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BERLINER KURIER, Mittwoch, 10. April 2019<br />
DasFoto oben zeigt mit<br />
Sturmgewehren bewaffnete Frauen,<br />
die angeblich bei der syrischen Stadt<br />
Raqqa für den IS kämpften.<br />
droht „lebenslänglich“, wenn sie<br />
schuldig gesprochen wird.<br />
So weit ist es aber noch lange nicht,<br />
auch weil der vorerst bis zur Sommerpause<br />
terminierte Prozess einige Unwägbarkeiten<br />
in sich birgt. Sind abgehörte<br />
Gespräche verwertbar? Welche<br />
Rolle spielte die FBI-„Quelle“, dem die<br />
Angeklagte auf den Leim ging? Konnte<br />
die Frauinder Männerdiktatur<br />
des IS menschlich und<br />
selbstbestimmt handeln?Anwalt<br />
Aydin reißt diese Fragen<br />
schon malan.<br />
Jennifer W. ist bei ihrer<br />
Mutter in Lohne aufgewachsen,<br />
einer Stadt im Landkreis<br />
Vechta. Sie besuchte die Realschule,<br />
wurde evangelisch getauft. Da war sie<br />
14. Kurze Zeit später verließ sie die<br />
Schule. Eine Lehre machte sie nicht.<br />
Mit 17 begannsie,sich für den Islam zu<br />
interessieren. Sie trug erst Kopftuch,<br />
dann den Niqab, den Gesichtsschleier,<br />
der nur einen Sehschlitz hat. 2013, da<br />
war Jennifer W. 22 Jahre alt, konvertiertesie<br />
zum Islam. Ein Jahrspäter,im<br />
August 2014, flog sie nach Istanbul,<br />
schlug sich nach Syrien ins Herrschaftsgebiet<br />
desISdurch.Inder von den Terroristen<br />
kontrollierten Stadt Raqqa<br />
Die Mutter musste<br />
dem Todihrer<br />
Tochter hilflos<br />
zusehen.<br />
wurde sie inden IS aufgenommen, erhielt<br />
den Namen Sahida Al Gariba,<br />
„Märtyrerin aus der fremdenFamilie“.<br />
Im Juni 2015 ging sie nach Mossul<br />
und Falludscha. W. hatte inzwischen<br />
geheiratet –den Iraker Abu Maawi,<br />
der zu dieser Zeit das Büro für Geisteraustreibungen<br />
in Raqqa leitete. Laut<br />
Anklage wurde sie nun in den Dienst<br />
der IS-Religions- und Sittenpolizei<br />
„Hisba“ zugeteilt.<br />
Mindestens drei Monate<br />
lang patrouillierte die<br />
Deutsche nun bewaffnet<br />
durch Mossul und Falludscha<br />
und schüchterte Frauen<br />
ein „zur Einhaltung der Verhaltens-<br />
und Bekleidungsvorschriften“,<br />
wie es in der Anklageschrift heißt.<br />
Der schreckliche Tod des Kindes<br />
trug sich zwischen Anfang Juli und<br />
September 2015 zu. Konkreter lässt<br />
sich das Datum nicht mehr ermitteln.<br />
Der Anklage zufolge hatten Jennifer<br />
W. und ihr Ehemann Abu Maawi Ende<br />
Juni 2015 einem anderen IS-Mitglied<br />
die gefangene Jesidin Nora B. und deren<br />
Tochter (5) abgekauft, um sie als<br />
Sklaven zu halten.<br />
An einem Tag im Sommer 2015 hatte<br />
das versklavte Kind eingenässt, wie es<br />
Reinhold Baier sitzt dem<br />
Gericht vor, das über die Schuld<br />
vonJennifer W. urteilen wird.<br />
Fotos: Getty Images Europe, dpa<br />
in der Anklage heißt. Abu Maawi sei<br />
darüber so erbost gewesen, dass er das<br />
Kind im Hof ankettete –bei 45 Grad<br />
und praller Sonne. „Obwohl die Angeschuldigte<br />
erkannte, dass das Mädchen<br />
mangels Flüssigkeit versterben<br />
würde, blieb sie untätig und versorgte<br />
es weder mit Wasser noch löste sie die<br />
Handschellen. Das Mädchen verdurstete<br />
in der Folge“, heißt es in der Anklage.<br />
Als Oberstaatsanwältin Claudia<br />
Gorf diese Passage vorliest, bleibt Jennifer<br />
W. teilnahmslos. Wird sie, die inzwischen<br />
selbst Mutter ist, auch so regungslos<br />
bleiben, wenn Nora B. im<br />
Laufe des Prozesses als Zeugin vor Gericht<br />
erscheinen wird? Die Jesidin<br />
tritt als Nebenklägerin auf. Am Dienstag<br />
war sie im Gericht noch nicht erschienen.<br />
Vertreten wird sie unter anderem<br />
von der Kanzlei der Menschenrechtsanwältin<br />
Amal Clooney.<br />
Den Bundesanwälten hatte Nora B.<br />
von einem Stoßgebet erzählt, dass sie<br />
im Angesicht des Todeskampfes ihrer<br />
Tochter ausrief. „Hoffentlich wird<br />
Gott ihnen das zurückgeben, hoffentlich<br />
werden sie für ihre Taten bestraft“,<br />
habe sie gerufen.<br />
Nora B. hatte berichtet, ein pinkfarbenes<br />
Kleid und kleine, rote Schuhe<br />
habe ihre Tochter getragen, als Abu<br />
Maawi sie in den Hof zerrte. Jennifer<br />
W. sei die ganze Zeit hindurch im<br />
Haus gewesen. Geweint habe das<br />
Kind, dann nur noch geröchelt und<br />
immer wieder mit leiser werdender<br />
Stimme „Mama“ gerufen, erinnerte<br />
sich die Mutter. Dann war das Mädchen<br />
still. Sie, die Mutter, habe im<br />
Haus am Fenster gestanden und hilflos<br />
zuschauen müssen, sich in ihrer<br />
Qual ganze Haarbüschel ausgerissen.