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DIE IDEE<br />
Cornelia Geppert wälzt Psychologiebücher,<br />
begibt sich sogar selbst in eine<br />
Psychoanalyse. Sie will verstehen, was<br />
ihrem Freund widerfährt – vor allem<br />
aber, wie ihre eigenen Ängste so groß<br />
werden konnten, dass sie unbeherrschbar<br />
erscheinen und sie von ihren Freunden,<br />
von der Außenwelt abschneiden. Besonders<br />
bedrohlich macht ihre Ängste, dass<br />
sie nicht greifbar sind. In ihrer Verzweiflung<br />
besinnt sich Geppert irgendwann<br />
auf das, was sie am besten kann: Fantasy-<br />
Welten entwerfen. Intuitiv beginnt sie,<br />
Skizzen der verängstigten Version ihres<br />
eigenen Ichs zu scribbeln.<br />
Es ist die Geburtsstunde von Kay, ihrer<br />
Schattenschwester. Gep pert ahnt: Mit<br />
Kays Hilfe könnte sie schaffen, woran sie<br />
im wahren Leben scheitert – ihren Ängsten<br />
in die Augen zu sehen. Sie zeichnet<br />
tierhafte Monster, entwirft die Kulisse<br />
der untergegangenen Stadt – und lädt<br />
einen ersten animierten Prototyp auf<br />
Twitter hoch. Der erste Slogan ihres<br />
Spiels: „Wenn Menschen zu einsam werden,<br />
verwandeln sie sich in Monster.“<br />
DIE REAKTION<br />
Was in den Tagen nach ihren ersten Posts<br />
geschieht, wird Cornelia Geppert nie<br />
vergessen. Ihre vage Idee, ein Spiel über<br />
Ängste und Einsamkeit zu entwickeln, löst<br />
einen Tsunami an positiven Reaktionen<br />
aus. Aus der ganzen Welt greifen Menschen<br />
ihre ersten Bilder auf und zeichnen<br />
eigene Entwürfe. Die ein gesandte<br />
Fan Kunst bedeckt heute in den Jo‐Mei<br />
Studios eine komplette Wand. Außerdem<br />
schicken die User zahllose Direktnachrichten<br />
an Geppert. Der Tenor ist immer<br />
der gleiche: Danke, dass du <strong>The</strong>men wie<br />
Angst und Einsamkeit in der Welt der<br />
Computerspiele aufgreifen willst.<br />
Geppert hatte offensichtlich einen<br />
bloßliegenden Nerv unserer Zeit getroffen.<br />
Während uns Instagram und<br />
Facebook einen globalen Dorfplatz vorgaukeln,<br />
auf dem wir alle immer näher<br />
zusammenrücken, tut sich hinter dieser<br />
digitalen Kulisse ein seelischer Abgrund<br />
auf, in dem die Einsamkeit regiert. Das<br />
überwältigende Feedback verleiht Geppert<br />
neuen Mut – im Umgang mit ihren<br />
Ängsten und in der Absicht, die aus der<br />
Not geborene Kay zur Heldin eines wirklichen<br />
Spiels zu machen.<br />
VIER WAHRE<br />
HELDINNEN<br />
Diese Frauen<br />
erobern ebenfalls<br />
die Gaming-Welt:<br />
Philomena Schwab<br />
Die Strategin<br />
Komplexe Abenteuer sind die<br />
Spezialität der Zürcherin: In<br />
„Niche“ hilfst du einer Fantasie-<br />
Tierart, auf unserem Planeten<br />
zu überleben. In „Nimbatus“<br />
(erscheint <strong>2019</strong>) musst du aus<br />
hunderten Teilen ein Raumschiff<br />
konstruieren und fortan Missionen<br />
im All bestehen.<br />
Sonja Hawranke<br />
Katharina Kühn<br />
Die Märchen-Königinnen<br />
Alte Geschichten zu neuem<br />
Leben erwecken, das ist das<br />
Markenzeichen der Gründerinnen<br />
des Start-ups Golden Orb.<br />
Unter diesem Namen veröffentlichten<br />
sie bereits die interaktiven<br />
Märchen „Siebenstreich“<br />
und „Aschenputtel“.<br />
Brenda Romero<br />
Die Vermittlerin<br />
Sagen, wie’s geht: Darin ist die<br />
Entwicklerin (u. a. „Wizardry“)<br />
besonders gut und verschafft<br />
so immer neuen Menschen Zugang<br />
zum Gaming – ob mit ihren<br />
Vorträgen über spielerisches<br />
Lernen oder mit ihrem Ratgeberbuch<br />
„Breaking into the Game<br />
Industry“.<br />
DER WEG<br />
Noch handelt es sich bei Kay und den<br />
Monstern um lose Ideen. Gemeinsam mit<br />
ihrem Geschäftspartner Boris Munser<br />
beschließt Geppert, auf dieser Basis ein<br />
Spiel zu entwickeln, das die Nutzer dazu<br />
bewegt, sich mit sich selbst und den<br />
eigenen Ängsten auseinanderzusetzen.<br />
Weiterhin teilt sie neue Prototypen in den<br />
sozialen Medien – und ihr unglaubliches<br />
Abenteuer erreicht das nächste Level.<br />
Mit ihrem Spiel über Einsamkeit hatte<br />
sich Geppert höchstens Chancen bei<br />
einem kleinen Independent-Label ausgerechnet.<br />
Doch als die positiven Reaktionen<br />
auf die neuen Entwürfe nicht<br />
abreißen, werden plötzlich die Global<br />
Player der Gamingwelt auf sie aufmerksam.<br />
Milliardenschwere Publisher wie<br />
Square Enix, Ubisoft und Microsoft melden<br />
sich bei Jo-Mei Games. „Plötzlich<br />
werde ich in die ganze Welt eingeladen,<br />
um meine Prototypen zu präsentieren.“<br />
Sie zeigt ihre Idee in San Francisco,<br />
in New York, in London und schließlich<br />
in Stockholm bei EA Originals, einem<br />
Zweig des Mutterkonzerns EA, der unter<br />
anderem die weltweit erfolgreiche<br />
Fußball simulationsserie „FIFA“ vertreibt.<br />
Als Geppert in Schweden erklärt, dass sie<br />
selbst hinter Kay steckt, sagt EA-Chef<br />
Patrick Söderlund nur einen Satz: „I need<br />
to have this game.“ Damit steht fest: Kay<br />
könnte nicht nur Geppert aus der Finsternis<br />
führen, sondern ihrem Studio Jo-Mei<br />
Gaming zu dessen erstem globalen Hit<br />
verhelfen.<br />
DAS ERGEBNIS<br />
Noch will Geppert die genaue Funktionsweise<br />
des Spiels nicht preisgeben. „In<br />
‚Sea of Solitude‘ zeigen wir, wie Menschen<br />
verschiedene Arten von Einsamkeit erleben.“<br />
Genau wie es Geppert selbst half,<br />
ihre eigenen Ängste in der Geschichte von<br />
Kay und den Monstern zu verarbeiten,<br />
sollen sich darin auch die Spieler wiederfinden<br />
können. „Umarme deine destruktive<br />
Art genauso wie deine hoffnungsvolle:<br />
Euphorie, Selbstzweifel, Angst,<br />
Zorn – in unserem Spiel geht es um einen<br />
gesunden Umgang mit unseren Emotionen“,<br />
sagt Geppert. Ziel wird es sein,<br />
dem Schattenwesen Kay dabei zu helfen,<br />
wieder ein Mensch zu werden. Und, so<br />
viel sei ver raten: Die Monster sind nicht<br />
Kays eigentliche Gegner.<br />
„Sea of Solitude“ erscheint im Spätsommer.<br />
Infos unter: ea.de<br />
Styling DOREEN REGEL @ BASICS.BERLIN<br />
Hair & Make-up TINA FISCHBACH @ BASICS.BERLIN<br />
DAN CERMAK, CHRIS LUEHRMANN, REUTERS<br />
60 THE RED BULLETIN