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10 <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 264 · M ittwoch, 13. November 2019<br />
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Berlin<br />
Dass sich Unternehmertum und bürgerschaftliches Engagement nicht ausschließen, zeigt Michael Kölmel mit dem Kauf des Hauses in Friedrichshain an der Grenze zu Mitte.<br />
VOLKMAR OTTO<br />
Die Nachricht war eine<br />
Erlösung für die Mieter<br />
des Hauses Nummer 21<br />
am Strausberger Platz:<br />
Nachdem ihr Haus im Sommer<br />
zum Verkauf angeboten worden<br />
war, suchte die Mietergemeinschaft<br />
im Sommer in einer bundesweiten<br />
und vielbeachteten<br />
Kampagne einen „Vermieter mit<br />
Herz“ –mit dem Unternehmer Michael<br />
Kölmel scheint dieser nun<br />
gefunden. Der 65-Jährige hat das<br />
unter Denkmalschutz stehende<br />
Haus gekauft und verspricht den<br />
Mietern, die Miete nicht zu erhöhen<br />
und einiges anderes, von dem<br />
viele <strong>Berliner</strong>,die über kein Wohneigentum<br />
verfügen, nur träumen<br />
können.<br />
Herr Kölmel, Sie haben das Haus<br />
am Strausberger Platz gekauft. Wie<br />
kam es dazu?<br />
Ich habe von dem Aufruf der<br />
Mieter in einer <strong>Zeitung</strong> gelesen<br />
und fand die Initiative der Mieter,<br />
die einen Investor für das Haus am<br />
Strausberger Platz suchten, interessant.<br />
Viele Menschen berichten<br />
von ihren Schwierigkeiten, wenn<br />
die Mieten erhöht werden, oder<br />
wenn Investoren das Haus, indem<br />
sie leben, kaufen und in Eigentum<br />
umwandeln, oder Eigentümer auf<br />
Eigenbedarf klagen. Ich habe den<br />
Artikel gelesen, dort angerufen<br />
und die Initiative der Mieter, die<br />
einen „Investor mit Herz“suchten,<br />
aufgenommen und auch eine<br />
Website daraus gemacht. Es gibt ja<br />
nur noch wenige Domains, die frei<br />
sind, aber „Investor mit Herz“<br />
hatte offenbar noch niemand angemeldet<br />
(lacht).<br />
Sie haben sich mit den Besitzern,<br />
einer Erbengemeinschaft aus Köln,<br />
geeinigt und das Haus gekauft. In<br />
welchen Dimensionen bewegt sich<br />
der Kaufpreis für eine Immobilie<br />
dieser Art?<br />
Das ist natürlich ein Millionenbetrag<br />
und die Mieten sind zu gering,<br />
um den Kaufpreis zu decken.<br />
Deswegen klagen Investoren Mieter<br />
raus und nutzen jede Gelegenheit,<br />
die Mieten zu erhöhen. Das<br />
ist eine simple Rechnung.<br />
Mitden Mieteinnahmen kann man<br />
solch ein Gebäude nicht refinanzieren?<br />
Das kann man schon, aber man<br />
hat natürlich nicht die Verzinsung,<br />
die Investoren sonst gerne haben.<br />
Wardas der Grund für die Erbengemeinschaft,<br />
das Haus zu verkaufen?<br />
Eine Immobilie an einem solchen<br />
Standort ist doch sicherlich<br />
sehr begehrt.<br />
Die Erben hatten andere Vorstellungen.<br />
Das ist eine Gruppe<br />
von Leuten, die mit Gewerbeimmobilien<br />
zu tun hat, diese Wohnimmobilie<br />
war ein Sonderfall in<br />
deren Portfolio. Man steht mit so<br />
einem Haus ganz automatisch in<br />
der Öffentlichkeit.<br />
Was ist die konkrete Idee hinter Ihrer<br />
Plattform „Investor mit Herz“?<br />
Die Idee ist, über die Website<br />
Investoren in anderen deutschen<br />
Städten zu finden, denn ich kann<br />
mir nicht vorstellen, dass ich mit<br />
meinen Ideen von einem sozial<br />
verträglichen Verhältnis zwischen<br />
Vermieter und Mieter der Einzige<br />
bin. Es gibt sicherlich Leute, die<br />
Geld geerbt haben oder als Unternehmer<br />
erfolgreich sind, denen es<br />
nicht nur um die Geldmehrung<br />
auf Kosten von Mietern geht. Das<br />
ist doch auch ein unglaublicher<br />
Einschnitt in das Leben, wenn<br />
man plötzlich seine Miete nicht<br />
mehr bezahlen kann und de facto<br />
so seinen Wohnraum verliert.<br />
Also seine Heimat.<br />
Ganz genau.<br />
Haben sich denn schon Investoren<br />
bei Ihnen gemeldet?<br />
Die Website wurde ja erst vor<br />
zwei Wochen aufgesetzt. Aber es<br />
haben sich schon viele Leute gemeldet.<br />
Es sind Leute, die wie ich<br />
einen bestimmten sozialen Anspruch<br />
an eine Gesellschaft haben.<br />
Gleichzeitig melden sich aber<br />
auch Mieter, denen ein ähnliches<br />
Schicksal droht wie den Mietern<br />
am Strausberger Platz.<br />
Und was sagen Sie denen? Sie können<br />
ja nicht alle Häuser kaufen.<br />
Erst einmal nehmen wir diese<br />
Sachen auf und verfolgen diese<br />
Fälle. Wir haben auch schon ein<br />
paar Leute gefunden, die mitinvestieren<br />
würden. Das sind natürlich<br />
nicht alles solche Immobilien<br />
wie am Strausberger Platz. Die<br />
Häuser von Hermann Henselmann<br />
könnten ja einmal Weltkulturerbe<br />
werden. Ich hoffe aber<br />
grundsätzlich darauf, dass es bei<br />
einigen Leuten ein Umdenken<br />
gibt. Gentrifizierung ist ja nicht<br />
nur ein <strong>Berliner</strong> Problem.<br />
Ist ein Gebäude dieser Art, also alt<br />
und denkmalgeschützt, nicht immer<br />
ein Zuschussgeschäft für einen<br />
Vermieter?<br />
„Das ist ein<br />
unglaublicher<br />
Einschnitt“<br />
Der Unternehmer und Investor Michael Kölmel hat<br />
ein Haus am Strausberger Platz gekauft.<br />
Für die Mieter ist das ein Glücksfall<br />
Die Mieter des Hauses Strausberger Platz 21 mit Michael Kölmel (hinten in der Mitte)<br />
BIOGRAFIE<br />
Michael Kölmel wurde 1954 in Karlsruhe geboren und ist promovierter Volkswirt. Seine Leidenschaft<br />
für das Kino führte dazu, dass Kölmel gemeinsam mit seinem Bruder 1984 den<br />
Filmverleih Kinowelt gründete. Ende 2001 musste die Kinowelt AG mit einer halben Milliarde<br />
Euro Schulden Insolvenz anmelden. Im Jahr zuvor hatte Kölmel den Zuschlag für Neubau und<br />
Betrieb des neuen Leipziger Zentralstadions bekommen. Der Unternehmer beteiligte sich mit<br />
27 Millionen Euro an den Gesamtkosten in Höhe vonrund 90 Millionen Euro. Ende der 90er-<br />
Jahre rettet Kölmel den 1. FC Union vordem finanziellen Ruin, zudem investierte er auch in<br />
andere Fußballvereine. 2006 übernahm Kölmel die Frankfurter Verlags-, Musik- und Buchhandelsfirma<br />
Zweitausendeins. Kölmel ist verheiratet und lebt in Leipzig.Erhat zwei Söhne.<br />
PRIVAT<br />
Das hängt vom Grad der Renovierungsbedürftigkeit<br />
ab. Das<br />
Haus am Strausberger Platz ist<br />
aber sehr gut saniert. Und für die<br />
Kacheln, die die Fassaden zieren,<br />
gibt es eine extraRücklage.Dagibt<br />
es natürlich Auflagen, klar. Aber<br />
das ist ein wunderbares Haus,<br />
hohe Decken und durch die Kacheln<br />
auch energieeffizient. Ich<br />
kann schon verstehen, dass die<br />
Mieter in diesem Haus wohnen<br />
bleiben wollen. Allein die Lage ist<br />
fantastisch.<br />
Sie wollen am Strausberger Platz<br />
die Mieten nicht erhöhen und<br />
keine Kündigungen aussprechen.<br />
Das klingt für viele Menschen in<br />
Berlin nach einem Traum.<br />
Nun, ich habe den Begriff des<br />
Investoren mit Herz ja von meinen<br />
neuen Mietern übernommen<br />
und mir Gedanken gemacht, wie<br />
man diesen Begriff, diese Floskel<br />
überzeugend definieren kann.<br />
Das geht natürlich nur, wenn man<br />
den Mietern entgegenkommt. Wir<br />
haben gemeinsam einen Plan<br />
ausgearbeitet, der vier Punkte<br />
hat. Erstens fünf Jahre keine Erhöhung<br />
der Nettokaltmiete, also<br />
eine Art privater Mietdeckel.<br />
Dann zehn Jahre keine Kündigungen<br />
des Mietverhältnisses aus finanziellen<br />
Gründen. Drittens<br />
keine Kündigungen von Mietern<br />
über 65 Jahren und viertens keine<br />
Kaufpreisfinanzierung über<br />
Bankkredite, wenn man am Projekt<br />
teilhaben will. Das bedeutet,<br />
dass die Investoren aus ihrer eigenen<br />
Tasche zahlen müssen. Keine<br />
Bank soll zu Mieterhöhungen<br />
drängen können.<br />
Wo bleibt der geschäftliche Aspekt?<br />
Oder tun Sie das alles nur aus gesellschaftlichem<br />
Engagement heraus?<br />
Für mich klingt das alles –mit<br />
Verlaub –fast zu schön, um wahr<br />
zu sein.<br />
Ja, aber genau das ist der Kern:<br />
Wohnen ist ein Thema, das überaus<br />
emotional besetzt ist und es ist<br />
einfach falsch, Menschen zu quälen,<br />
indem man ihnen ihr Heim<br />
nimmt, beziehungsweise sie in<br />
dem Gefühl belässt, dass man es<br />
ihnen jederzeit nehmen kann, indem<br />
man sie aus den Wohnungen<br />
rausklagt oder die Miete erhöht.<br />
Wohnen sollte meiner Meinung<br />
nach nie der Rendite unterliegen.<br />
Natürlich muss man Mieten nehmen,<br />
um Reparaturen zu bezahlen<br />
und natürlich darf von der Miete<br />
auch etwas übrig bleiben für den<br />
Besitzer. Aber das alles sollte in einem<br />
vernünftigen für den Mieter<br />
tragbaren Rahmen passieren.<br />
Sie leben in Leipzig, die Stadt ist zu<br />
einer Art kleinem Berlin geworden:<br />
Viel Altbau, Kultur und eine überschaubare<br />
Größe machen die Stadt<br />
attraktiv. Hat man in Leipzig aus<br />
den Fehlern Berlins gelernt, was<br />
die Gentrifizierung anbelangt?<br />
Das ist hier ein großes Thema,<br />
vielleicht nicht so brisant wie in<br />
Berlin, denn es gab in Leipzig einen<br />
riesigen Bestand an renovierungsbedürftigen<br />
Altbauten. Es<br />
droht natürlich Ähnliches. Was in<br />
Berlin schon abgeschlossen ist,<br />
wirdauch Leipzig in den kommenden<br />
Jahren erwarten und es hat ja<br />
auch schon begonnen: Investoren,<br />
steigende Mieten, Verdrängung<br />
und alle anderen Aspekte der Gentrifizierung<br />
bleiben auch dieser<br />
Stadt wohl nicht erspart. DieWohnungen<br />
hier gehören den Leipzigern<br />
zugroßen Teilen nicht mehr,<br />
es sind Spekulationsobjekte.<br />
Wurden Sie nicht gefragt, warum<br />
Sie nicht in Leipzig Häuser kaufen,<br />
sagen wir: mildtätig sind, sondern<br />
in Berlin?<br />
Nein, aber ich würde das auch<br />
sofort inLeipzig tun.<br />
Berlin bekommt den Mietendeckel.<br />
Was halten Sie als Vermieter, den<br />
dieses Instrument einschränken<br />
soll, davon?<br />
Grundsätzlich ist das in Ordnung,<br />
damit in dem Markt mal<br />
Ruhe einkehrt, der ist ja auch vollkommen<br />
heiß gelaufen. Aber ich<br />
bin mir sicher, dass da noch nicht<br />
das letzte Wort gesprochen ist. Es<br />
wird Klagen geben gegen den Deckel<br />
und ich habe auch schon gehört,<br />
dass Mieter unterschreiben<br />
müssen, dass sie Mieten nachzahlen<br />
müssten, falls der Mietendeckel<br />
vor Gericht gecancelt wird.<br />
Wie haben andere Unternehmer<br />
auf den Kauf des Hauses am<br />
Strausberger Platz reagiert? Hat<br />
man Ihnen abgeraten, Sie gar der<br />
Naivität geziehen?<br />
Ja, das gab es auch, aber wenn<br />
man mit diesen Leuten diskutiert,<br />
dann gehen denen schnell die Argumente<br />
aus. Esist am Ende bestechend<br />
einfach: Mankann mit einem<br />
Hauskauf und den damit verbundenen<br />
sozialen Ideen durchaus ein<br />
Zeichen setzen. Es wirdNachahmer<br />
geben. Da bin ich mir ganz sicher.<br />
Das Gespräch führte<br />
Marcus Weingärtner.