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Berliner Zeitung 06.04.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 81 · 6 ./7. April 2019 – S eite 29<br />

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Feuilleton<br />

Das neue<br />

Bauhaus-Museum<br />

in Weimar<br />

Seite 30/31<br />

„Genuschelt wird hier nicht mehr.“<br />

Harry Nutt sah und hörte einen überaus aufgeräumt auftretenden Bob Dylan Seite 30<br />

Hallo?<br />

Ist da noch<br />

wer?<br />

Die Choreografin<br />

Constanza Macras<br />

erobert mit ihrem<br />

Gentrifizierungsstück<br />

„Der Palast“<br />

die Volksbühne<br />

VonMichaela Schlagenwerth<br />

Constanza Macras läuft zu großer künstlerischer Form auf und knackt mit ihrem neuen Stück „Der Palast“ die Volksbühne. Anne Ratte-Polle (rote Perücke) ist mit von der Partie.<br />

THOMAS AURIN<br />

Alle weg? „Ja, alle weg!“,<br />

kräht Anne Ratte-Polle ins<br />

Mikrofon. Der Bäcker?<br />

Weg! Der Lebensmittelladen?<br />

Weg! Der Sexshop? Weg! Die alten<br />

Nachbarn? Weg! Stattdessen<br />

überall Menschen, die alle ganz toll<br />

divers und dabei doch so irre gleich<br />

aussehen. Ja, auch das Theater −es<br />

ist weg! Oder vielleicht doch nicht?<br />

Da kann man sich in der Volksbühne,<br />

bei der Uraufführung von<br />

„Der Palast“, auf einmal gar nicht<br />

mehr so sicher sein. Die neue Produktion<br />

der Choreografin Constanza<br />

Macras ist eine Ansage. Das in der<br />

ersten Hälfte ziemlich großartige Zusammenspiel<br />

von Tanz, Musik und<br />

Fotografie gerät in der Wut und im<br />

Widerstand gegen die Auswüchse<br />

der Gentrifizierung ins Rutschen.<br />

Elend vordem Theater<br />

Vielleicht sind auch schon die Menschen,<br />

die einem vor der Premiere<br />

draußen auf der Treppe der Volksbühne<br />

begegnen, eine Ansage. Der<br />

verwirrte Typ, der einen fragt, was<br />

hier heute Abend stattfindet, die alte<br />

Verkäuferin, die eine ganz neue Obdachlosenzeitung<br />

anbietet, ob man<br />

die nicht mal lesen wolle. Verschiedene<br />

Elendsfiguren, die um einen<br />

Euro oder auch nur um ein paar Cent<br />

bitten. Sie sind nicht weg. Und die<br />

Volksbühne? Dies ist nicht mehr so<br />

wie früher, aber sie ist doch auch<br />

nicht verschwunden.<br />

Zumindest ist sie an diesem<br />

Abend voll da −mit Anne Ratte-Polle<br />

zum Beispiel, die schon früher in der<br />

alten Castorf-Volksbühne gespielt<br />

hat. Mitall dem Show-Glitzer auf der<br />

Bühne, der dem Fundus von Bert<br />

Neumann entstammen könnte, dem<br />

verstorbenen Bühnenbildner,der die<br />

ZUR PERSON<br />

Herkunft: Constanza Macras wurde 1970 in Buenos Aires geboren und wuchs mit ihrer Familie<br />

in einem Vorortauf, den sich die Metropole inzwischen einverleibt hat.<br />

Ausbildung: Sie absolvierte eine Tanzausbildung in Argentinien und studierte am Merce Cunningham<br />

Studio in NewYork Modedesign.<br />

Ankunft: Seit 1995 arbeitet Macras in Berlin, sie gründete 1997 die CompagnieTamagochi Y2K<br />

und 2003DorkyPark.Ihre Arbeiten liefen am HAU, an der Schaubühneund der Volksbühne.<br />

Volksbühne gemeinsam mit Frank<br />

Castorf zudem gemacht hat, was sie<br />

wurde.Aber vorallem mit Constanza<br />

Macras selbst und diesem Stück, das<br />

wütend, politisch und intelligent und<br />

in der ersten Hälfte des Abends große<br />

Kunst ist. Diese Haltung und dieser<br />

Furor gehören unbedingt hierher.<br />

Das ist die Ansage. Hier kann etwas<br />

weitergehen in der Zukunft.<br />

Im ersten Teil des Abends schieben<br />

die Bühnenarbeiter des Hauses<br />

unermüdlich einzelne Bühnenbildelemente<br />

herein und wieder hinaus.<br />

Showtreppe, Jurorensessel, Bänke.<br />

Ohne dass diese überhaupt richtig<br />

zum Einsatz kommen würden. Fotografien<br />

von Tom Hunter, auf denen<br />

man Menschen wie Stillleben zu Objektkompositionen<br />

arrangiert sieht,<br />

werden auf große Leinwände projiziert.<br />

Am Kotti etwa, das Neue Kreuzberger<br />

Zentrum im Hintergrund,<br />

steht im Vordergrund ein Gemüsehändler,<br />

wie eingefroren, mit einem<br />

Apfel in der Hand, vor ihm zwei<br />

Menschen in mittelalterlicher gildeartiger<br />

Kleidung, ebenfalls mit Äpfeln.<br />

Oder später, eine eingefrorene<br />

Botticelli-Venus mit Hipster-Gesellschaft<br />

vor Hochhausensemble im<br />

Sandkasten.<br />

Die elektronische Musik von RobertLippok<br />

strudelt und strömt und<br />

staut sich, unterstützt von der Live-<br />

Musik von Santiago Blaum, Kristina<br />

Lösche-Löwensen und Jacob Thein.<br />

Daswirkt wie eine unablässige Hirnmassage.<br />

Alles wird durchlässig,<br />

durchdringt einander.Die Bilder von<br />

Hunter, die Tänzer, die man durch<br />

die Bilder hindurchscheinend im<br />

Hintergrund agieren sieht. Gerade<br />

noch waren sie in diversen schicken<br />

Solo-Showeinlagen unterwegs. Jetzt<br />

kommen sie einzeln wieder,inabgehackten<br />

Bewegungen, Plastikperücken<br />

auf dem Kopf, als Playmobil-<br />

Postbotin, Polizist und Ärztin. Oben,<br />

auf einer Balustrade,sieht man Playmobil-Mann<br />

und -Frau in ihrer<br />

Wohnhöhle. Pappschilder werden<br />

hervorgezerrt. „Wir bleiben.“ „Mieterwahnsinn<br />

stopp.“<br />

Bumm. Ist der Protest erschossen.<br />

Kommt die Playmobil-Ärztin,<br />

macht erfolgreiche Wiederbelegung.<br />

Kommt die Playmobil-Superwoman<br />

mit dem Räuberrad, dem alten<br />

Volksbühnen-Logo, auf dem Umhang<br />

und eliminiertdie Polizei. Kleiner<br />

Scherz amRand, im Mahlstrom<br />

des globalen Neoliberalismus, in<br />

dem man über Widerstand irgendwie<br />

nur noch als Comic erzählen<br />

kann. Denn alles verflüssigt sich.<br />

So wie hier die ineinandergreifenden<br />

Tänze, die Musik, die renaissancehaften<br />

Bilder,mit denen wuchtig<br />

etwas voneiner anderen Zeit in die<br />

Szenerie hineinragt. Etwas Stille in all<br />

dem Lärm. Eine nackte Botticelli-Venus<br />

mit sehr viel blonder Perücke<br />

wird später die Protest-Schilder wieder<br />

hervorkramen, die jetzt auch nur<br />

noch wie frei flottierende Zeichen<br />

wirken, und sie von oben auf das<br />

Bühnengeschehen werfen, und die<br />

Decken, die Matratzen und auch all<br />

ihrePerücken gleich hinterher.<br />

Constanza Macras hat nach einer<br />

Krise, inder ihr ein großer Teil ihrer<br />

Förderung und vor allem auch die<br />

Spielstätten in der Stadt abhandengekommen<br />

waren, seit zwei Jahren<br />

ein unglaubliches Comeback. Der<br />

Film „The Favourite“, bei dem sie für<br />

die Choreografie verantwortlich<br />

zeichnete, war gleich für mehrere<br />

Oscars nominiert. Würde es in Hollywood<br />

eine Kategorie für Film-Choreografie<br />

geben, Macras hätte mit<br />

der verrückt-absurden, großartigen<br />

Tanzeinlage in „The Favourite“ sicher<br />

zu den Nominierten gezählt.<br />

Die Beteiligung an einer neuen Hollywood-Produktion<br />

soll schon unter<br />

Dach und Fach sein.<br />

Aber vorallem hat Macras,die immer<br />

eine politisch denkende Choreografin<br />

war, zueiner neuen Wachheit<br />

und wieder zu einem ernsthaften<br />

künstlerischen Wollen gefunden.<br />

Eine Zeit lang hatte man durchaus<br />

den Eindruck von Stagnation. In ihren<br />

Stücken schien die Choreografin<br />

ihre einmal gefundene Ästhetik nur<br />

noch mit verschiedenen Themen<br />

durch zu konjugieren. Keine Spur davoninder<br />

ersten Hälfte von„DerPalast“,<br />

in dem sich die Choreografin<br />

gemeinsam mit ihrer Dramaturgin<br />

und Co-Autorin Carmen Mehnert an<br />

einerFormerprobt, die man so noch<br />

nie bei ihr gesehen hat −inder zweiten<br />

Hälfte des knapp dreistündigen<br />

Abends wird das Surrogat-Leben in<br />

den Bildern der Casting-Shows zwar<br />

mit viel Witz und überraschenden<br />

Wendungen, aber doch leider auch<br />

viel zu ausgedehnt durchdekliniert.<br />

Nötig war das nicht. Jedenfalls nicht<br />

in dieser doch selbst zu sehr auf die<br />

Effekte der Show setzenden Form.<br />

„Ich bin nach Berlin gekommen,<br />

weil ich indas Berlin der 20er-Jahre<br />

verliebt war“, sagt irgendwann Fernanda<br />

Farah, eine der wichtigen<br />

Macras-Akteurinnen der vergangenen<br />

zehn Jahre. Verliebt in das Berlin<br />

von„Cabaret“, aber auch in die Stadt<br />

von„Lola rennt“. In das Berlin aus all<br />

den anderen Filmen mit all diesen<br />

wilden, tollen Geschichten. Berlin,<br />

das ist eine Stadt voll mit Koks,<br />

Clubs, Berghain, Toiletten-Sex. Wow.<br />

Aber: Läuft das nicht in anderen<br />

Großstädten ähnlich ab?<br />

Wie wir nur noch inBildern und<br />

unseren Vorstellungen von Bildern<br />

leben, darum geht es in diesem zweitenTeil<br />

mitvielTanz und Gesang und<br />

Glitzer, mit absurden Marx- und<br />

Sartre-Zitaten und Einbrüchen aus<br />

dem wirklichen Mieter-Leben. Die<br />

Darsteller sind umwerfend, alle miteinander.<br />

Aber der künstlerische<br />

Atem hat nicht über die gesamte<br />

Strecke gereicht. Geschenkt.<br />

Abgestiegene Mittelschicht<br />

Voreinigen Wochen saß man schon<br />

staunend in „Megalopolis“, einem<br />

2009 in der Schaubühne uraufgeführten<br />

Stück, das Macras jetzt in der<br />

Volksbühne wieder aufgenommen<br />

hat. Damals hat einen das Stück<br />

nicht überzeugt. Zu fahrig, zu kaputt.<br />

Jetzt ist das, was Macras damals beschrieb,<br />

soziale Realität. Der Abstieg<br />

der Mittelschicht, die soziale Härte,<br />

die Armut. „Megalopolis“ springt einen<br />

mit seiner Wucht regelrecht an.<br />

Mit ihrer neuen Arbeit steht nun<br />

außer Frage, dass Constanza Macras<br />

der Volksbühne gewachsen ist. Sie<br />

hat ein großes Repertoire an Stücken,<br />

die in Berlin viel zu selten zu<br />

sehen waren. Es gibt alte Stücke, die<br />

unbedingt wieder zu neuem Leben<br />

erweckt werden könnten. Es gibt<br />

jetzt„Megalopolis“, „Der Palast“ und<br />

im Februar ein neues Macras-Stück.<br />

Alles weg an der Volksbühne? Es<br />

sieht gerade nicht danach aus.<br />

DerPalast 6.,14. April,16., 17. Mai, 20 Uhr,<br />

Volksbühne, Kartenunter Tel.: 24065777<br />

Michaela Schlagenwerth<br />

sähe gern mehr Tanz<br />

an der Volksbühne.

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