />

BERLINER VERLAG

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