Berliner Zeitung 24.01.2020
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 20 · F reitag, 24. Januar 2020 17<br />
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Gesundheit<br />
Kälte, die guttut<br />
Extreme Minus-Temperaturen können Patienten mit entzündlichem Gelenkrheuma helfen. Berlins kälteste Orte dafür liegen am Wannsee und in Lichtenberg<br />
VonMichael Timm<br />
Die Temperatur liegt bei Minus 86 Grad. Das hält niemand lange aus –auch nicht, wenn es hilft.<br />
Zur Badekleidung tragen sie<br />
Mütze, Schal, Handschuhe<br />
und dicke Socken. Das Gesicht<br />
ist durch eine Maske<br />
geschützt, wie sie sonst nur Chirurgen<br />
im OP anlegen. Dann öffnet sich<br />
die Kühlschranktür.Kältewolken wabern<br />
über den Boden. Jetzt ein paar<br />
mutige Schritte: Und schon stehen<br />
die Patienten in sibirischer Kälte.<br />
Frank Ruppenthal schließt hinter ihnen<br />
schnell die schwereStahltür.<br />
Jeden Morgen bricht am Wannsee<br />
die Eiszeit an. Dort, wo die Patienten<br />
im Badeanzug jetzt von einem Fuß<br />
auf den anderen treten, fällt das Thermometer<br />
auf minus 60 Grad. Das ist<br />
so kalt wie Sibirien im Winter. Doch<br />
die Tiefkühlzelle ist nur der Vorraum.<br />
30 Sekunden später öffnet sich eine<br />
zweite Tür. Jetzt kommt die eigentliche<br />
Kältekammer.Vier Quadratmeter<br />
ist sie groß. Hier herrschen eisige<br />
Temperaturen wie im Weltraum: 110<br />
Grad minus! Willkommen in Berlins<br />
ungewöhnlichster Rheuma-Station.<br />
Willkommen in der Wannseer Kältekammer.<br />
Sie steht im Immanuel-Krankenhaus<br />
an der Königstrasse. Bei minus<br />
110 Grad gefriert hier sogar der<br />
Schmerz. Das ist der Sinn der Kältetherapie.<br />
„Die meisten unserer Patienten<br />
leiden an entzündlichem Gelenkrheuma<br />
oder an rheumatischen<br />
Krankheiten wie Bechterew und Psoriasis-Arthritis“,<br />
erklärt Frank Ruppenthal.<br />
Der leitende Physiotherapeut<br />
ist für die Therapie in der Kältekammer<br />
zuständig. Täglich schleust<br />
er bis zu hundert Patientinnen und<br />
Patienten in kleinen Gruppen durch<br />
den arktischen Kälteschock. DerAufenthalt<br />
in derTiefkühlkammer dauert<br />
aber nur höchstens drei Minuten. In<br />
dieser Zeit heißt es, ständig in Bewegung<br />
zu bleiben. Dann ist der Ausflug<br />
schon wieder beendet. Ein angenehmes<br />
Wärmegefühl macht sich breit,<br />
sobald man sie wieder verlässt. Das<br />
Wichtigste aber: Die Schmerzen sind<br />
nahezu weg. Oder haben wenigstens<br />
vorübergehend abgenommen. Denn<br />
nach der Kältebehandlung können<br />
die Rheumatiker ihre kranken Gelenke<br />
plötzlich wieder viel besser bewegen.<br />
Sie gehen dann gleich zur<br />
Krankengymnastik und machen<br />
Übungen, die sonst wegen der<br />
Schmerzen gar nicht möglich wären.<br />
Auf diese Weise erhalten sie ihre Gelenke<br />
trotz Rheuma einigermaßen<br />
beweglich. In der Regel sind mindestens<br />
zehn Anwendungen erforderlich,<br />
um eine spürbare und anhaltendeWirkung<br />
zu erzielen.<br />
Die Haut kühlt sich demnach auf<br />
etwa acht Grad Celsius ab.„Die Körpertemperatur<br />
bleibt aber während<br />
dieser drei Minuten in der Regel stabil“,<br />
sagt Chefarzt Andreas Krause,<br />
der die Abteilung für Rheumatologie<br />
am Immanuel-Krankenhaus Berlin<br />
leitet. „Die Kältereize verdrängen<br />
hier den Schmerzreiz.“ Durch die<br />
ZB<br />
Kälte sollen schmerz- und entzündungshemmende<br />
Mechanismen in<br />
Gang gesetzt werden.<br />
„Unsere Behandlung löst mehrere<br />
entzündungshemmende Mechanismen<br />
aus“, sagt Frank Ruppenthal.<br />
„Die Schmerzweiterleitung aus<br />
den Gelenken wird gebremst. Das<br />
Blut fließt verstärkt in das Innereder<br />
Muskulatur, die dadurch mehr Sauerstoff<br />
und Nährstoffe erhält. Unsere<br />
Erfahrungen haben gezeigt, dass wir<br />
95 Prozent der Schmerzpatienten<br />
mit der Kältetherapie helfen können.“<br />
Die Kältetherapie schafft nicht<br />
nur ein deutlich verbessertes Lebensgefühl<br />
für die Betroffenen, sondernhilft<br />
auch, schmerzlösende und<br />
entzündungshemmende Medikamente<br />
(Antirheumatika) einzusparen.<br />
Viele Menschen berichten, dass<br />
sie sich nach ihrem ersten Kälteerlebnis<br />
viel freier bewegen können.<br />
Die Ganzkörperkältetherapie steigert<br />
die Leistungsfähigkeit und verbessertdas<br />
Allgemeinbefinden.<br />
Diese Möglichkeit möchte Chefarzt<br />
Andreas Krause möglichst vielen<br />
seiner Patienten bieten. Der Spezialist<br />
leitet die Abteilung für Rheumatologie<br />
am Immanuel-Krankenhaus<br />
Berlin. Dazu gehört auch eine<br />
Rheuma-Tagesklinik. Dafür braucht<br />
man allerdings eine Einweisung vom<br />
Arzt und eine Kostenübernahmeerklärung<br />
der Krankenkasse für eine<br />
teilstationäreBehandlung. Auch ambulante<br />
Patienten sind willkommen,<br />
die die Kosten jedoch selbst tragen<br />
müssen.<br />
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