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16 ** <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 250 · M ontag, 28. Oktober 2019<br />
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Lokalsport<br />
Ein Ausstand und seine Folgen: Wie beim SSV Köpenick-Oberspree fielen am Wochenende auf Berlins Amateurplätzen die Spiele aus. Betroffen waren stadtweit mehr als 1000 Begegnungen.<br />
IMAGO IMAGES<br />
Ruf nach professioneller Aufarbeitung<br />
Berlins Schiedsrichter haben am Wochenende einspektakuläres Zeichen gegen Gewalt gesetzt, doch für die Referees und Klubs geht der Kampf jetzt erst richtig los<br />
VonMichael Jahn<br />
Am 2.August war die Hoffnung<br />
groß, dass sich auf<br />
Berlins Fußballplätzen die<br />
Gewalt gegen Schiedsrichter<br />
eindämmen lassen würde. Und<br />
das, obwohl bereits in der vorangegangenen<br />
Saison Attacken gegen<br />
Unparteiische in Begegnungen der<br />
Amateurkicker an der Tagesordnung<br />
waren. Damals, amersten Spieltag<br />
der Berlin-Liga, wollten Referees der<br />
Hauptstadt zusammen mit ihren<br />
Kollegen aus Hamburg ein Zeichen<br />
setzen und auf die schwierige Situation<br />
aufmerksam machen. Beim<br />
Spiel von Sparta Berlin gegen Aufsteiger<br />
Fortuna Biesdorf (6:3) hatten<br />
vor dem Anpfiff alle Spieler zusammen<br />
mit dem Schiedsrichterkollektiv<br />
ein Banner in die Höhe gehalten.<br />
„Gemeinsam für Respekt und Fairness“,<br />
stand darauf.<br />
Knapp vier Monate später ist die<br />
Hoffnung geschwunden, weil die<br />
Lage eskaliert. Deshalb sind die<br />
Schiedsrichter des <strong>Berliner</strong> Fußball-<br />
Verbandes (BFV)indiesemWochenende<br />
in den Ausstand getreten. Mehr<br />
als 1000 Spiele konnten deshalb<br />
nicht stattfinden. Ausnahmezustand<br />
im <strong>Berliner</strong> Fußball mal anders.<br />
Ralf Kisting ist der Sprecher des<br />
<strong>Berliner</strong> Schiedsrichterausschusses<br />
und Obmann der Referees von Bundesligist<br />
Hertha BSC. Er weilte am<br />
Wochenende in München beim Treff<br />
aller Obmänner der Erstligisten und<br />
der Vertreter des Hamburger SV sowie<br />
vom VfB Stuttgart. Es ging dort<br />
um allgemeine Probleme der<br />
Schiedsrichter, aber die Aktion in<br />
Berlin war „in aller Munde“, wie Kisting<br />
im Gespräch mit dieser <strong>Zeitung</strong><br />
sagt. „Ich bekam zu 100 Prozent Zustimmung<br />
für den Ausstand der <strong>Berliner</strong><br />
Referees, alle fanden unsere<br />
Maßnahme gut und erforderlich.“<br />
Nicht immer kam das so deutlich<br />
zum Ausdruck wie beim Abgesandten<br />
von Eintracht Frankfurt. Der<br />
wollte sich unbedingt mit Kisting fotografieren<br />
lassen, weil er die Aktion<br />
in Berlin wichtig fand. Kisting meint:<br />
„Ich bekam viele Mails und Nachrichten<br />
aufs Handy – von <strong>Berliner</strong><br />
Vereinen, aber auch vonder Gewerkschaft<br />
der Polizei. DerTenor: Eswar<br />
Zeit, endlich zu handeln!“<br />
Kisting weiß, dass ein Zeichen allein<br />
nicht reichen wird, um die Verhältnisse<br />
auf den Fußballplätzen der<br />
Republik in den unteren Spielklassen<br />
zu verbessern. Der<strong>Berliner</strong> führt<br />
die zunehmende Gewalt auf Veränderungen<br />
in der Gesellschaft zurück,<br />
auf fehlende Akzeptanz des Gegners<br />
und des Spielleiters.<br />
Kisting und seine Schiedsrichter-<br />
Kollegen schlagen nun eine Reihe<br />
von Maßnahmen vor, um die Situation<br />
zu verbessern. So soll unter anderem<br />
der Heimverein künftig bei<br />
Spielen zwei Ordner stellen, so dass<br />
der Schiedsrichter nicht auf sich allein<br />
gestellt ist. Außerdem sollen die<br />
Mannschaften Kurse in Regelkunde<br />
abhalten –inder Hoffnung, dass dadurch<br />
das Verständnis für Entscheidungen<br />
der Schiedsrichter wächst.<br />
„Das alles kann und muss kurzfristig<br />
passieren“, sagt Kisting.<br />
Bislang ist die Regelschulung<br />
keine Pflicht, aber es gibtVereine,die<br />
sich ihrer Verantwortung bewusst<br />
„Ich bekam zu 100 Prozent Zustimmung<br />
für den Ausstand der <strong>Berliner</strong> Referees,<br />
alle fanden unsere Maßnahme gut.“<br />
Ralf Kisting hat als Vertreter von Hertha BSC in München auf einem Treffen<br />
aller Schiedsrichter-Obmänner der Bundesligisten viel Solidarität erfahren.<br />
sind. Kisting nennt ein sehr positives<br />
Beispiel: „Beim <strong>Berliner</strong> SC wirdeine<br />
Regelschulung schon in der C-Jugend<br />
durchgeführt. Dort konnten<br />
danach sogar sechs junge Schiedsrichter<br />
gewonnen werden.“<br />
Dass die Zeit drängt, beweist die<br />
Statistik. In Berlin stieg die Anzahl<br />
der Vorfälle bereits um 20 Prozent, in<br />
der Vorsaison sei bereits jeder siebte<br />
Schiedsrichter Opfer von Angriffen<br />
geworden, sagt Kisting. Verbale Beleidigungen<br />
sind an der Tagesordnung,<br />
außerdem sehen sich die Referees<br />
zunehmend körperlichen Attacken<br />
ausgesetzt. Vor allem junge<br />
Schiedsrichter haben Angst, Spiele<br />
bestimmter Vereine zu pfeifen.<br />
Nun hat der Schiedsrichterausschuss<br />
des BFV mit seinem Stoppzeichen<br />
deutschlandweit für Aufsehen<br />
gesorgt. Das Präsidium des BFV war<br />
nach heftiger Diskussion zuerst gegen<br />
die Maßnahme gewesen, setzte<br />
aber wegen des organisatorischen<br />
Chaos, das gedroht hätte, auch alle<br />
Spiele offiziell ab.Bernd Schultz, der<br />
Präsident, der sich bis zum heutigen<br />
Montag im Ausland befand, sagt:<br />
„Die zunehmende Gewaltbereitschaft<br />
gegenüber Schiedsrichtern<br />
sehe ich mit großer Sorge. Hier gilt es<br />
konsequent und gemeinsam gegen<br />
die Täter vorzugehen und alle Möglichkeiten<br />
der Sportgerichtsbarkeit<br />
auszuschöpfen. Gleichzeitig kann<br />
ein Ausstand von Schiedsrichtern<br />
immer nur die letzte Option sein.“<br />
Gerade das BFV-Sportgericht enttäuschte<br />
die Schiedsrichter, als zuletzt<br />
im Fall des Berlin-Ligisten Al<br />
Dersimspor ein nach Ansicht des<br />
Ausschusses viel zu mildes Urteil gefällt<br />
wurde.Dortwar ein Referee von<br />
einem Spieler geschlagen worden.<br />
Berlins Schiedsrichter-Chef Jörg<br />
Wehling fordert, die Kompetenz der<br />
Sportgerichte zu stärken. „Wir brauchen<br />
hauptamtliche Kräfte im Sportgericht,<br />
damit Urteile, die Auflagen<br />
und Bewährungsstrafen ein Maß erreichen,<br />
bei dem man sagt: ,Ja, das ist<br />
eine professionelle Aufarbeitung.’“<br />
Ralf Kisting sieht auch nach dem<br />
Wochenende in dem Ausstand ein<br />
wichtiges Signal: „Die Mehrheit der<br />
<strong>Berliner</strong> Schiedsrichter wollte diesen<br />
Ausstand, das war nicht nur eine<br />
Entscheidung unseres Ausschusses,<br />
sondern des Schiedsrichterbeirates,<br />
in dem rund 30 Leute sitzen und zuvor<br />
alle ihre Probleme auf den Tisch<br />
brachten.“ Das Fazit: Es muss sich<br />
schnellstens etwas verändern, damit<br />
die Spirale der Gewalt nicht noch<br />
weiter geht.<br />
Michael Jahn<br />
bleibt am Thema Gewalt<br />
gegenReferees dran.<br />
Wenn das Durchboxen Tradition hat<br />
Serie –Tierisch fit: Wiedie Zehlendorfer Eichhörnchen zum größten Radsportklub der Stadt wurden und warum es in Berlin bald wieder ein internationales Straßenrennen geben könnte<br />
VonChristian Kattner<br />
Der Standort hat sich schon<br />
mehrfach bewiesen. Nicht als<br />
Ort, um mit den eigenen Mitgliedern<br />
über organisatorische Dinge zu sprechen,<br />
wohl aber als „neutraler Boden“<br />
für Gespräche mit Verantwortlichen<br />
verschiedener Verbände, wie<br />
Karsten Podlesch das Café am Tempelhofer<br />
Hafen mit einem Lächeln<br />
im Gesicht beschreibt. In früheren<br />
Generationen war der Treffpunkt<br />
noch ein ganz anderer. Bei einem<br />
dieser, teils verpflichtenden, Treffen<br />
im „Schwarzen Adler“ in Zehlendorf<br />
wurde im Jahr 1952 sogar der Vereinsname<br />
des Klubs in Leben gerufen,<br />
den Podlesch mittlerweile als<br />
erster Vorsitzender anführt.<br />
Damals wurde zunächst in einer<br />
Garage geboxt. Eher zufällig und um<br />
die Ausdauer zu erhöhen, kam das<br />
Fahrrad ins Spiel. „Auf einmal hat<br />
das allen viel mehr Spaß gemacht als<br />
Boxen“, berichtet Karsten Podlesch<br />
von der Geschichte, die ihm irgendwann<br />
erzählt wurde. Aus Boxen<br />
wurde Radsport und fast so etwas<br />
wie ein Märchen, als es um die Suche<br />
nach einem Namen ging: „Man saß<br />
damals zusammen im Grünen und<br />
in diesem Augenblick lief ein Eichhörnchen<br />
über die Bäume. Dawar<br />
der Name geboren“, so Podlesch,<br />
Flink und fleißig: Die Zehlendorfer Eichhörnchen posieren vor der Ausfahrt.<br />
„als Eichhörnchen muss man fleißig<br />
sein, aber eigentlich bringt man ein<br />
Eichhörnchen nicht unbedingt mit<br />
Radsport inVerbindung.“ Gerade in<br />
den ersten Jahren waren viele Erklärungen<br />
notwendig, mittlerweile ist<br />
der Name in Fachkreisen aber<br />
deutschlandweit längst ein Begriff.<br />
Dasliegt auch an den vielen internationalen<br />
und nationalen Erfolgen,<br />
die gesammelt wurden. Podleschs<br />
Bruder Rainer etwa wurde zweimal<br />
Weltmeister und mehrfacher Deutscher<br />
Meister, Neffe Carsten wurde<br />
als Steher Welt- und Europameister.<br />
Aber auch der frühere Mountainbike-Weltmeister<br />
Mike Kluge hat als<br />
Eichhörnchen die Pedalen getreten.<br />
Denn: Über alle die Jahre ist man<br />
vom Grundprinzip der Nachwuchsarbeit<br />
nicht abgegangen. Auch wenn<br />
es in der heutigen Zeit sicherlich<br />
nicht mehr ganz so einfach ist, wie<br />
noch vor 20, 30 Jahren. „Radsport ist<br />
sehr trainingsintensiv“, sagt Karsten<br />
Podlesch, „wenn man ein Rennen<br />
gut beenden möchte, gehört sehr<br />
viel Training dazu. Es gibt Naturtalente,<br />
aber es gibt Leute, bei denen<br />
vergehen schon mal drei Jahre, bis<br />
der Knoten platzt.“ Mit 160 Mitgliedern<br />
sind die Eichhörnchen aktuell<br />
in Berlin der größte Radsportverein.<br />
Fast ein Fünftel dieser Mitglieder<br />
sind Nachwuchsfahrer im Bereich<br />
Schüler bis Jugend, dann allerdings<br />
klafft ein Loch bei den Junioren und<br />
den U23-Fahrern, auch gibt es nur<br />
zwei Elitefahrer. Es ist der Bereich<br />
mit der höchsten Ausstiegsquote.<br />
Mit der ersten Freundin und dem<br />
Abitur und dem Beginn einer Ausbildung<br />
wird neu priorisiert. Für ein<br />
Training, das mehr Zeit als in anderen<br />
Sportarten in Anspruch nimmt,<br />
gibt es da keine Kapazitäten mehr.<br />
„Unter zwei Stunden brauche ich<br />
nicht loszufahren, sonst komme ich<br />
gar nicht in den Bereich, wo ich die<br />
Leistung steigere“, sagt Podlesch.<br />
Er selbst ist kein gebürtiger <strong>Berliner</strong>,<br />
hat auch nicht im Nachwuchs<br />
bei den Eichhörnchen angefangen,<br />
aber wollte in der damals noch geteilten<br />
Hauptstadt sein Glück als<br />
Radrennfahrer suchen. Etwas, das<br />
damals noch möglich war,immerhin<br />
ZEHLENDORFER EICHHÖRNCHEN<br />
galt Berlin als Hochburg. Die Möglichkeiten<br />
waren aber in früheren<br />
Jahren ganz andere. Selbst, im eingemauerten<br />
Westteil der Stadt. Da, wo<br />
die Radrennfahrer heute im Stadtbild<br />
kaum noch zu sehen sind, weil<br />
sie ihre eigentlichen Trainingskilometer<br />
in Brandenburg rollen, wurden<br />
gerade im Bereich des Wannsees,aber<br />
auch auf Bahnen und den<br />
Straßen viel gefahren und trainiert.<br />
„Ganz wenig ist davon noch übrig“,<br />
sagt der Vereinsvorsitzende der<br />
Eichhörnchen. Es gebe zwar auch<br />
aktuell erfolgreiche deutsche Fahrer,<br />
aber die können nicht gehalten werden.<br />
Auch, weil die Infrastruktur<br />
keine optimalen Bedingungen mehr<br />
bietet. „Nehmen wir mal das Velo-<br />
drom. DieSportart, die da eigentlich<br />
zuhause ist, die Radrennfahrer, werden<br />
sehr stiefmütterlich behandelt.<br />
Da gibt es Vorschriften, die sich niemand<br />
vorstellen kann“, sagt Podlesch,<br />
„leider haben wir dafür zwei<br />
funktionierende Radrennbahnen<br />
geopfert, die vernachlässigt und später<br />
abgerissen wurden.“ Es sei mehrmals<br />
vorgekommen, dass das Velodrom<br />
für die <strong>Berliner</strong> Fahrer vor<br />
Meisterschaften nicht zur Verfügung<br />
stand, weil dort Konzerte stattfanden<br />
und sie stattdessen in Frankfurt/Oder<br />
trainieren mussten.<br />
Aber auch nach Straßenrennen<br />
müssen die <strong>Berliner</strong> außerhalb der<br />
Stadtgrenzen suchen. Vonden einst<br />
mehr als 30 Rennen, die jährlich in<br />
der Hauptstadt stattfanden, hat nur<br />
eins überlebt. „Die Behördengänge<br />
zermürben“, sagt Podlesch, „außerdem<br />
bekommt man keine Strecke<br />
mehr frei.“ Umso größer ist bei den<br />
Eichhörnchen die Freude darüber,<br />
dass sie es seit vier Jahren sind, die<br />
im Rahmen der Steglitzer Wochedas<br />
Lichterfelder Rundstreckenrennen<br />
ausrichten. „Wir streben da aber<br />
nach Höherem und wollen das Rennen<br />
wieder international machen“,<br />
sagt Podlesch. Gut möglich, dass es<br />
zu den Verhandlungen darüber wieder<br />
auf den neutralen Boden am<br />
Tempelhofer Hafen geht.