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hinnerk Dezember 2019 / Januar 2020

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ich so starke Halluzinationen hatte. Zusätzlich<br />

litt ich an depressiven Schüben und mein<br />

Körper veränderte sich: ich bekam Fettpolster an<br />

Stellen, wo sie nicht hingehörten. Das waren die<br />

Nebenwirkungen. Dazu noch der Therapiestress,<br />

weil die Tabletten nach Zeitplan eingenommen<br />

werden mussten und der ganze Tag sich danach<br />

richtete. Ich konnte so nicht weitermachen.<br />

Gesundheitlich lief es aber ganz gut bis ich<br />

2002 nach Berlin gezogen bin. Durch den Stress<br />

hat sich wohl dann das Immunsystem wieder<br />

verabschiedet. Meine Ärztin hat mir daraufhin eine<br />

Kombi mit einem damals gerade neuen Wirkstoff<br />

verschrieben und diese Kombination nehme ich<br />

mit einer weiteren kurzen Unterbrechung bis<br />

heute. Sie ist wesentlich einfacher einzunehmen<br />

und ich vertrage sie gut.<br />

Du hast die Beschreibung von Marcel<br />

gehört, wie sein Umfeld reagiert hat, wie er<br />

mit der Infektion sozial agiert. Wie war das<br />

bei dir?<br />

Gordon: Es war Anfang der 1990er ein totales<br />

No-Go. Im Privaten wollte mir meine Oma nicht<br />

mal die Hand geben aus Angst, sich anzustecken,<br />

geschweige denn aus einer Tasse trinken. Und in<br />

der Szene hat man natürlich gar nichts gesagt,<br />

sonst hätte man gar keinen Sex mehr gehabt oder<br />

keinen Partner gefunden. Heute hilft es mir als<br />

HIV-Positiver sehr zu wissen, dass jemand, dessen<br />

Virusmenge im Blut dank medikamentöser<br />

Therapie unter der Nachweisgrenze liegt, das<br />

Virus nicht weitergeben kann. ω<br />

*Interview: Christian Knuth<br />

Eine ausführlichere Videoversion dieses Talks<br />

findet ihr unter www.nochvielvor.de und<br />

www.männer.media. Marcel und Gordon<br />

sprechen darin über ihre unterschiedlichen<br />

Stigma-Erfahrungen, ihre Ängste und Erfahrungen<br />

in Alltag und Partnerschaft sowie<br />

darüber, wie Therapie und PrEP noch einmal<br />

alles veränderten.<br />

ω<br />

Obwohl es sich gezeigt hat, dass die erfolgreiche Virussuppression<br />

durch eine antiretrovirale Therapie das Risiko einer sexuellen<br />

Übertragung erheblich reduziert, kann ein Restrisiko nicht ausgeschlossen<br />

werden. Auf Grundlage (unkontrollierter) Beobachtungsstudien<br />

stuft das Robert Koch Institut das Risiko einer sexuellen<br />

Übertragung (Viruslast seit ≥6 Monaten unter der Nachweisgrenze)<br />

als vergleichbar gering ein wie bei der Verwendung eines Kondoms<br />

ohne antiretrovirale Therapie. 1 Auch die Deutsche Aidshilfe wertet<br />

den Schutz durch Therapie als Safer Sex. 2<br />

1<br />

https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/<br />

Ratgeber_HIV_AIDS.html<br />

2<br />

https://www.aidshilfe.de/schutz-therapie#acc-175410<br />

FOTO: XAMAX<br />

Expertenstatement zum<br />

Welt-Aids-Tag: Stefan Esser<br />

Dr. Esser ist seit 1994 in der klinischen Forschung und medizinischen<br />

Versorgung von HIV/AIDS-Patienten am Universitätsklinikum Essen<br />

tätig und in verschiedenen Fachgesellschaften wie der Deutschen AIDS-<br />

Gesellschaft und der dagnä (Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener<br />

Ärzte in der Versogung HIV-Infizierter) aktiv.<br />

Wie hat sich die HIV-Therapie<br />

in den letzten ca. 30 Jahren<br />

weiterentwickelt? Welche<br />

„Meilensteine“ sind Ihnen im<br />

Gedächtnis geblieben?<br />

Die Entwicklung und Einführung<br />

der antiretroviralen Kombinationstherapie<br />

hat bei HIV-Infizierten die<br />

Häufigkeit von schwerwiegenden<br />

Erkrankungen und die Sterberate<br />

drastisch gesenkt. Doch zunächst<br />

litten die Patienten noch unter zahlreichen<br />

Nebenwirkungen. Regelmäßig<br />

mussten viele Pillen geschluckt<br />

werden, um die HIV-Infektion zu<br />

kontrollieren. Virologisches Versagen<br />

mit Resistenzentwicklung war keine<br />

Seltenheit. Die modernen antiretroviralen<br />

Ein-Tabletten-Regime<br />

sind gut verträglich und erreichen<br />

bei mehr als 90% der Behandelten<br />

das Therapieziel einer nicht mehr im<br />

Blut nachweisbaren HI-Viruslast. Die<br />

Lebenserwartung effektiv antiretroviral<br />

behandelter Menschen, die mit<br />

einer HIV-Infektion leben, nähert<br />

sich jener der Allgemeinbevölkerung.<br />

Die Lebensqualität und das<br />

gesunde Altern von HIV-positiven<br />

Menschen rücken immer mehr in<br />

den Fokus.<br />

Hat sich aus Ihrer Sicht der<br />

Umgang Ihrer Patienten mit<br />

der Diagnose verändert?<br />

Die meisten meiner HIV-positiven<br />

Patienten führen heute ein „normales“<br />

Leben, nehmen zuverlässig ihre<br />

antiretrovirale Therapie und definieren<br />

sich oft nicht mehr so stark<br />

wie früher über ihre Erkrankung.<br />

Die Tatsache, dass eine effektive<br />

Behandlung die Übertragung von<br />

HIV verhindert, empfinden viele als<br />

Befreiung und erlaubt angstfreieren<br />

Sex. Während nur noch wenige HIV-<br />

Infizierte bei der Diagnosestellung<br />

schockiert reagieren, betrachten<br />

einige die HIV-Infektion mit einer<br />

unangemessenen Leichtfertigkeit.<br />

Stigmatisierung von HIV-positiven<br />

Menschen sollte heute hoffentlich<br />

kein Thema mehr sein. Doch<br />

trotz der Aufklärungskampagnen,<br />

verschiedenen Testangeboten<br />

und der guten Behandelbarkeit<br />

der HIV-Infektion erfolgen die<br />

Erstdiagnosen selbst in Deutschland<br />

unverändert häufig erst in<br />

fortgeschrittenen Stadien. Dies<br />

ist einer der wichtigsten Gründe,<br />

warum noch immer Menschen in<br />

Deutschland an AIDS sterben.<br />

Wir danken dem forschenden Pharmaunternehmen Gilead Sciences für die<br />

freundliche Unterstützung bei der Durchführung des Interviews.<br />

FOTO: MEDIENZENTRUM UK ESSEN

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