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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 216 · D ienstag, 17. September 2019 – S eite 19 *<br />
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Feuilleton<br />
Design der Schnittigkeit<br />
und Lebensfreude:<br />
Nachruf auf Luigi Colani<br />
Seite 21<br />
„Die Kultur ist immer die Kultur der herrschenden Klasse.“<br />
Das gilt auch im Maxim-Gorki-Theater,woOliver Frljic Dostojewski und Tolstoi kombiniert. Seite 20<br />
Kulturausschuss<br />
Das politische<br />
Pirouett<br />
PetraKohse<br />
besuchte die zweite Lesung<br />
des Haushaltsentwurfs<br />
Hiermit ist dieser Änderungsantrag<br />
der AfD abgelehnt“, sagte<br />
die Vorsitzende des Kulturausschussesdes<br />
<strong>Berliner</strong> Abgeordnetenhauses<br />
Sabine Bangert bei der zweiten Lesung<br />
des Haushaltsentwurfes für<br />
2020/21 am Montagnachmittag<br />
schwungvoll und äugte schon auf den<br />
nächsten Punkt ihrer langenListe,als<br />
das spürbare Innehalten des ansonsten<br />
geschäftig murmelnden, kaffeetassenklappernden<br />
und blätterraschelnden<br />
Plenums sie verleitete,<br />
noch einmal ihren eigenen Worten<br />
nachzuhängen.„Ach, FDP natürlich“,<br />
lachte sie da und erklärte den Versprecher:<br />
„Das macht die Masse der<br />
AfD-Anträge,bitte verzeihen Sie.“<br />
Sabine Bangertist zu bewundern.<br />
Die Grünen-Politikerin sitzt dem<br />
Ausschuss seit drei Jahren vor und<br />
hebt mit der gleichmütigen Frische,<br />
mit der sie durch Tagesordnungspunkte<br />
und Zahlenkolonnen manövriert,<br />
durchaus die Moral. „Ich rufe<br />
auf: den laufenden Änderungsantrag<br />
Nummer 61“, tönt sie wie eine Auktionatorin<br />
und blickt diesem Antrag<br />
dabei gewissermaßen ganz persönlich<br />
ins Auge. Auch dass Ausdrücke<br />
wie „unterjährig“, „Ertüchtigung“<br />
oder „Förderung in der Fläche“ hinund<br />
herfliegen, „rote Nummern“ gezückt<br />
werden wie Joker und alle Doktortitel<br />
jedesmal mitgesprochen<br />
werden, hilft, das Procedere als Rollenspiel<br />
zu sehen, als Choreografie<br />
der Floskeln und Paragraphen.<br />
Wobei es sich natürlich um das<br />
Spiel des Lebens handelt, des <strong>Berliner</strong><br />
Kulturlebens, sofern dieses der<br />
Förderung bedarf. Darauf, dass hier<br />
zuweilen mit gezinkten Karten gespielt<br />
werde, hat gerade noch einmal<br />
die Koalition der Freien Szene hingewiesen,<br />
wenn„die Finanzverwaltung<br />
den Kulturhaushalt erhöht, um danach<br />
höhere Mieten für die kulturelle<br />
Nutzung landeseigener Liegenschaften<br />
einnehmen zu können“.<br />
Auch das ist wohl eine Traditionspirouette,<br />
die im Haushaltsausschuss<br />
sicher noch besser beobachtet werden<br />
kann. Die Ausschüsse tagen ja<br />
immer öffentlich, wissen Sie, oder?<br />
Journalistische Gespräche mit<br />
Vertretern der AfD bergen erhöhte<br />
Kollisionsgefahr.Das hat<br />
insbesondere in den öffentlich-rechtlichen<br />
SendernKommunikationsformen<br />
hervorgebracht, die<br />
eine gesteigerte Verunsicherung signalisieren.<br />
So versuchte nach den<br />
Landtagswahlen in Sachsen und<br />
Brandenburg die durch den Fernsehabend<br />
führende MDR-ModeratorinWiebke<br />
Binder,sich mit der stereotyp<br />
wiederholten Formulierung<br />
zu wappnen: „Das sehe ich aber anders“.<br />
Für ein Gespräch mit dem<br />
agent provocateur der AfD,dem thüringischen<br />
Landesvorsitzenden<br />
BjörnHöcke,reicht solch eine harmlose<br />
Bannfloskel allerdings kaum<br />
aus. Es gibt keine journalistische<br />
Entsprechung zur Praxis des Autofahrers,<br />
die rechte Hand immer auf<br />
der Handbremse liegen zu lassen.<br />
Das hat sich gewiss auch die Redaktion<br />
der ZDF-Sendung„Berlin direkt“<br />
gedacht, die sich auf ganz andereWeise<br />
für ein Interview mit Höcke<br />
präpariert hat. Herausgekommen<br />
ist dabei ein Sendefragment,<br />
das nun wie ein Brandbeschleuniger<br />
wirkt. Zuvor war eigens ein<br />
TV-Einspieler vorbereitet worden, in<br />
dem AfD-Abgeordnete mit der Testfrage<br />
konfrontiertworden waren, ob<br />
ein ihnen vorgelegtes Zitat aus einem<br />
Buch Höckes oder aus Hitlers<br />
„Mein Kampf“ stamme.Imanschließenden<br />
Interview wurde Höcke<br />
dann mit dem vielfach erhobenen<br />
Vorwurfkonfrontiert, völkische oder<br />
nationalsozialistische Sprachfiguren<br />
in seine Rhetorik einzubauen. Er<br />
antwortete gereizt, aber durchaus<br />
professionell. Kurz bevor sein Pressesprecher,der<br />
frühereWelt-Journalist<br />
Günther Lachmann, den Abbruch<br />
des Gesprächs herbeiführte,<br />
bestätigte Höcke noch diskussionsfreudig,<br />
er werde sehr gern auf Fragen<br />
zu seinem Demokratieverständnis<br />
antworten.<br />
Auffrischer Tatertappen<br />
Wenig Aussicht<br />
auf rhetorische<br />
Abrüstung<br />
Diskutiert wird hier nicht mehr.<br />
Über ein abgebrochenes Interview mit<br />
Björn Höcke und den Ausschnitt aus einem<br />
Grönemeyer-Konzert<br />
VonHarry Nutt<br />
Agent provocateur der politischen Rechten: BjörnHöckevon der AfD<br />
IMAGO IMAGES<br />
Das spektakulär gescheiterte Gespräch<br />
ist ein weiterer Beleg für das<br />
Dilemma in der Auseinandersetzung<br />
mit der politischen Rechten. DasBedürfnis,die<br />
ideologischen Absichten<br />
des mutmaßlich antidemokratischen<br />
Politikers auf frischer Tatzu<br />
ertappen, hat diesem im Ergebnis<br />
ein weiteres Maldazu verholfen, sich<br />
bereitwillig in die Opferrolle zu begeben.<br />
Für Höcke und die Seinen ist<br />
das Interview ein signifikantes Beispiel<br />
für die Existenz von scharf bewachten<br />
Meinungskorridoren und<br />
der Herrschaft einer politischen Korrektheit,<br />
die ihn diesmal auf durchtriebene<br />
Weise in den Hinterhalt einer<br />
Verhörsituation gelockt hat.<br />
Als Mann der Attacke sieht sich<br />
Höcke nicht gernals Spielball des politischen<br />
Gegners. Und so passt es<br />
ganz trefflich zum Klischee des versierten<br />
Demagogen, dass er sein Mikrofon<br />
nicht ohne eine Drohung vom<br />
Jackett abzog, die er sogleich mit einer<br />
süffisanten Machtfantasie und<br />
der nebulösen Aussicht auf spätere<br />
Rache verknüpfte. Das Gespräch ist<br />
zu einem viralen Hit geworden, weil<br />
es hinreichend Stoff für die emotionalen<br />
Verwertungsketten der politischen<br />
Lager bietet. Bei aller Aversion<br />
gegen die politischen Positionen des<br />
HerrnHöcke zeigt es aber auch, dass<br />
die Versuche, einen wie ihn auf offener<br />
Szene demaskieren zu wollen,<br />
nicht wirklich erfolgreich sind –wie<br />
dramaturgisch geschickt sie auch immer<br />
angelegt gewesen sein mögen.<br />
EinkurzerKonzertausschnitt<br />
Wie esumdas Verhältnis von Dramaturgie<br />
und politischer Aktion bestellt<br />
ist, weiß kaum jemand besser<br />
als BerndStegemann, der an der <strong>Berliner</strong><br />
Hochschule „Ernst Busch“ als<br />
Professor Schauspielgeschichte und<br />
Dramaturgie lehrt. Doch auch er geriet<br />
zum Wochenende durch einen<br />
Twitter-Kommentar unversehens in<br />
die Kampfzone einer aus dem<br />
Gleichgewicht geratenen Debattenkultur.Zueinem<br />
Videoausschnitt, in<br />
dem der Musiker Herbert Grönemeyer<br />
den fragwürdigen Satz herausschreit:<br />
„Es liegt an uns zu diktieren,<br />
wie diese Gesellschaft auszusehen<br />
hat“, steuerte Stegemann die<br />
Bemerkung bei, dass ihn diese Rhetorik<br />
ungut an einen Redner aus der<br />
Zeit vor 1945 erinnere. Den Namen<br />
Goebbels lieferte dann geifernd die<br />
Netzgemeinde nach.<br />
Später präzisierte Stegemann seinen<br />
Tweet im Magazin Cicero, wo er<br />
nachdenklich und sichtlich irritiert<br />
über die Reaktionen, die er bis hin zu<br />
einem Kommentar von Außenminister<br />
Heiko Maas ausgelöst hatte,<br />
schreibt: „Wohin führt ein Antifaschismus,<br />
der in zentralen Punkten<br />
die gleichen Mittel verwendet, wie<br />
der historische Faschismus.“ Stegemann<br />
bezogsich dabei auf die agitatorischen<br />
Mittel, die den Konzertbesucher<br />
als Teil einer gelenkten Masse<br />
erscheinen lasse. Der Ausschnitt<br />
zeige, soStegemann, „wie weit die<br />
Empörung schon fortgeschritten ist<br />
und wie schnell die Grenze zwischen<br />
Selbstgerechtigkeit beider Lager verschwimmen<br />
kann.“ Nach erfolgreichen<br />
Bemühungen um eine rhetorische<br />
Abrüstung sieht es derzeit allerdings<br />
nicht aus.<br />
NACHRICHTEN<br />
Museum der Moderne<br />
mehr als doppelt so teuer<br />
Dasvon den Schweizer Architekten<br />
Herzog &deMeuron entworfene<br />
Museum der Moderne in Berlin wird<br />
deutlich teurer als bisher geplant:<br />
Kulturstaatsministerin Monika Grütters<br />
(CDU) legte am Montag dem<br />
Haushaltsausschuss des Bundestages<br />
eine Kostenrechnung in Höhe<br />
vongut 450 Millionen Euro vor. Bisher<br />
waren offiziell 200 Millionen<br />
Euro veranschlagt, mit einer deutlichen<br />
Verteuerung war aber bereits<br />
gerechnet worden. AufBasis der<br />
konkretisierten Planungen sei die<br />
Fertigstellung des Gebäudes jetzt für<br />
2026 vorgesehen. Dererste Spatenstich<br />
solle „in den kommenden Wochen“<br />
erfolgen. (dpa)<br />
Amsterdam Museum streicht<br />
Begriff „Goldenes Zeitalter“<br />
Dashistorische Museum vonAmsterdam<br />
wirdden Begriff„Goldenes Zeitalter“<br />
für das 17. Jahrhundertnicht<br />
mehr verwenden. Dadurch würden<br />
einseitig die niederländische Blütezeit<br />
und der nationale Stolz betont,<br />
sagte der Konservator Tomvan der<br />
Molen.„Der Ausdruck ignoriertdie<br />
vielen negativen Seiten wie Armut,<br />
Krieg, Zwangsarbeit und Menschenhandel.“<br />
DieEntscheidung löste eine<br />
heftige Debatte in den Niederlanden<br />
aus.Mit dem„Goldenen Zeitalter“<br />
wirdeine Blütezeit vonrund 100 Jahrenbezeichnet,<br />
in der die niederländische<br />
Republik militärisch und wirtschaftlich<br />
eineWeltmacht war.Das<br />
Amsterdamer Reichsmuseum mit<br />
seiner Sammlung aus der kunstgeschichtlich<br />
einzigartigen Periode will<br />
den Begriff weiter nutzen. (dpa)<br />
Ric Ocasek, Sänger der<br />
US-Rockgruppe Cars, ist tot<br />
DerSänger der US-Rockgruppe The<br />
Cars,Ric Ocasek, ist im Alter von75<br />
Jahren gestorben. DerMusiker<br />
wurde am Sonntag in Manhattan<br />
leblos in einem Haus gefunden. Laut<br />
USA Today gibt es keine Hinweise<br />
auf Fremdeinwirkung. DieNew-<br />
Wave-Band wurde in den 70er-und<br />
80er Jahren mit Songs wie „Just What<br />
INeeded“ und „MyBest Friend’s<br />
Girl“ bekannt. Nach der Auflösung<br />
1988 arbeitete Ocasek solo. (dpa)<br />
UNTERM<br />
Strich<br />
Die Droge der Pandas<br />
Dauerbreite<br />
Evolutionsopfer<br />
VonThilo Bock<br />
Berlins Zoo feierte jüngst sein 175-jähriges<br />
Bestehen. Aus diesem Anlass hat<br />
man die beiden seit 2017 auf ihrem faulen<br />
schwarz-weißen Fell liegenden Pandas dazu<br />
gebracht, Babys zumachen –kleine niedliche<br />
Pandabärchen. Seit den demenzbedingten<br />
Abgängen vonEisbär Knut und Wowibär<br />
Klaus leidet die Stadt bekanntlich sehr unter<br />
ihrem fehlenden Knuddelfaktor.<br />
Natürlich wurde bei der Zeugung nachgeholfen.<br />
DiePandas verhalten sich schließlich<br />
als echte <strong>Berliner</strong> noch träger und phlegmatischer<br />
als ihre andersfarbigen Bärenkollegen.<br />
DieWeibchen sind lediglich am siebten<br />
Tag des siebten Monats in der siebenten<br />
Stunde fruchtbar, folgen aber je nach Herkunft<br />
verschiedenen Kalendersystemen. Zudem<br />
leiden sie vormittags generell unter<br />
Kopfschmerzen. Das gilt für die Männchen<br />
genauso, weshalb Pandas generell länger<br />
schlafen, nur äußerst ungernmiteinander.<br />
Nun muss man diese schwarzweißen<br />
Fellchinesen durchaus in Schutz nehmen.<br />
Eine Laune der Natur hat ihnen Bambus als<br />
einzige Nahrung zugewiesen, obwohl ihre<br />
Verdauung diesbezüglich überhaupt nicht<br />
ausgelegt ist. Einen Großteil des Verzehrten<br />
scheiden die Bären daher unverdaut wieder<br />
aus. Um trotzdem ausreichend Nährstoffe<br />
aus den Stangenpflanzen zu ziehen, müssen<br />
sich die nicht gerade als schlank bekannten<br />
Pandas bis zu vierzig Kilo davon reinziehen.<br />
Und futtern Sie mal einen halben Bambusgarten.<br />
Ungekocht, wohlgemerkt. Da ist<br />
man schnell mal einen halben Tagintensiv<br />
beschäftigt. Deranschließende Verdauungsschlaf<br />
ist gewiss auch der mechanischen Erschöpfung<br />
geschuldet.<br />
HENDRIK JONAS<br />
Es kommt noch arger.Bambus enthält einen<br />
Stoff, der Pandas schläfrig macht. Man<br />
kann dabei getrost vonRauschgift sprechen.<br />
Diese Bären sind tagein tagaus komplett zugedröhnt.<br />
Als Opfer der Evolution sind sie<br />
seit 5000 Jahren dauerbreit! Wasvon der Natur<br />
jahrtausendelang ungerührt akzeptiert<br />
wurde, alarmiert zunehmend Tierschützer.<br />
Bald werden gewiss Forderungen nach sofortigem<br />
Bambusentzug laut. Es ist beschämend,<br />
dass Pandas mittels Giftpflanzen ruhiggestellt<br />
werden, damit Voyeure Filmchen<br />
von ihrem tollpatschigen Verhalten anfertigen<br />
und ungestraft verbreiten können.<br />
Tatsächlich ist Pandaweibchen Meng<br />
Meng schon kurz nach ihrem Einzug in Berlins<br />
Zoo verhaltensauffällig geworden, weil<br />
sie sich bevorzugt rückwärts fortbewegt. So<br />
geht doch kein nüchterner Bär! Man muss<br />
nur mal gucken, woher der Zoo das Pandafutter<br />
bezieht. AusHolland!<br />
Jetzt wo Meng Meng geworfen hat, sollte<br />
man kein Risiko eingehen. Folgeschäden für<br />
den Nachwuchs aufgrund des Rauschmittelmissbrauches<br />
der Mutter müssen unbedingt<br />
minimiert werden. Vermutlich arbeiten die<br />
chinesischen Partner der Zoos ohnehin<br />
längst an Bambusersatzprodukten aus Tofu<br />
und Schweinefleisch.<br />
Nur unter uns <strong>Berliner</strong>n dürfte sich Widerstand<br />
regen. Schließlich ist der Panda einer<br />
wie wir. Ein jemütlicher Kerl, der Stress<br />
hat mit seiner Alten. Und wenn wir uns in<br />
unserer ausweglosen Lage allabendlich fünf,<br />
sechs Bierchen reinpfeifen, haut der sich halt<br />
seine zwanzig, dreißig Kilo Bambus hinter<br />
die Binde.Zeigen wir den Bären lieber unsere<br />
Verbundenheit und treffen uns kommenden<br />
Sonntag zu einem Solidaritätspicknick am<br />
Pandagehege! Aber nicht vor14Uhr.Für eine<br />
dem Anlass entsprechende Verpflegung ist<br />
selber zu sorgen.