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The Red Bulletin Juni 2019

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DIE IDEE<br />

Cornelia Geppert wälzt Psychologiebücher,<br />

begibt sich sogar selbst in eine<br />

Psychoanalyse. Sie will verstehen, was<br />

ihrem Freund widerfährt – vor allem<br />

aber, wie ihre eigenen Ängste so groß<br />

werden konnten, dass sie unbeherrschbar<br />

erscheinen und sie von ihren Freunden,<br />

von der Außenwelt abschneiden. Besonders<br />

bedrohlich macht ihre Ängste, dass<br />

sie nicht greifbar sind. In ihrer Verzweiflung<br />

besinnt sich Geppert irgendwann<br />

auf das, was sie am besten kann: Fantasy-<br />

Welten entwerfen. Intuitiv beginnt sie,<br />

Skizzen der verängstigten Version ihres<br />

eigenen Ichs zu scribbeln.<br />

Es ist die Geburtsstunde von Kay, ihrer<br />

Schattenschwester. Gep pert ahnt: Mit<br />

Kays Hilfe könnte sie schaffen, woran sie<br />

im wahren Leben scheitert – ihren Ängsten<br />

in die Augen zu sehen. Sie zeichnet<br />

tierhafte Monster, entwirft die Kulisse<br />

der untergegangenen Stadt – und lädt<br />

einen ersten animierten Prototyp auf<br />

Twitter hoch. Der erste Slogan ihres<br />

Spiels: „Wenn Menschen zu einsam werden,<br />

verwandeln sie sich in Monster.“<br />

DIE REAKTION<br />

Was in den Tagen nach ihren ersten Posts<br />

geschieht, wird Cornelia Geppert nie<br />

vergessen. Ihre vage Idee, ein Spiel über<br />

Ängste und Einsamkeit zu entwickeln, löst<br />

einen Tsunami an positiven Reaktionen<br />

aus. Aus der ganzen Welt greifen Menschen<br />

ihre ersten Bilder auf und zeichnen<br />

eigene Entwürfe. Die ein gesandte<br />

Fan­ Kunst bedeckt heute in den Jo‐Mei­<br />

Studios eine komplette Wand. Außerdem<br />

schicken die User zahllose Direktnachrichten<br />

an Geppert. Der Tenor ist immer<br />

der gleiche: Danke, dass du <strong>The</strong>men wie<br />

Angst und Einsamkeit in der Welt der<br />

Computerspiele aufgreifen willst.<br />

Geppert hatte offensichtlich einen<br />

bloßliegenden Nerv unserer Zeit getroffen.<br />

Während uns Instagram und<br />

Facebook einen globalen Dorfplatz vorgaukeln,<br />

auf dem wir alle immer näher<br />

zusammenrücken, tut sich hinter dieser<br />

digitalen Kulisse ein seelischer Abgrund<br />

auf, in dem die Einsamkeit regiert. Das<br />

überwältigende Feedback verleiht Geppert<br />

neuen Mut – im Umgang mit ihren<br />

Ängsten und in der Absicht, die aus der<br />

Not geborene Kay zur Heldin eines wirklichen<br />

Spiels zu machen.<br />

VIER WAHRE<br />

HELDINNEN<br />

Diese Frauen<br />

erobern ebenfalls<br />

die Gaming-Welt:<br />

Philomena Schwab<br />

Die Strategin<br />

Komplexe Abenteuer sind die<br />

Spezialität der Zürcherin: In<br />

„Niche“ hilfst du einer Fantasie-<br />

Tierart, auf unserem Planeten<br />

zu überleben. In „Nimbatus“<br />

(erscheint <strong>2019</strong>) musst du aus<br />

hunderten Teilen ein Raumschiff<br />

konstruieren und fortan Missionen<br />

im All bestehen.<br />

Sonja Hawranke<br />

Katharina Kühn<br />

Die Märchen-Königinnen<br />

Alte Geschichten zu neuem<br />

Leben erwecken, das ist das<br />

Markenzeichen der Gründerinnen<br />

des Start-ups Golden Orb.<br />

Unter diesem Namen veröffentlichten<br />

sie bereits die interaktiven<br />

Märchen „Siebenstreich“<br />

und „Aschenputtel“.<br />

Brenda Romero<br />

Die Vermittlerin<br />

Sagen, wie’s geht: Darin ist die<br />

Entwicklerin (u. a. „Wizardry“)<br />

besonders gut und verschafft<br />

so immer neuen Menschen Zugang<br />

zum Gaming – ob mit ihren<br />

Vorträgen über spielerisches<br />

Lernen oder mit ihrem Ratgeberbuch<br />

„Breaking into the Game<br />

Industry“.<br />

DER WEG<br />

Noch handelt es sich bei Kay und den<br />

Monstern um lose Ideen. Gemeinsam mit<br />

ihrem Geschäftspartner Boris Munser<br />

beschließt Geppert, auf dieser Basis ein<br />

Spiel zu entwickeln, das die Nutzer dazu<br />

bewegt, sich mit sich selbst und den<br />

eigenen Ängsten auseinanderzusetzen.<br />

Weiterhin teilt sie neue Prototypen in den<br />

sozialen Medien – und ihr unglaubliches<br />

Abenteuer erreicht das nächste Level.<br />

Mit ihrem Spiel über Einsamkeit hatte<br />

sich Geppert höchstens Chancen bei<br />

einem kleinen Independent-Label ausgerechnet.<br />

Doch als die positiven Reaktionen<br />

auf die neuen Entwürfe nicht<br />

abreißen, werden plötzlich die Global<br />

Player der Gamingwelt auf sie aufmerksam.<br />

Milliardenschwere Publisher wie<br />

Square Enix, Ubisoft und Microsoft melden<br />

sich bei Jo-Mei Games. „Plötzlich<br />

werde ich in die ganze Welt eingeladen,<br />

um meine Prototypen zu präsentieren.“<br />

Sie zeigt ihre Idee in San Francisco,<br />

in New York, in London und schließlich<br />

in Stockholm bei EA Originals, einem<br />

Zweig des Mutterkonzerns EA, der unter<br />

anderem die weltweit erfolgreiche<br />

Fußball simulationsserie „FIFA“ vertreibt.<br />

Als Geppert in Schweden erklärt, dass sie<br />

selbst hinter Kay steckt, sagt EA-Chef<br />

Patrick Söderlund nur einen Satz: „I need<br />

to have this game.“ Damit steht fest: Kay<br />

könnte nicht nur Geppert aus der Finsternis<br />

führen, sondern ihrem Studio Jo-Mei<br />

Gaming zu dessen erstem globalen Hit<br />

verhelfen.<br />

DAS ERGEBNIS<br />

Noch will Geppert die genaue Funktionsweise<br />

des Spiels nicht preisgeben. „In<br />

‚Sea of Solitude‘ zeigen wir, wie Menschen<br />

verschiedene Arten von Einsamkeit erleben.“<br />

Genau wie es Geppert selbst half,<br />

ihre eigenen Ängste in der Geschichte von<br />

Kay und den Monstern zu verarbeiten,<br />

sollen sich darin auch die Spieler wiederfinden<br />

können. „Umarme deine destruktive<br />

Art genauso wie deine hoffnungsvolle:<br />

Euphorie, Selbstzweifel, Angst,<br />

Zorn – in unserem Spiel geht es um einen<br />

gesunden Umgang mit unseren Emotionen“,<br />

sagt Geppert. Ziel wird es sein,<br />

dem Schattenwesen Kay dabei zu helfen,<br />

wieder ein Mensch zu werden. Und, so<br />

viel sei ver raten: Die Monster sind nicht<br />

Kays eigentliche Gegner.<br />

„Sea of Solitude“ erscheint im Spätsommer.<br />

Infos unter: ea.de<br />

Styling DOREEN REGEL @ BASICS.BERLIN<br />

Hair & Make-up TINA FISCHBACH @ BASICS.BERLIN<br />

DAN CERMAK, CHRIS LUEHRMANN, REUTERS<br />

60 THE RED BULLETIN

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