Berliner Zeitung 24.01.2020
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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 20 · F reitag, 24. Januar 2020 – S eite 20 *<br />
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Sport<br />
Altersgrenze<br />
Gegen die<br />
Helikopterthese<br />
Daniel Theweleit<br />
glaubt, dass Profiverträgefür<br />
16-JährigeSinn machen.<br />
Der Fußballspieler Youssoufa<br />
Moukoko ist zwar erst 15 Jahre<br />
alt, er hat noch nie für eine Profi-<br />
Mannschaft gespielt, aber seine Regungen<br />
in den Sozialen Netzwerken<br />
werden schon jetzt beobachtet, als<br />
habe sich ein berühmter Nationalspieler<br />
geäußert. „Ich bin bereit für<br />
das BESTE Jahr meines Lebens“,<br />
schrieb er seinen mehr als 400 000<br />
Abonnenten an Silvester.„#2020wird<br />
der Hammer“, kündigte er an und erzeigte<br />
mit einem „Pssst“-Emoji geschickt<br />
den Eindruck, schon mehr zu<br />
wissen. Womöglich war das tatsächlich<br />
so. Denn nun wurde bekannt,<br />
dass die Altersgrenze für Spieler, die<br />
in der Bundesliga eingesetzt werden<br />
dürfen, herabgesenkt werden soll.<br />
Dortmunds Moukoko wäre nach<br />
der alten Regel frühestens ab der Saison<br />
2021/2022 in der Bundesliga<br />
spielberechtigt, künftig sollen die<br />
Nachwuchsleute aber schon ab ihrem<br />
16. Geburtstag auflaufen können.<br />
Moukoko, der mit Abstand die<br />
Torschützenliste der A-Jugend-Bundesliga<br />
West anführt, dürfte ab dem<br />
20. November bei den Profis eingesetzt<br />
werden, etwa acht Monate eher.<br />
Ab 16 dürfen die Talente auch in<br />
den anderen großen Ligen spielen,<br />
über die in den deutschen Nachwuchsleistungszentren<br />
oft mit verächtlichem<br />
Unterton gesprochen<br />
wird. Jugendspieler würden dortverheizt,<br />
heißt es, gerade in England<br />
werde zu wenig Wert auf die Entwicklung<br />
der Persönlichkeit und<br />
Ausbildung jenseits des Sports gelegt.<br />
Wer scheitert, hat oft keinen<br />
Schulabschluss, keine Ausbildung,<br />
während in Deutschland viel Wert<br />
auf pädagogische Konzepte und Befähigung<br />
für ein Berufsleben außerhalb<br />
des Fußballs geachtet wird. Und<br />
die Auswüchse mit Millionensummen<br />
für Kinder sind in Deutschland<br />
nicht ganz so extrem wie anderswo.<br />
Der Vorsatz, junge Spieler zu<br />
schützen, ist vernünftig. Sportler,die<br />
sich sehr schnell entwickeln, aus der<br />
Profiwelt fernzuhalten, wirkt allerdings<br />
wie der Reflex einer Helikoptermutter.<br />
Die Teenager in den<br />
Nachwuchsabteilungen arbeiten sowieso<br />
wie Profis, inder Regel haben<br />
sie große Lust auf die Bundesliga. Bevor<br />
sie den Sprung geschafft haben,<br />
stehen sie oft sogar noch mehr unter<br />
Druck, weil sie im Jugendbereich die<br />
Besten sind, Erwartungen vonEltern<br />
und Beratern erfüllen müssen, der<br />
erste Profivertrag ist oft eine Erleichterung.<br />
Niemandem ist geholfen,<br />
wenn 16-Jährige, die gut genug für<br />
die Erste Liga sind, künstlich ausgeschlossen<br />
werden. Dass die Fußballöffentlichkeit<br />
durchdrehen würde,<br />
wenn Youssoufa Moukoko ab November<br />
mit Erling Haaland durch<br />
die Strafräume der Liga wirbelt, halten<br />
solche Jungs leichter aus als das<br />
ungewisseWarten auf den ersehnten<br />
Sprung nach oben.<br />
Das feurige Derbyzwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC hat Rekordstrafen für beide Klubs nach sich gezogen.<br />
Nachwehen des Derbys<br />
Während Hertha BSC trotz ligaweiter Rekordstrafe aufatmet, will Union den Strafantrag in aller Ruhe prüfen<br />
VonMax Ohlert<br />
Hertha BSC war am Donnerstag<br />
bemüht, die Angelegenheit,<br />
welche den<br />
Hauptstadtklub auf seinem<br />
ambitionierten Weg in die<br />
höchsten Höhen des deutschen<br />
Fußballs doch ziemlich belastet<br />
hatte,schnellstmöglich ad acta zu legen.<br />
Anfang November hatten Anhänger<br />
der Blau-Weißen beim ersten<br />
Bundesliga-Derby zwischen ihrem<br />
Klub und dem 1. FC Union im Stadion<br />
An der Alten Försterei aus dem<br />
Gästeblock mehrfach Pyrotechnik<br />
gezündet und Leuchtraketen auf das<br />
Spielfeld und in die umliegenden<br />
Blöcke geschossen. Ein Fan der<br />
Unioner wurde leicht verletzt.<br />
Nun, knapp drei Monate später,<br />
schloss Hertha BSC die Vereinsmitteilung<br />
zum mit Sorgen erwarteten<br />
Urteil des DFB-Sportgerichtes mit<br />
den merklich erleichterten Worten:<br />
„Mit diesem Urteil findet ein umfassendes<br />
und langwieriges Verfahren<br />
zur Aufbereitung der Vorfälle [...] auf<br />
sport- und verbandsrechtlicher<br />
Ebene sein Ende.“ Thema vomTisch,<br />
erledigt, finito.<br />
Die Angst voreinem Geisterspiel<br />
Trotz der ligaweiten Rekordstrafe<br />
von 190 000 Euro, von denen die<br />
Charlottenburger 63 000 Euro in sicherheitstechnische<br />
und gewaltpräventive<br />
Maßnahmen investieren<br />
müssen, war es dem selbst ernannten<br />
„Big City Club“ von vornherein<br />
ein Anliegen, der in der Höhe bislang<br />
einzigartigen Summe, bei der laut<br />
Urteilstext auch die hohen Strafen<br />
für die Ausschreitungen im Pokalspiel<br />
in Rostock 2017 (100 000 Euro)<br />
und für das Ligaspiel in Dortmund<br />
2018 (135 000 Euro) erschwerend<br />
einbezogen wurden, ohne Widerworte<br />
zuzustimmen. Denn beim<br />
Klub ist man sich sicher, dass es für<br />
Hertha −für Berlin! −nach dem neuerlichen<br />
Fehlverhalten im Derby<br />
auch weitaus schlimmer hätte kommen<br />
können.<br />
„Der 1. FC Union<br />
ist keine<br />
Ermittlungsgruppe.“<br />
Nicht wenige fürchteten nach<br />
den zahlreichen Vorkommnissen in<br />
der Vergangenheit nämlich mindestens<br />
einen Zuschauer-Teilausschluss<br />
beim Derby-Rückspiel im<br />
März, wenn nicht sogar ein Geisterspiel<br />
im Olympiastadion. Es wäre<br />
eine Katastrophe für die Stadt gewesen,<br />
die sich so lange nach einem<br />
echten Hauptstadtduell auf höchstem<br />
Niveau gesehnt hat. Vom horrenden<br />
Image-Schaden für den<br />
blau-weißen Klub,der eigentlich gerade<br />
daran arbeitet, neue Sympathien<br />
in und um Berlin aufzubauen,<br />
ganz zu schweigen. DasBild vonvermummten,<br />
Pyrotechnik zündenden<br />
Fans passt nicht zum Selbstbild des<br />
Vereins.Eine Berufung gegen das Urteil<br />
hätte dieses in der Öffentlichkeit<br />
wieder in Erinnerung gerufen.<br />
Solche Image-Sorgen hat man im<br />
Südosten Berlins indes nicht. Undso<br />
verwunderte es kaum, dass sich der<br />
1. FC Union, anders als der Konkurrent<br />
aus dem Westteil derStadt, dem<br />
Christian Arbeit, Sprecher des Bundesligisten aus Köpenick,<br />
über die Suche nach den Vermummten, die nach dem<br />
Derby gegen Hertha BSC den Platz gestürmt haben.<br />
Strafantrag des DFB-Sportgerichtes<br />
nicht so demütig beugte. Für das<br />
Zünden von Bengalos und Rauchtöpfen,<br />
dem unkontrollierten Einlass<br />
von rund 250 Union-Fans vor<br />
dem Spiel, sowie dem Platzsturm<br />
vereinzelter, vermummter Chaoten,<br />
die nur mit Mühe von Ordnern und<br />
Spielern der Eisernen zurückgedrängt<br />
werden konnten, beantragte<br />
das Gericht für Union eine Strafe von<br />
158 000 Euro.<br />
Eine massive Steigerung zur bisherigen<br />
Rekordsumme von rund<br />
Auf Hochtouren<br />
IMAGO-IMAGES/MATTHIAS KOCH<br />
57 000 Euro, die die Köpenicker für<br />
den Platzsturm nach dem Aufstieg<br />
im Mai 2019 berappen mussten. Sogar<br />
das Gesamtstrafvolumen der<br />
kompletten Aufstiegssaison 2018/19<br />
(125 000 Euro) würde die aktuelle<br />
Forderung deutlich übersteigen.<br />
In Köpenick fragt man deshalb<br />
leise nach der Verhältnismäßigkeit,<br />
immerhin unterschreitet die Strafe<br />
der Eisernen die der in der Vergangenheit<br />
vielfach zur Kassegebetenen<br />
Herthaner mit 32 000 Euro nur wenig.<br />
Offiziell erklärteVereinssprecher<br />
Christian Arbeit, dass man den Strafantrag<br />
innerhalb der Widerspruchsfrist<br />
in Ruhe prüfen wolle.<br />
Warten aufdie Polizei<br />
Für den 1. FC Union hängt an diesem<br />
Schritt zudem das weitere interne<br />
Vorgehen in der Aufarbeitung des<br />
Derbys. Für gewöhnlich tut sich der<br />
Klub schwer, eigene Fans aufgrund<br />
vonVergehen im Stadion An der Alten<br />
Försterei zu bestrafen.Wo andere<br />
Vereine präventiv mal eben ganze<br />
Fangruppen ausschließen, betonte<br />
Arbeit im aktuellen Fall: „Der 1. FC<br />
Union ist keine Ermittlungsgruppe<br />
und die Bilder der Sicherheitskameras<br />
reichen noch nicht für die konkrete<br />
Identifizierung potenzieller<br />
Unruhestifter. Wir benötigen Namen,<br />
Wohnorte.Das zu ermitteln, ist<br />
Aufgabe der Polizei. Es gibt Fälle, in<br />
denen solche Ermittlungen zwei<br />
Jahre gedauert haben.“ Bei den Eisernen<br />
überwiegt also eher der<br />
Wunsch nach Gerechtigkeit, als nach<br />
einem schnellen Ende der Aufarbeitung.<br />
Hertha BSC arbeitet intensiv daran, den Personalwünschen von Cheftrainer Jürgen Klinsmann gerecht zu werden<br />
Auf einem<br />
guten<br />
Weg<br />
Bei Patchs Rückker besiegt<br />
Berlin die Alpenvolleys<br />
VonKarin Bühler<br />
Mitten im Ballwechsel musste<br />
Berlins Trainer Cedric Enardin<br />
den Ärmel seines Anzugs husten.<br />
Okay, es war ein sehr langer Ballwechsel<br />
in der Mitte des zweiten Satzes,<br />
den Berlins Kapitän Moritz Reichert<br />
schließlich zum 13:12 für die<br />
BR Volleys übers Netz stupste. Die<br />
Szene während der Bundesligapartie<br />
zwischen dem ungeschlagenen Tabellenführer<br />
BR Volleys und dem Tabellenzweiten<br />
Alpenvolleys Haching<br />
zeigte zwei Dinge: zum einen die Abwehrstärke<br />
der Gäste-Mannschaft,<br />
die die Bälle unermüdlich zurück<br />
übers Netz brachte, vom Boden<br />
kratzte, irgendwie erwischte –und<br />
zum anderen die Erkältung vonBerlins<br />
französischem Trainer.<br />
Vordem 3:1 (25:15, 21:25, 25:21,<br />
25:20)-Sieg am Donnerstagabend<br />
hatte der Deutsche Meister ja befürchtet,<br />
Spieler wie Cody Kessel<br />
oder Jeff Jendryk gar nicht aufs Feld<br />
schicken zu können, weil die Fiebergrippe,<br />
wegen der Trainer Enard am<br />
Sonntag bei der Auswärtspartie gegen<br />
Giesen gefehlt hatte,aucheinige<br />
Volleyballer erwischt hatte. Aber<br />
Jendryk und Kessel standen auf dem<br />
Feld, während die Angreifer Benjamin<br />
Patch und Samuel Tuia nach ihren<br />
Verletzungen zwar wieder das<br />
orangefarbige Trikot übergestreift<br />
hatten, zunächst aber vomSpielfeldrand<br />
aus zuschauten.<br />
Zehn Punkte hintereinander<br />
Sie sahen, einen kuriosen ersten<br />
Satz, in dem die Alpenvolleys vom<br />
ersten Punkt an bis zur Mitte des SatzesinFührung<br />
lagen. Dann ging Berlins<br />
Mittelblocker Nicolas Le Goff<br />
zum Aufschlag. Der Franzose ist<br />
nicht als Service-Monster bekannt.<br />
Aber weil seine Floataufschläge die<br />
Lücken fanden und sich die gegnerischen<br />
Spieler in Diskussionen mit<br />
dem Schiedsrichter aufrieben, gelangen<br />
den <strong>Berliner</strong>nzehn Punkte in<br />
Seriezum deutlichen Satzgewinn.<br />
Durchgang zwei ging an die Alpenvolleys.<br />
Als sich Kyle Ensing im<br />
dritten Satz in Angriff und Aufschlag<br />
immer schwerer tat, kam für ihn,<br />
vom Jubel der knapp 4100 Zuschauer<br />
begrüßt, Patch zum ersten<br />
Malseit seiner Achillessehnenverletzung<br />
aufs Feld. Er tat dem Team sofort<br />
gut. Auch wenn Zuspieler Sergej<br />
Grankin ihn dezent einsetzte, vermittelte<br />
er sofort Sicherheit – und<br />
gute Laune.Mit acht Punkten trug er<br />
zum Sieg bei. „Man hat gesehen, was<br />
uns gefehlt hat“, sagte Manager KawehNiroomand<br />
über Patch. Er fand,<br />
sein Team sei auf einem guten Weg<br />
der Formfindung, die es nur über<br />
Spielpraxis erreichen könne. Am<br />
Dienstag kommt das russische Topteam<br />
Fakel Novi Urengoi in der<br />
Champions League nach Berlin. Bis<br />
dahin wollen die Volleys an der<br />
Blockabwehr arbeiten. Und bis dahin<br />
sollte auch keiner mehr husten.<br />
Vielleicht bald Sturmkollege von Erling<br />
Haaland: Youssoufa Moukoko.<br />
DPA<br />
Der Fußball ist Jürgen Klinsmann<br />
nicht genug. Das hat sich am<br />
Donnerstag gezeigt, als er im<br />
Schlepptau des Regierenden Bürgermeisters<br />
Michael Müller nach einem<br />
Gespräch beimVerband der Automobilindustrie<br />
(VDA) für einen Neustart<br />
der Automesse IAA in Berlin warb.„So<br />
eine Ausstellung verbindet alle. Es<br />
geht nicht nur ums Auto“, sagte der<br />
55-Jährige, schwärmte darüber hinaus<br />
vonBerlin als einer Stadt,„die unheimlich<br />
in Bewegung ist“.<br />
Recht hat er, und natürlich darf<br />
diese Einschätzung auch auf Hertha<br />
BSC übertragen werden, auf den<br />
Bundesligisten, den er als Frontkämpfer<br />
zu einer ganz großen Nummer<br />
im europäischen Klubfußball<br />
machen will. Undanscheinend weiß<br />
er auch genau, was es dafür ganz<br />
dringend braucht, nämlich Spieler<br />
vonherausragender Qualität.<br />
Deshalb vergeht in diesem Januar<br />
auch kaum ein Tag, an dem im Zusammenhang<br />
mit den Blau-Weißen<br />
über Transfers spekuliertwird. Parallel<br />
zu Klinsmanns Werbetour in Sachen<br />
Automesse meldete die für gewöhnlich<br />
bestens informierte Sport-<br />
Tageszeitung L'Équipe beispielsweise,<br />
Hertha und Olympique Lyon<br />
stünden in der Personalsache Lucas<br />
Tousart kurz vor einer Einigung.<br />
Ohne Boni betrage die Ablösesumme,<br />
auf die sich bei beide Klubs<br />
verständigt hätten, satte 24 Millionen<br />
Euro. Das Problem: Lyon will<br />
den 22 Jahre alte Mittelfeldspieler<br />
erst im Sommer ziehen lassen. Was<br />
Klinsmann natürlich nicht gefallen<br />
kann, da er für die Hertha ja akuten<br />
Bedarfausgemacht hat.<br />
Dahingehend könnte wiederum<br />
der Leipziger Cunha eine Lösung<br />
darstellen, im Besonderen, da RB<br />
dem 20-Jährigen bei einer Ablösesumme<br />
in Höhe von 15 Millionen<br />
Euro wohl tatsächlich ziehen lassen<br />
will und unmittelbar vor der Verpflichtung<br />
des kroatischen Ausnahmekönners<br />
Dani Olmo steht. (BLZ)<br />
Gute Zusammenarbeit: Zuspieler Sergej<br />
Grankin und Nicolas Le Goff. DPA/ANDREAS GORA