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REPORT 15<br />
„Ja.“<br />
Stimmte das, was drin stand?<br />
„Nein.“<br />
Aber Alois Heidl hat dann doch<br />
etwas Gutes zu sagen über seine<br />
Aufpasser. Sie hätten ihn nie in<br />
die Pfanne gehauen, sagt er. „Teilweise<br />
haben sie kritisch über<br />
mich geschrieben. Aber zwei Sätze<br />
später haben sie mich wieder<br />
für irgendetwas gelobt.“ Der Apparat<br />
hatte ihn im Blick, aber er<br />
ließ ihn nie direkt spüren, was<br />
passieren könnte, wenn er von der<br />
Linie abwiche.<br />
Vielleicht war es sein Engagement<br />
fürs Dorf, das die Mächtigen<br />
gnädig stimmte. Den Gehweg bis<br />
zur Schule zum Beispiel, den baute<br />
er an seinen Feierabenden zusammen<br />
mit den Schülern. Das<br />
gab es bis dahin nicht in der Rhön,<br />
gepflasterte Gehwege. 31 Jahre<br />
saß Heidl auch in der Gemeindevertretung<br />
für die NDPD. Aber<br />
politisch war er nicht. „Wir wollten,<br />
dass die Menschen zufrieden<br />
sind, dass es ihnen besser<br />
geht. Das war unser Sinn.“<br />
Und wer ist schon zufrieden<br />
in kaputten Schuhen?<br />
Eva-Marie Heß, eine Generation<br />
jünger als Alois Heidl,<br />
hat das auch von klein auf gelernt:<br />
für andere da zu sein,<br />
für sie zu schuften. In den frühen<br />
Dreißigerjahren hatte ihr<br />
Großvater den Grünen Baum<br />
übernommen, sich tief verschuldet<br />
so wie sie sechzig<br />
Jahre später, als sie die Gaststätte<br />
übernahm. „Meine<br />
Großeltern haben sich nichts<br />
gegönnt, die haben immer gearbeitet.<br />
Irgendwie haben sie<br />
mir das vorgelebt.“<br />
Künstlerin wollte sie werden<br />
als junge Frau. Man ahnt<br />
ihre Leidenschaft in der Gaststube,<br />
wo bunte Filzüberzüge<br />
manche Lampen und Blumentöpfe<br />
bedecken. Im alten Festsaal<br />
hat sie ihre Eier ausgestellt, die sie<br />
nachts filigran bemalt und ausfräst.<br />
Aber das Leben kam anders.<br />
Ihr Vater ging früh aus dem Leben,<br />
er starb bei einem Unglück.<br />
Ihre Tochter kam früh auf die<br />
Welt, als Eva-Marie Heß gerade<br />
erst erwachsen geworden war. Also<br />
machte sie eine Ausbildung im<br />
Interhotel Suhl.<br />
Und dann half sie ihrer Mutter,<br />
den Familienbetrieb am Laufen<br />
zu halten. Zu tun gab es viel. Manche<br />
sagen, die Kneipen in der<br />
DDR seien nur deshalb so voll gewesen,<br />
weil das Bier so günstig<br />
war: 40 Pfennige pro Halbliter, da<br />
ließ sich über manche Zumutung<br />
des Sozialismus hinwegsehen.<br />
Aber der Gasthof war mehr damals,<br />
sagt Eva-Marie Heß. Er war<br />
der Ort, wo Neuigkeiten ausgetauscht<br />
wurden –auch solche, die<br />
nicht in den staatlich gelenkten<br />
Medien standen. Er war eine<br />
Tauschbörse für Waren und<br />
Hilfsleistungen.<br />
Und dann kam eines Abends ein<br />
Stammgast durch die Tür und sagte:<br />
„Ich nehme jetzt mein Fahrrad<br />
und fahre über die Grenze.“ Es<br />
war der November 1989. In den<br />
Wochen darauf kamen die Leute<br />
von der anderen Seite der Grenze<br />
ins Dorf, die den gleichen Dialekt<br />
sprechen und doch so anders lebten.<br />
Eva-Marie Heß erinnert sich<br />
an große Gelage, und oft zahlten<br />
die Wessis die gesamte Rechnung.<br />
Es dauerte eine Weile, ehe sie<br />
draufkam, warum sie so über die<br />
Beträge lachten. Der schwarze<br />
Umtausch blühte in diesen Tagen,<br />
20 Ost- bekam man für 1Westmark.<br />
Das Meininger Pils im Grünen<br />
Baum kostete die Besucher<br />
gerade mal zwei West-Pfennige.<br />
Damals ahnte Eva-Marie Heß,<br />
welcher Umbruch vor ihr stünde.<br />
Sie übernahm den Gasthof, ihre<br />
Mutter fühlte sich nicht bereit, ihn<br />
im neuen System weiterzuführen.<br />
Mitte 30 war sie damals, alleinerziehende<br />
Mutter einer Tochter.<br />
Alt genug, um den neuen Verhältnissen<br />
mit Lebenserfahrung zu begegnen.<br />
Jung genug, um sich auf<br />
sie einzulassen. Was passierte, beschreibt<br />
sie heute so: „Wir wurden<br />
ins Wasser geschmissen, und dann<br />
mussten wir erst mal schwimmen<br />
lernen.“ Also lernte sie schwimmen.<br />
Dieser Gedenkstein erinnertandie<br />
„Aktion Ungeziefer“ 1952.<br />
Aber wie schafft man es heute,<br />
ein Gasthaus in einem 750-Einwohner-Dorf<br />
am Laufen zu halten?<br />
Die Stammgäste wurden älter<br />
über die Jahre, einer nach dem anderen<br />
blieb weg. Viele im Dorf<br />
müssen nach Bayern pendeln zur<br />
Arbeit, sind abends zu müde, um<br />
noch ins Gasthaus zu gehen. Viele<br />
Touristen sausen einfach vorbei.<br />
Eva-Marie Heß hat’s ja probiert,<br />
sich auf den Wandel einzustellen.<br />
Sie hat Gästezimmer eingerichtet,<br />
veranstaltet Liederabende, hat regionale<br />
Gerichte auf die Speisekarte<br />
genommen, im alten Festsaal<br />
organisiert sie jedes Jahr eine<br />
Kunstausstellung. Sie hat es geschafft,<br />
sich über Wasser zu halten<br />
und auch noch drei Kredite abzuzahlen<br />
über all die Jahre.<br />
Aber schwimmen reicht nicht<br />
mehr heutzutage. Man muss auch<br />
Turmspringerin sein, scheint es.<br />
Manche haben ihr gesagt, sie solle<br />
doch schließen. Aber sie kann das<br />
nicht, sagt sie. Zu groß ist das<br />
Pflichtgefühl. Und das Heimatgefühl<br />
in den alten Gemäuern. „Ich<br />
bin ein Nesthocker“, sagt sie. „Ich<br />
liebe mein Zuhause.“<br />
Im Landratsamt hatten sie vor<br />
ein paar Jahren eine im wahrsten<br />
Sinne schräge Idee, wie sich die<br />
Rhön aus ihrer Abgeschiedenheit<br />
wecken und in die Freizeitgesellschaft<br />
integrieren ließe. Ein Aussichtsturm<br />
sollte auf das Plateau<br />
der Hohen Geba gebaut werden,<br />
gleich oberhalb von Bettenhausen,<br />
wo die Rote Armee einst mit ihrem<br />
Radar den nahen Westen abtastete,<br />
70 Meter hoch.<br />
Und jetzt kommt der Clou: Es<br />
sollte ein schiefer Turm werden,<br />
der schiefste der Welt, um 23,5<br />
Grad geneigt. Wie ein Periskop<br />
sollte er gen Himmel ragen.<br />
100000 Besucher im Jahr, so lautete<br />
die Prognose. Familien, Radfahrer,<br />
Busgruppen, Sternengucker<br />
–alle sollten rauffahren, um<br />
dann in die Ferne zu gucken. Und<br />
wenn sie schon einmal da wären,<br />
dann würden sie auch kaufen und<br />
essen und trinken, vielleicht ja sogar<br />
in Bettenhausen.<br />
Es geschah aber, was in der Provinz<br />
gar nicht so häufig vorkommt,<br />
zumal in der ostdeutschen: Einige<br />
Leute begehrten auf. Sie bildeten<br />
eine Bürgerinitiative und<br />
sammelten Unterschriften für<br />
einen Volksentscheid, der im<br />
September 2014 stattfand.<br />
Die Wähler in den Gemeinden<br />
rund um den Berg stimmten für<br />
den Turm. Aber das Referendum<br />
fand im ganzen Landkreis<br />
statt. Und drüben im Thüringer<br />
Wald, in Oberhof, da stimmten<br />
sie dagegen. Warum sollten<br />
schließlich die Rhöner so viel<br />
Fördermittel bekommen?<br />
Statt der Hunderttausend<br />
Touristen kamen im vorigen<br />
Jahr die Hippies und probten<br />
eine ganz andere Utopie. Zum<br />
zweiten Mal schon fand auf der<br />
Hohen Geba ein „Rainbow Gathering“<br />
statt. Hunderte Menschen<br />
lebten im Wald, kochten<br />
veganes Essen, musizierten und<br />
diskutierten und liefen – teilweise<br />
nackt, was für Gespräche<br />
sorgte –durch die Sommerwiesen.<br />
Ein Aussteigertum, das sich nur in<br />
der Abgeschiedenheit erproben<br />
lässt. Es heißt, es gab erstaunlich<br />
freundliche Begegnungen mit den<br />
Bettenhausenern.<br />
Auch in Bettenhausen wird die<br />
Zeit kommen, wo welche von außen<br />
kommen müssen, wenn das<br />
Dorf erhalten bleiben soll. Noch<br />
ist die Einwohnerzahl einigermaßen<br />
stabil, aber das liegt wesentlich<br />
am Neubaugebiet, das hinter<br />
dem Grünen Baum entstanden ist.<br />
Inden Häusern im alten Dorfkern,<br />
wo früher noch kinderreiche Familien<br />
lebten, gibt es heute oft nur<br />
noch einen oder zwei Bewohner.<br />
Wenn man genau hinschaut, entdeckt<br />
man auch Leerstand. Der<br />
Platz, der in den Städten fehlt, hier<br />
wird er nach und nach frei.<br />
Zum Abschied hat Eva-Marie<br />
Heß noch einmal gekocht. Es gibt<br />
Geschnetzeltes, dazu eine Flasche<br />
Kellerbier auf der Veranda. Es ist<br />
vielleicht der letzte richtige Sommertag,<br />
23 Grad warm, die Sonne<br />
scheint durch die Zweige des Wilden<br />
Weins. Von irgendwo tönt leise<br />
Musik, jede Viertelstunde<br />
schlägt die Kirchenglocke, ab und<br />
zu radeln Ausflügler vorbei. Es<br />
fehlt an nichts in diesem Moment.<br />
An gar nichts.<br />
Frederik Bombosch