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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 216 · D ienstag, 17. September 2019 5 **<br />
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Politik<br />
Dieses von Planet Labs Inc. am 15. September 2019 zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt schwarzen Rauch, der aus einer Raffinerie aufsteigt.<br />
DPA/PLANET LABS INC/AP<br />
Durch Terror in die Rezession<br />
Werschoss die saudischen Raffinerien in Brand? Die USA und die Saudis zeigen auf den Iran. Die Attacke schürt weltweit Ängste<br />
VonFrank Wenzel und Matthias Koch<br />
Abends wirdesderzeit nicht<br />
richtig dunkel in Abkaik,<br />
einer saudischen 30 000-<br />
Einwohner-Stadt nahe<br />
dem Persischen Golf. Der Himmel<br />
bleibt seltsam hell, die ganze Nacht<br />
hindurch. Denn noch immer schlagen<br />
gigantische Flammen aus der<br />
Raffinerieanlage von Abkaik, einer<br />
der größten der Welt. Am Morgen<br />
wiederum wird esnicht richtig hell.<br />
Denn Qualmwolken blockieren die<br />
Sonne.<br />
Schon seit Sonnabend, 3.31 Uhr<br />
Ortszeit, brennt es in Abkaik. Doch<br />
Löscharbeiten sind extrem mühsam<br />
in Anlagen dieser Art; sie werden<br />
sich, sagen Experten, noch etwas<br />
hinziehen, „nicht einige Tage, sonderneinige<br />
Wochen“.<br />
Auch über Churais,gut zwei Autostunden<br />
von Abkaik landeinwärts,<br />
zogen am Montag Rauchfahnen kilometerweit<br />
in den Himmel. Nie zuvorsind<br />
saudische Ölanlagen so vernichtend<br />
getroffen worden. Nie zuvorauch<br />
hat die Welt so gebannt zugesehen:<br />
Denn nichts verdüstert<br />
derzeit die weltweiten ökonomischen<br />
und politischen Perspektiven<br />
der Menschheit so sehr wie die<br />
Rauchwolken von Abkaik und Churais.<br />
Imschlimmsten Fall droht ein<br />
Krieg zwischen den USA und dem<br />
Iran.<br />
Auch ohne militärische Eskalation<br />
könnten sich aber schon die<br />
bloßen psychologischen Schockwellen<br />
verhängnisvoll auswirken. Angesichts<br />
überbewerteter Aktienmärkte<br />
und erneut gewachsener Staatsschulden<br />
fürchten Regierungen<br />
rund um die Welt, dass plötzlich<br />
allzu viele Investoren auf einmal die<br />
Nerven verlieren und durch diverse<br />
Kettenreaktionen eine neue Finanzkrise<br />
auslösen könnten –deren Format<br />
den Absturzvon 2008/2009 weit<br />
übertrifft.<br />
Drohnen oder Marschflugkörper?<br />
Wird die weltweite Rezession, vor<br />
der Experten seit langem warnen,<br />
am Ende von zündelnden Fundamentalisten<br />
herbeigebombt, die im<br />
vergessenen Bürgerkrieg im Jemen<br />
ein Zeichen setzen wollen gegen das<br />
verhasste saudische Herrscherhaus?<br />
Die US-Regierung ist hin- und<br />
hergerissen. Einerseits will sie weiter<br />
als der strengeWeltpolizist auftreten,<br />
der dem Iran gegebenenfalls auf die<br />
Finger haut. Andererseits fürchtet<br />
Präsident Donald Trump den mit einem<br />
möglichen Krieg verbunden<br />
Absturz der ökonomischen Daten<br />
Drohnenangriffe auf Ölanlagen in Saudi-Arabien<br />
xx Ölproduktion 2018 in Mio. Barrel pro Tag<br />
Rotes Meer<br />
300 km<br />
SYRIEN<br />
IRAK<br />
4,6<br />
Riad<br />
SAUDI-<br />
ARABIEN<br />
12,0<br />
wie der Teufel das Weihwasser. Nur<br />
wenn der DowJones oben bleibt und<br />
die US-Arbeitslosenquote unten,<br />
kann er im kommenden Jahr mit einer<br />
Wiederwahl rechnen. Ein Großkonflikt<br />
mit dem Iran aber wäre ein<br />
doppeltes Abenteuer, ökonomisch<br />
und politisch. Seinen Anhängern<br />
predigte er stets,die USA sollten sich<br />
endlich zurückziehen aus den vielen<br />
unübersichtlichen Kampfzonen dieser<br />
Welt.<br />
JEMEN<br />
IRAN<br />
4,7<br />
KUWAIT<br />
3,9<br />
Churais Abkaik<br />
KATAR 1,9<br />
V.A.E.<br />
3,9<br />
OMAN 1,0<br />
Arabisches<br />
Meer<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: DPA<br />
Und nun auch noch: Saudi-Arabien.<br />
WasinAbkaik und Churais genau<br />
geschah, wusste unten am Boden<br />
zunächst niemand. Die Menschen<br />
nahe der Anlagen hörten nur<br />
eine Serie von Explosionen, danach<br />
erhoben sich schon gigantische Feuerwände.<br />
Satellitenaufnahmen der USA<br />
deuten auf einen Luftangriff hin, offenbar<br />
mit einem Gemisch aus „sehr<br />
vielen“ Drohnen und Marschflugkörpern<br />
– wobei die Abgrenzung<br />
zwischen beiden Systemen längst<br />
verschwommen ist.<br />
Manche Marschflugkörper sind<br />
heute wendiger und leichter denn je,<br />
Drohnen wiederum können mehr<br />
Lasten tragen als früher.Experten sehen<br />
Drohnen bereits als „Marschflugkörper<br />
des kleinen Mannes“ und<br />
preisen ihre niedrige Flughöhe, die<br />
es erlaube, sogar sehr moderne Radarsysteme<br />
zu unterlaufen. Beide<br />
Waffentypen erlauben jedenfalls<br />
präzise Nadelstiche aus sicherer Entfernung,<br />
ohne jedes Risiko für die eigene<br />
Seite.<br />
Politisch bedeutsam ist jetzt, ob<br />
die Attacke eher dem Iran zugeordnet<br />
wird oder den im Jemen operierenden<br />
Huthi-Rebellen. Die Huthi,<br />
Feinde der Saudis,werdenzwar vom<br />
Iran unterstützt, unterstehen aber<br />
nicht direkt irgendeinem Kommando<br />
aus Teheran. Hätten die<br />
Huthi die Angriffe auf Abkaik und<br />
Churais bewirkt, könnte Trump<br />
nicht eindeutig den Iran dafür verantwortlich<br />
machen.<br />
Führende US-Regierungsbeamte<br />
aber zeigten sich am Montag ziemlich<br />
sicher, dass die Attacke auf 17<br />
technisch bedeutsame Ziele innerhalb<br />
der saudischen Ölanlagen nicht<br />
vonSüden kam, also aus dem Jemen,<br />
sondern von Norden –also eher aus<br />
dem Iran. Prompt drohte Trump zunächst:<br />
„UnsereWaffen sind geladen<br />
und gesichert.“ Am Montag betonte<br />
er hingegen, dass er einen Konflikt<br />
„sicherlich vermeiden“ wolle. Unklar<br />
blieb,wem genau Trumpeigentlich<br />
drohen wollte –oder müsste.Die<br />
Huthi-Rebellen im Jemen jedenfalls<br />
behaupteten am Montag, sie seien<br />
die Urheber der Luftangriffe auf die<br />
saudischen Ölanlagen. „Derartige<br />
Angriffe können wir jederzeit wiederholen“,<br />
erklärte der Sprecher der<br />
Huthi, Brigadegeneral YahyaSare’e.<br />
Saudis: Es sind iranische Waffen<br />
EinSprecherdes saudischen Militärs<br />
wiederum, Colonel Turki al-Malki,<br />
sagte Reportern inRiad, die Angreifer<br />
hätten „iranische Waffen benutzt“.<br />
Dies wiederum lässt auch<br />
noch eine dritte Deutung zu: Eine<br />
vomIrannicht gesteuerte,aber doch<br />
indirekt unterstützte Attacke.<br />
Die Wirtschaftsführer weltweit<br />
scheren sich freilich wenig um Details<br />
dieser Art. Immerhin konnten<br />
die meisten Investoren am Montag<br />
davon überzeugt werden, dass auch<br />
ein wochenlanger Ausfall von Öllieferungen<br />
aus Saudi-Arabien nicht<br />
gleich einen Absturz der Weltwirtschaft<br />
nach sich ziehen muss.<br />
Auf den beispiellosen Ausfall folgt der Schock am Ölmarkt<br />
Ob die Autofahrer hierzulande betroffen sein werden, ist noch unklar.Gut möglich, dass es Ende der Wocheeine kurzfristig spürbare Verteuerung für Benzin und Diesel geben wird<br />
VonFrank-Thomas Wenzel<br />
Die Drohnenangriffe auf die weltweit<br />
größten Ölanlagen in<br />
Saudi-Arabien haben am Montag einen<br />
Schock an den Rohstoffmärkten<br />
ausgelöst. Der Preis für ein Fass der<br />
wichtigsten Referenzsorte Brent<br />
schnellte an der Londoner Börse in<br />
den ersten Handelsminuten rund<br />
zwölf Dollar in die Höhe, das entspricht<br />
einem Plus von zirka 20 Prozent.<br />
Es handelt sich um das stärkste<br />
Plus innerhalb eines Tages seit 1988,<br />
als dort Termingeschäfte mit Öl gestartet<br />
wurden. Durch die Attacken<br />
wird die tägliche Fördermenge um<br />
rund 5,7 Millionen Fass (159 Liter)<br />
reduziert. Dasist mehr als die Hälfte<br />
der saudi-arabischen Erzeugung.<br />
DieMenge entspricht etwa fünf Prozent<br />
des globalen Bedarfs.<br />
„Wir haben noch nie einen solchen<br />
Versorgungsausfall und eine<br />
solche Preis-Reaktion am Ölmarkt<br />
gesehen“, sagte Saul Kavonic von<br />
Credit Suisse dem Finanzdienst<br />
Bloomberg. Im Laufe des Tages beruhigte<br />
sich die Lage.AmMontagnachmittag<br />
kostete ein Fass noch rund 65<br />
Dollar, das entspricht einem Aufschlag<br />
von gut 8,5 Prozent im Vergleich<br />
zum Schlusskurs vomFreitag.<br />
Zuletzt war Brent-Öl Mitte Juli so<br />
teuer.Vor einem Jahr wurden die 159<br />
Liter für gut 67 Dollar gehandelt.<br />
Inwiefern die Autofahrer hierzulande<br />
von dem Ölpreis-Schock betroffen<br />
sein werden, wird von der<br />
Entwicklung der nächsten Tage abhängen.<br />
In der Regel macht sich das<br />
Auf und Ab an den Rohstoffmärkten<br />
mit einer Verzögerung von drei bis<br />
vier Tagen an den Tankstellen bemerkbar.<br />
Gut möglich, dass es Ende<br />
der Woche eine zumindest kurzfristig<br />
spürbareVerteuerung für Benzin<br />
und Diesel geben wird – obwohl<br />
nach Informationen des Mineralölwirtschaftsverbandes<br />
nur 1,7 Prozent<br />
des importierten Öls aus Saudi-<br />
Arabien kommt. Der mit Abstand<br />
wichtigste Lieferant mit einem Anteil<br />
von 36Prozent ist Russland. Ein<br />
weiteres Viertel kommt aus Norwegen<br />
und den EU-Ländern.<br />
Ölreserven in MilliardenBarrel, 2019<br />
Saudi-Arabien<br />
266,3<br />
Venezuela<br />
302,8<br />
Russland<br />
80,0<br />
Vereinigte Arabische Emirate 97,8<br />
Kuwait 101,5<br />
Libyen 48,4<br />
Nigeria 36,2<br />
Sonstige<br />
208,1<br />
Ölpreis der Nordseesorte Brent Kurs in US-Dollar je Barrel (159 Liter)<br />
60<br />
50<br />
57,41<br />
62,08<br />
59,61<br />
63,60<br />
59,15<br />
Kanada<br />
167,4<br />
Iran<br />
155,6<br />
Irak<br />
147,2<br />
66,5<br />
60,30<br />
3.9. 5.9. 9.9. 11.9. 13.9. 16.9.<br />
BLZ/GALANTY; QUELLE: DPA, US-BEHÖRDE FÜR ENERGIESTATISTIK EIA, AFP<br />
Dass die Ereignisse dennoch Auswirkungen<br />
auf die hiesigen Spritund<br />
Brennstoff haben können,<br />
hängt mit der starken globalen Vernetzung<br />
des Ölgeschäftes zusammen.<br />
Saudi-Arabien exportiert vor<br />
allem nach Asien und in die USA.<br />
Wenn dorthin täglich mehrere Millionen<br />
Fass weniger geliefertwerden,<br />
kann dies zunächst durch Vorräte<br />
ausgeglichen werden. Aber durch<br />
das geringere Angebot wird sich die<br />
weltweite Maschinerie der Ölversorgung<br />
verschieben: Tanker, die ursprünglich<br />
für Europa bestimmt waren,<br />
werden nach Asien oder in die<br />
USA umgeleitet. Damit verringert<br />
sich das hiesige Angebot, was die Betreiber<br />
der Raffinerien zu spüren bekommen.<br />
Die höheren Einkaufspreise<br />
werden an die Autofahrer weitergegeben.<br />
Möglich ist das,weil der<br />
Spritmarkt zu rund 80 Prozent von<br />
fünf Konzernen –BP(Aral), Shell, Exxon-Mobil<br />
(Esso), Total, Conoco-<br />
Phillips (Jet) –kontrolliertwird.<br />
DieBetreiberin der angegriffenen<br />
Anlagen, die staatliche Ölfirma Saudi<br />
Aramco, kann nach Einschätzung<br />
von Experten innerhalb weniger<br />
Tage die Produktion für einen signifikanten<br />
Anteil der jetzt ausgefallenen<br />
Mengen wieder hochfahren. Es<br />
dürfte aber viele Wochen dauern, bis<br />
die volle Kapazität wieder erreicht<br />
ist. Lücken können mittelfristig andereAkteurefüllen,<br />
zumal die Erzeugung<br />
weltweit rationiertist.<br />
Opec drosselte die Fördermenge<br />
Im Dezember 2018 hatte das Opec-<br />
Kartell zusammen mit anderen wichtigen<br />
Öl-Ländern wie Russland die<br />
Fördermenge um 1,2 Millionen Fass<br />
gedrosselt. Lange herrschte ein Überangebot<br />
auf den Märkten. Dashat vor<br />
allem damit zu tun, dass die USA die<br />
Förderung mit dem Fracking-Verfahrenmassiv<br />
ausgebaut haben.<br />
Die Internationale Energieagentur<br />
teilte mit, man sehe bislang keine<br />
Versorgungsengpässe. Die Märkte<br />
seien vorerst ausreichend versorgt.<br />
Dennoch teilte US-Präsident Donald<br />
Trump mit, er habe die Freigabe von<br />
nationalen Reservengenehmigt.