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18 JOURNAL<br />
BERLINER KURIER, Sonntag, 29. September 2019<br />
wesentlich jünger“, sagt der 58-<br />
Jährige. Also fährt er Aufzug.<br />
Mit betont ruhiger Stimme begrüßt<br />
er die Gäste: „Guten Morgen!<br />
Good morning! You speak<br />
englisch?“ Die Dänen, Slowaken<br />
und Japaner nicken, und er<br />
erklärt ihnen, dass es mit sechs<br />
Metern pro Sekunde aufwärts<br />
geht und dass die Fahrt 40 Sekunden<br />
dauert.<br />
„Dass wir hier sind, hat vor allem<br />
mit Sicherheit zu tun“, sagt<br />
er. „Die einen haben etwas<br />
Angst, wollen nicht hoch und<br />
zögern, die anderen sind ungeduldig<br />
und drängeln.“ Er ist natürlich<br />
Ansprechpartner, wenn<br />
ein Aufzug stecken bleibt. Das<br />
passiert etwa einmal pro Jahr.<br />
Dann kommt die<br />
Servicefirma.<br />
Bei ihm sorgen<br />
die 200 Fahrten<br />
am Tag für keinerlei<br />
körperliche Reaktionen,<br />
aber<br />
manchen Besuchern<br />
ist nach dem<br />
Stopp etwas<br />
schwindelig.<br />
Natürlich fährt<br />
Mewes nicht nur<br />
hoch und runter.<br />
Ganz am Anfang<br />
steigt er aus und<br />
schaut sich die Aussicht<br />
an: Für seine<br />
Gäste muss er wissen,<br />
ob man 70 Kilometer<br />
bis zu der<br />
Freizeithalle Tropical<br />
Islands in<br />
Südbrandenburg<br />
schauen kann oder<br />
nur zum benachbarten<br />
Dom. „Das<br />
wollen Gäste vor<br />
der Fahrt wissen,<br />
wenn das Wetter<br />
so lala ist.“<br />
Die Aufzüge<br />
wurden in 50 Jahren<br />
zweimal ausgetauscht:<br />
erst fuhren<br />
schwedische,<br />
dann finnische,<br />
nun deutsche. Sie<br />
werden wirklich<br />
oft benutzt. Denn<br />
zu den mehr als<br />
200 Besucherfahrten<br />
kommen vor<br />
und nach der Öffnungszeit<br />
noch die<br />
Dienstfahrten für<br />
das Restaurant. Jedes<br />
Wasser, jedes<br />
Bier, das oben getrunken<br />
wird, muss<br />
genauso durch diesen<br />
Schacht nach<br />
oben, wie jede leere Flasche<br />
wieder runter muss.<br />
Nach 40 Sekunden stoppt der<br />
Aufzug ganz sanft, und Mewes<br />
sagt zu seinen Gästen zum Abschied:<br />
„Sie haben alles richtig<br />
gemacht, dass Sie so früh gekommen<br />
sind. Jetzt ist es noch<br />
nicht so voll. Have anice day!“<br />
Zwei Aufzüge nebeneinander<br />
– welcher ist besser? Mewes<br />
lacht: „Es gibt keinen Unterschied.<br />
Mal fahre ich eine<br />
Schicht lang den linken, mal<br />
den rechten.“ Heute ist es der<br />
linke. Der ist schon wieder voll,<br />
und er fährt sie in die Tiefe:<br />
197,53 Meter in 40 Sekunden.<br />
Der Verein. Der Fernsehturm<br />
ist Gründungsmitglied der<br />
weltweiten Vereinigung der<br />
größten Türme, zu der 50 Bauwerke<br />
gehören. Vom ältesten,<br />
dem Pariser Eiffelturm aus dem<br />
Jahre 1889, bis zum Weltrekordhalter,<br />
dem 828 Meter-<br />
Hochhaus Burj Khalifa in Dubai.<br />
„Bei uns arbeiten etwa 120<br />
Leute“, sagt Dietmar Jeserich,<br />
Sprecher der Firma, die den öffentlichen<br />
Teil des Turms gepachtet<br />
hat. Dort<br />
arbeiten Leute in<br />
Objektmanager<br />
Torsten Brinkmann<br />
steht 246,28 Meter hoch.<br />
Aufzugführer Andreas<br />
Mewes fährt200-mal<br />
am Tagmit dem Lift.<br />
Schichtleiter Dirk Otto ist<br />
mehr als 95000 Kilometer<br />
hoch- und runtergefahren.<br />
den Garderoben,<br />
an den Kassen, im<br />
Souvenirladen, in<br />
den Aufzügen, in<br />
der Küche sowie<br />
Kellner im Restaurant.<br />
Dort passen 200<br />
Gäste hinein, dazu<br />
100 in der Aussichtsplattform.<br />
Jedes Jahr kommen<br />
1,3 Millionen<br />
Besucher. Wer es<br />
genau wissen<br />
will, bekommt<br />
schnell eine Antwort.<br />
Jeserich<br />
greift zum Handy,<br />
ruft eine Frau im<br />
Turm an, die<br />
nachschaut. Derweil<br />
erzählt er,<br />
dass die Durchlassschranken,<br />
bei<br />
denen jeder wie<br />
am Flughafen<br />
kontrolliert wird,<br />
jeden Besucher<br />
zählen.<br />
Kaum hat er das<br />
gesagt, klingelt<br />
das Telefon und<br />
ihm wird die Gesamtzahl<br />
aller Besucher<br />
seit der Eröffnung<br />
gesagt:<br />
60937441. Das ist<br />
eine Hausnummer.<br />
Der in der<br />
20er-Jahren gebaute<br />
Funkturm<br />
in Westend hat jedes<br />
Jahr 60000<br />
Besucher –insgesamt<br />
bislang 1,7<br />
Millionen.<br />
Die Aussicht.<br />
„Wir nennen es<br />
die höchste Stadtrundfahrt der<br />
Stadt“, sagt Jeserich, bevor wir<br />
den ersten Blick in die Tiefe<br />
werfen. „Von hier oben können<br />
Sie jeden Dackel sehen.“<br />
Die Aussicht an diesem Tag<br />
ist tatsächlich fantastisch. Blauer<br />
Himmel, nur am Horizont<br />
ein paar Wolkenfetzen, die die<br />
Tropical-Islands-Halle verdecken,<br />
aber der Funkturm ist zu<br />
sehen, der Müggelturm und so-<br />
Fotos: Markus Wächter (8), Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa, Karl-Heinz Krämer/Alpha-Press, Frank Sorge/imago images, HerbertBlunck/<strong>Berliner</strong> Verlag, <strong>Berliner</strong> Verlag<br />
Gebaut wurde der<br />
Fernsehturm von<br />
1965 bis 1969:<br />
Die Kugel wiegt<br />
4800 Tonnen,<br />
sie hat einen<br />
Durchmesser<br />
von32Metern.