2019/49 - Querfeldein
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
28 // <strong>Querfeldein</strong>.<br />
Hugo Berger ist auch mit 86 Jahren noch fasziniert vom Bäckerhandwerk.<br />
Der Seniorchef der Reutlinger Bäckerei begann 1965 mit Vollkornmehl zu<br />
backen und war damit dem Zeitgeist voraus. Aber auch sein karitatives<br />
Engagement zeichnet den ehemaligen Stadtrat aus. Von Kirsten Oechsner<br />
Dem ganz eigenen Duft<br />
von frisch gebackenem<br />
Brot und der speziellen Atmosphäre<br />
einer Backstube<br />
kann sich Hugo Berger bis<br />
heute nicht entziehen. Jeden<br />
Nachmittag schaut der<br />
86-Jährige in der Bio-Bäckerei<br />
Berger in der Wilhelmstraße<br />
vorbei, jedoch<br />
nicht, um ein Schwätzchen<br />
zu halten und sich umzusehen.<br />
Hugo Berger packt<br />
mit an. Wenn die meisten<br />
jungen Kollegen endlich<br />
Feierabend haben, sorgt<br />
der Bäckermeister für den<br />
Nachschub an frischen<br />
Brezeln, Brötchen und gelegentlich<br />
auch Brot.<br />
Gerne mittendrin<br />
im Geschehen<br />
Der Senior ist gerne<br />
mittendrin im Geschehen:<br />
Das brauche er, gibt er zu.<br />
Und er wolle dieses aktive<br />
Mitdabeisein so lange<br />
wie möglich genießen.<br />
Dafür wird Hugo Berger<br />
respektiert, trotz<br />
des hohen Alters ist er<br />
nach wie vor ein Teil des<br />
Teams: „Ade Chef“, ruft<br />
ihm ein Mitarbeiter zu<br />
und macht sich nach Hause<br />
auf. Es ist 15 Uhr, Hugo<br />
Berger schaut nur kurz auf<br />
und holt eine Ladung Brezeln<br />
aus dem Backofen.<br />
Frisch und knackig, so wie<br />
sie sein sollen: „Wenn die<br />
Backware aus dem Ofen<br />
kommt und in Ordnung<br />
ist, dann fühlt man eine<br />
gewisse Genugtuung“, beschreibt<br />
er seine immer<br />
noch andauernde<br />
Faszination fürs<br />
Bäckerhandwerk.<br />
„Ich bin verwachsen<br />
mit der Materie<br />
Mehl und<br />
Teig.“<br />
Die Liebe dauert<br />
nun schon seit seiner<br />
Lehrlingszeit: „Damals<br />
// Hugo und Herbert Berger (hier im Jahr 2005) haben seit Jahrzehnten<br />
Vollkornbackwaren im Sortiment. Foto: SWP-Archiv<br />
habe ich den Teig noch mit<br />
der Hand machen müssen,<br />
da lacht man heute<br />
darüber“, erinnert sich<br />
Hugo Berger an die Anfangsjahre<br />
in seinem Beruf<br />
zurück. Heute stehen den<br />
Bäckern viele technische<br />
Hilfsmittel zur Verfügung,<br />
doch eines hat sich in der<br />
Bäckerei Berger immer<br />
noch nicht geändert: „Wir<br />
fahren alles mit Sauerteig<br />
selbst.“ Das traditionelle<br />
Handwerk wird bei Bergers<br />
hochgehalten, die Bio-Bäckerei<br />
steht für Qualität,<br />
Geschmack und vor allem<br />
Gesundheit.<br />
„Körnlesbäck“ haben<br />
seine Reutlinger Kollegen<br />
einst belustigt zu Hugo<br />
Berger gesagt, sie standen<br />
seinen Aktivitäten skeptisch<br />
gegenüber. In Zeiten,<br />
als es absoluter Trend war,<br />
mit Weißmehl zu backen<br />
und als Vollkornprodukte<br />
aus den Regalen so gut<br />
wie verschwunden waren,<br />
besann er sich wieder auf<br />
das Vollkorn. 1965 war’s,<br />
als ihn eine Kundin mit Dr.<br />
Schnitzer aus St. Georgen<br />
im Schwarzwald in Kontakt<br />
brachte. Der Zahnarzt beschäftigte<br />
sich intensiv mit<br />
dem Thema Vollkorn, wollte<br />
es Bäckern nahebringen:<br />
„Die Frau schwärmte von<br />
dem Brot und fragte nach,<br />
ob ich nicht Interesse daran<br />
hätte.“ Das hatte der<br />
junge Bäckermeister: „Ich<br />
„ Ich bin<br />
verwachsen<br />
mit der<br />
Materie Mehl<br />
und Teig.“<br />
Hugo Berger<br />
Seniorchef der<br />
Bio-Bäckerei Berger<br />
war im besten Alter und offen<br />
für alles.“ Hugo Berger<br />
machte sich sachkundig,<br />
kaufte sich eine Schrotmühle<br />
– „bei der landwirtschaftlichen<br />
Genossenschaft“,<br />
weiß er noch<br />
ganz genau – und legte los:<br />
„Vollkornmehl muss man<br />
frisch mahlen und gleich<br />
verarbeiten.“<br />
Viele Reutlinger<br />
freuten sich<br />
Ein Prinzip, das heute<br />
noch in der Bio-Bäckerei<br />
Berger gepflegt wird und<br />
bei den Kunden vom ersten<br />
Moment an gut ankam<br />
– das Interesse an Vollkornprodukten<br />
habe langsam,<br />
aber stetig zugenommen:<br />
„Das hat mir gezeigt, dass<br />
wir auf dem richtigen Weg<br />
sind.“ Die Nachfrage stieg<br />
an, das Vollkornsortiment<br />
wurde ausgebaut: „Es sind<br />
Leute gekommen, die über<br />
das Vollkorn Bescheid<br />
wussten“, erinnert sich<br />
Hugo Berger, denen habe<br />
man nicht viel erklären<br />
müssen. Im Gegenteil: Viele<br />
Reutlinger hätten sich<br />
über das neue Angebot<br />
gefreut, hatten sie bis zu<br />
diesem Zeitpunkt ihre Vollkornwaren<br />
doch in Stuttgart<br />
kaufen müssen.<br />
Hugo Berger wurde in<br />
einem kleinen Dorf im<br />
Hohenlohischen geboren,<br />
dort lernte er in jungen<br />
Jahren seine spätere<br />
Ehefrau Elisabeth kennen<br />
– eine wichtige Wegbegleiterin<br />
über die ganzen Jahre<br />
hinweg: „Sie war immer<br />
der Motor im Laden, ohne<br />
sie hätte ich es nicht so<br />
weit gebracht.“ Während<br />
seiner Meisterausbildung<br />
in Betzingen hatte er kurz<br />
vor Ende der Prüfung vom<br />
Verkauf einer Bäckerei in<br />
Reutlingen gehört und<br />
schlug zu. Das Ehepaar