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10 6./7. APRIL 2019<br />
Alles Superfood,<br />
oder was?<br />
Leinsamen statt Chia<br />
Bei Chiasamen preisen dieAnbieter gerneden hohen<br />
Gehalt an Protein und Omega-3-Fettsäuren. Zudem sollen<br />
die unscheinbaren kleinen Körner beimAbnehmen<br />
helfen. Dabei toppt heimischer Leinsamen das mexikanische<br />
Chia, das bei der Ernährung der MayasundAztekenbereits<br />
vor5000 Jahren eine wesentliche Rolle<br />
spielte,umeiniges. Man sollte beim Kauf vonLeinsamen<br />
allerdings auf die Herkunft achten, warnt dieVerbraucherzentrale.<br />
Finger wegbeispielsweise vonImportwareaus<br />
fernen Ländernwie China.<br />
Johannisbeeren statt Granatapfel<br />
Der Granatapfel soll ebenso ein wahres Multi-Talent<br />
sein, wenn es um Gesundheit geht. Da ist der hohe<br />
Anteil an Antioxidantien, die die Zellen vorfreien Radikalen<br />
schützen können. Darüber hinaus liefertein<br />
Granatapfel viel Kalzium, Kalium und Eisen. Kalium<br />
findet man allerdings auch in Johannisbeeren, Pilzen,<br />
Rhabarber oder Blumenkohl, Eisen in Linsen<br />
oder weißen Bohnen und Kalzium in Grünkohl, der<br />
sowieso unschlagbar in puncto gesunder<br />
Ernährung ist.<br />
Werhinter dem Hype um Chia, Quinoa und Co vor allem<br />
gutes Marketing vermutet, hat gar nicht so unrecht.<br />
Denn deren Wirkung ist nicht immer bewiesen. Und<br />
heimische Früchte und Samen können fast genauso viel<br />
Ob Goji-Beeren, Avocados oder Quinoa –alle<br />
sollen sie wahre Kraftbomben sein, das Immunsystem<br />
stärken, den Cholesterinspiegel<br />
senken, das Leben verlängern und uns verjüngen.<br />
Damit das auch jeder mitbekommt, wurde extra<br />
einWort für besonders nährstoffreiche Lebensmittel erfunden:<br />
Superfood.<br />
Aber hält der Name, was er verspricht? Nicht immer.Dass<br />
die zum Trend gewordenen ,meist exotischen<br />
Früchte und Samen dank ihrer Inhaltsstoffe<br />
schöner, jünger und vitaler machen, ist<br />
laut Verbraucherzentrale häufig nicht wissenschaftlich<br />
belegbar. Auch ein gesundheitlicher<br />
Mehrwert ist im Vergleich<br />
zu heimischen Produkten<br />
nicht bewiesen. Außerdem<br />
gibt es exotisches Superfood<br />
VonAnne-Kattrin Palmer<br />
meist nur in verarbeiteter Form, oft sind etwa Beeren getrocknet.<br />
Dadurch oder durchWärmebehandlungen gehen<br />
allerdings die viel beworbenen Inhaltsstoffe zum Teil verloren.<br />
Außerdem kann man eine hohe Belastung mit<br />
Pflanzenschutzmitteln bei den Produkten nicht ausschließen.<br />
Also gibt es das Superfood gar nicht? Doch, nur in<br />
vertrauterer und gewöhnlicherer Form, als man erwartet.<br />
Die Verbraucherzentrale empfiehlt nämlich<br />
Lebensmittel vonhier,die es mit den importierten<br />
durchaus aufnehmen können. Siesind<br />
nicht nur günstiger,sonderndurch die kürzeren<br />
Transportwege auch umweltfreundlicher.<br />
Ein Leitfaden zu exotischen<br />
Beeren, Samen und Körnern<br />
und ihre heimischen<br />
Alternativen.<br />
Hirse statt Quinoa<br />
Derzeit gibt es einen wahren Hype um Quinoa, ein<br />
Pseudogetreide, weil aus botanischer Sicht nicht<br />
dem Getreide zugehörig.Die Körner sind vorallem für<br />
Veganer eine attraktiveProtein-Quelle. Außerdem<br />
enthält Quinoa für ein pflanzliches Lebensmittel viel<br />
Eisen. Heimische Alternativen gibt es dennoch: Einmal<br />
die Hirse, die ebenso glutenfrei ist. Außerdem<br />
den Hafer.Die Flocken gelten als Kraftbomben, sollen<br />
unter anderem den Cholesterinspiegel senken –<br />
und sind deutlich preiswerter als Quinoa.<br />
Kohl statt Schisandra<br />
Die Schisandra ist eine chinesische Rank- und Heilpflanze,<br />
deren rote Beeren reich an Flavonoiden undVitamin<br />
B6 sind. Die kleinen„Beeren der fünf Geschmäcker“<br />
(WuWei Zi) schmecken tatsächlichsehr ungewöhnlich.WerAlternativen<br />
sucht, mussdiese nicht im<br />
Reich der Mitte suchen, sondernwird auch in heimischen<br />
Gefilden fündig: Flavonoide sind ebenso in Äpfeln,<br />
Birnen, rotenTrauben sowie inAuberginen enthalten.Vitamin<br />
B6 ist in fast allen Lebensmitteln, besonders<br />
aber in Feldsalat, Kohlund grünenBohnen.<br />
Frühlingszwiebeln statt Papaya<br />
Sie gilt als tropischer Alleskönner:Die Papaya hilft<br />
angeblich beim Abnehmen, sorgt für schönere Haut<br />
und ist natürlich super für die Gesundheit. Schon<br />
Christoph Kolumbus betitelte die in Mexikound Südamerika<br />
beheimatete Papaya (bot. Carica papaya)<br />
als „Frucht der Engel“. Allerdings wegenihres Aromas.<br />
Wergünstigere und heimische Alternativen<br />
sucht, wird allerdings ebenso fündig.Vor allem das<br />
wichtigeVitamin Aaus der Papaya steckt auch in<br />
Frühlingszwiebeln, Eiern, Fleisch oder Karotten.<br />
Walnüsse statt Avocados<br />
Sie ist voll fett und gesund, aber leider kein Volltreffer<br />
für die Umwelt: Seit Jahren wird die Avocado wegen<br />
ihres hohen Gehalts an ungesättigten Fettsäuren, die<br />
gut für das Herz-Kreislaufsystem sein sollen, angepriesen.<br />
Die Nachteile: Für fünf Avocados (etwa ein<br />
Kilo) werden bis zu 1000 Liter Wasser verbraucht.<br />
Zum Vergleich: Bei einem Kilo Tomaten sind es nur<br />
rund 200 Liter.Alternative: Walnüsse. Sie haben einen<br />
noch höheren Gehalt an ungesättigten Fettsäuren<br />
und sie wachsen in Deutschland.<br />
Sonnenblumenkerne<br />
statt Açaí-Beeren<br />
Açaí-Beeren werden vielversprechende Wirkungen<br />
zugeschrieben: Sie sollen beim Abnehmen helfen,<br />
gegenDiabetes wirken und den Körper vorschädigenden<br />
Oxidationsprozessen schützen. Die brasilianische<br />
Wunderbeere aus dem Amazonas ist allerdings<br />
nicht unschlagbar.Heimische Produkte –wie<br />
Heidelbeeren oder blaue Trauben –können es durchaus<br />
mit ihr aufnehmen. Weitere Alternativen sind<br />
Leinsamenöl, Sonnenblumenkerne oder Rotkohl.<br />
Rote Trauben statt roher Kakao<br />
Natürlich ist er gesund: Roher Kakao liefertviele lebenswichtigeVitalstoffe,<br />
er ist sehr reich an Magnesium,<br />
schützt die Zellen mit wichtigen Antioxidantien<br />
und liefertverschiedene Inhaltsstoffe, die das<br />
Glücksgefühl steigern. Die „Nahrung der Götter“, wie<br />
Kakao bei den Inkas und Mayashieß, kommt allerdings<br />
vonweit her.Inunseren Breiten kann man ihn<br />
nicht züchten. Die unter anderem wertvollen Flavonoide<br />
sind aber in vielen regionalen Obstsorten enthalten<br />
–wie in Äpfeln, Birnen und roten Trauben.<br />
Hagebutten statt Goji-Beeren<br />
Sie gelten als roteWunderfrüchtchen, als Jungbrunnen -<br />
auch dank des hohenVitamin-C-Gehalts. Goji-Beeren<br />
(auchWolfsbeeren)kommen aus China oder der Mongolei<br />
–und seit geraumer Zeit gelten sie bei uns als das<br />
Superfood schlechthin. Doch es gibt günstigere und<br />
bessereAlternativen –wie beispielsweise schwarze Johannisbeeren,<br />
Hagebutteoder Sanddorn. Ein Pluspunkt<br />
der heimischen Produkte: Es gibt sie frisch zu kaufen.<br />
Goji-Beeren sind in der Regel getrocknet –und können<br />
daher auch vollerSchadstoffe sein.<br />
IMAGO IMAGES (15), GETTY (3)<br />
Leo<br />
Gutsch<br />
Vor Jahren stand ich in London voreinem<br />
Pub und trank ein Feierabend-Bier. Irgendwann<br />
kam eine Frau aus dem Pub, holte<br />
tief Luft und kotzte auf den Gehweg. Ich<br />
fragte die Frau, ob sie Hilfe brauche. Sie sah<br />
mich erstaunt an, ging in den Pub zurück<br />
und trank weiter.<br />
An diese Begebenheit muss ich jetzt<br />
manchmal denken, wenn darüber diskutiert<br />
wird, ob die Briten sich wirklich so sehr von<br />
uns Kontinental-Europäernunterscheiden.<br />
Dabei fällt mir noch eine andere Geschichte<br />
ein, die ich im All Souls College in<br />
Oxforderlebte.Ich war dortzueinem Abendessen<br />
eingeladen. Die Professoren trugen<br />
schwarze Talare, eine langeTafel war mit weißem<br />
Leinen, Silberbesteck und englischem<br />
Goldrand-Porzellan gedeckt. Hunderte Kerzentauchten<br />
den Raum in ein beunruhigendes<br />
Harry-Potter-Licht. Zum Beginn des Essens<br />
hielt der Dekan eine Tischrede in Latein,<br />
die vonden anderen mit gnädigem Murmeln<br />
quittiert wurde. Nach dem Dessert erzählte<br />
Liebe Briten, ich<br />
habe nachgedacht<br />
VonMaxim Leo<br />
der Dekan einen Witz, der von Manchester<br />
United, David Beckham und einem zu kleinen<br />
Penis handelte.<br />
Ich kenne kein anderes Land, das so besonders<br />
ist, und das seine Besonderheit mit<br />
solch einer Inbrunst zelebriert. Jedes Mal,<br />
wenn ich auf dieser fernen, nahen Insel bin,<br />
habe ich das Gefühl, in eine andere Zeit zu<br />
rutschen. Meistens in die Vergangenheit. Alles<br />
ist ein wenig anders, nur um Nuancen<br />
verschoben und doch erstaunlich fremd. Die<br />
bräunlichen Fassaden, das milchige Licht,<br />
die teigige, blasse Menschenhaut, die exaltierte<br />
Sprachmelodie, die schlummernde<br />
Eleganz. Neulich las ich, ein amerikanisches<br />
Filmstudio hätte die Massenszenen für einen<br />
Film, der im 14. Jahrhundert spielt, in England<br />
drehen lassen, weil die Gesichter der<br />
Menschen dort sowunderbar altertümlich<br />
wirkten.<br />
Diese ganzeBrexit-Debatte ist ja nicht nur<br />
wahnsinnig nervig, sie ist auch falsch, finde<br />
ich. Weil so getan wird, als würde die britische<br />
Besonderheit ganz unausweichlich zu<br />
einer Trennung vonEuropa führen.Viele Briten<br />
behaupten das, viele Kontinental-Europäer<br />
finden das. Ich halte das für Blödsinn.<br />
Ich denke, dass wir nichts nötiger haben als<br />
Besonderheit. Vonder Nicht-Besonderheit,<br />
der globalisierten Gleichheit, haben wir genug.<br />
Ich fand es immer toll, dass die Briten<br />
anders sind. Siemachen die lustigsten Filme,<br />
die traurigste Musik, spielen den härtesten<br />
Fußball und haben eine mutige Idee von<br />
Freiheit.<br />
Aus irgendeinem Grund kapiere ich erst<br />
jetzt, dass die Briten wirklich gehen werden.<br />
Bisher dachte ich immer:Na, mal sehen, vielleicht<br />
passiert janoch was. Mich macht das<br />
traurig, auch weil ich das Gefühl habe, dass<br />
es völlig unnötig ist. Dass es eigentlich kaum<br />
einer gewollt hat und dass es nun trotzdem<br />
geschieht. Weil Volltrottel wie David Cameron,<br />
Boris Johnson oder Nigel Farage es taktisch<br />
interessant fanden. Weil karrieregeile<br />
Sprechroboter wie Theresa May zu viel<br />
Macht bekamen. Weil das Volk sich aufhetzenund<br />
verdummen ließ.<br />
Aber, liebe britische Freunde, noch ist es<br />
nicht zu spät. Ich habe nachgedacht und einen<br />
Plan entwickelt, der den Brexit im letzten<br />
Moment verhindern könnte: Dazu wäre<br />
es notwendig, die arrogantesten und vomInzest<br />
am stärksten gezeichneten zweihundert<br />
Brexiteers auf die Kanalinseln Jersey und Guernsey<br />
zu verbannen. Anschließend hält die<br />
Queen eine Rede, die mit dem Satz „Ich bin<br />
eine Europäerin“ endet. Hugh Grant, der<br />
noch vorTheresa Mays Verschiffung das Amt<br />
des Premierministers übernimmt, ernennt<br />
Keira Knightley zur Außenministerin. Die<br />
Verhandlungen mit den EU-Vertretern über<br />
eine Rücknahme des Austrittsantrags sind<br />
nach einer halben Stunde abgeschlossen.<br />
Jean-Claude Juncker postet ein Selfie mit<br />
Keira Knightley und schreibt, Europa habe<br />
sich endlich wieder auf seine Werte besonnen.<br />
Dann gehen alle zusammen in den Pub.<br />
Klingt gut, oder?