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Berliner Kurier 29.09.2019

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SEITE13<br />

BERLINER KURIER,Sonntag, 29. September 2019<br />

Fotos: MarkusWächter<br />

aber wohl nicht einigen als<br />

Treffpunkt, eher auf das<br />

Kulturhaus, einen<br />

schmucklosen Neunzigerjahrebau.<br />

In Ermangelung<br />

eines Pächters betrieb es<br />

die Gemeinde Rhönblick,<br />

der Bettenhausen seit 1996<br />

angehört.<br />

Was Eva-Marie Heß in<br />

den 90er-Jahren begann,<br />

haben andere Hauseigentümer<br />

ihr nachgemacht: die<br />

Fassaden vom Putz befreit.<br />

Altes Fachwerk und alte<br />

Steinmauern sind dahinter<br />

zum Vorschein gekommen.<br />

Eine lange Bogenbrücke<br />

führt über die Herpf.<br />

Kurz vor dem Ortsausgang,<br />

gleich neben der Regelschule,<br />

hat Alois Heidl<br />

sein Haus. Mit dem müsse<br />

man reden, hatte Eva-Marie<br />

Heß gesagt. Dass sich<br />

der Besuch nicht angekündigt<br />

hat, das stört Heidl<br />

nicht. 93 Jahre ist er alt, seit<br />

drei Jahren Witwer. Er hält<br />

gerade Rückschau auf sein<br />

Leben, handschriftlich hat<br />

er alles zu Papier gebracht,<br />

was ihm wichtig erschien.<br />

Umso besser, wenn jemand<br />

danach fragt.<br />

Es ist gewiss ein Zufall,<br />

dass Heidl hier gelandet ist,<br />

vor mehr als siebzig Jahren.<br />

Er ist einer von denen, die<br />

Schuhmachermeister ist er,nicht Schuster.Darauf legt Alois<br />

Heidl wert.<br />

sie hier Umsiedler nennen,<br />

nicht Vertriebene, wie im<br />

Westen. Aus dem Sudetenland<br />

kommt Heidl, man<br />

hört es noch. Und wahrscheinlich<br />

ist es auch ein<br />

Zufall, dass er hierbleiben<br />

konnte. Er, der Handwerker,<br />

der Schuhmachermeister,<br />

der dem sozialistischen<br />

Staat als selbstständiger<br />

Unternehmer suspekt war.<br />

Am 5. Juni 1952 war es, als<br />

die Lastwagen kamen. Die<br />

„Aktion Ungeziefer“ hatte<br />

begonnen. Schätzungen zufolge<br />

deportierte die junge<br />

DDR in diesen Tagen mehr<br />

Eva-Marie Heß führtdas Gasthaus „Zum Grünen<br />

Baum“. Dessen Geschichte ist 468 Jahrealt.<br />

als 8000 ihrer Bürger, die<br />

sie für feindliche Elemente<br />

hielt, wies ihnen neue<br />

Wohnorte im Landesinneren<br />

an.<br />

InBettenhausen waren es<br />

14 Familien, die den Ort<br />

verlassen mussten. Manche<br />

für Jahre, andere für immer.<br />

„Da waren viele Gewerbetreibende<br />

dabei“, erinnert<br />

sich Alois Heidl. Ein<br />

Fleischermeister, der Kolonialwarenhändler.<br />

Aus unerfindlichen<br />

Gründen auch<br />

die Gemeindeschwester.<br />

„Die haben keinem was gemacht,<br />

das waren gute<br />

Menschen.“<br />

Irgendwer hatte ihre Namen<br />

auf eine Liste geschrieben,<br />

hatte sie denunziert.<br />

Und bis heute weiß niemand,<br />

wer es war. „Es muss<br />

in unserer dörflichen Mitte<br />

sogenannte Menschen mit<br />

‚zwei Gesichtern‘ gegeben<br />

haben“, schrieb einer der<br />

Betroffenen, Walter Hardt,<br />

1998 in einer Broschüre.<br />

„Hier sollten nur Menschen<br />

wohnen, die dem<br />

Staat treu waren“, sagt Alois<br />

Heidl.<br />

Und waren sie das, die<br />

Bettenhausener?<br />

Da lacht er. „Nee!“<br />

Vielleicht war der Ort zu<br />

gebrandmarkt, durch die<br />

Vertreibungen und seine<br />

Lage im Sperrgebiet. Umstürzler<br />

waren sie aber<br />

auch nicht, die Bettenhausener.<br />

Heidl baute sein Handwerk<br />

auf, gegen Widerstände.<br />

Sie brauchten Schuhmacher<br />

in der DDR, schließlich<br />

waren Rohstoffe<br />

knapp. Zweimal in der Woche<br />

wurden Schuhe aus<br />

dem ganzen Kreis angeliefert.<br />

Heidl reparierte sie<br />

pünktlich, und wenn er dafür<br />

bis in die Nacht in der<br />

Werkstatt stand. Dass er<br />

zwei Stasi-Aufpasser hatte,<br />

erfuhr er erst nach der<br />

Wende.<br />

Hat er ihre Berichte gelesen?<br />

„Ja.“<br />

Waren sie interessant?<br />

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