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Berliner Zeitung 24.01.2020

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2* <strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 20 · F reitag, 24. Januar 2020<br />

2 *<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 20 · F reitag, 24. Januar 2020<br />

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·<br />

Report<br />

Der britische Thronfolger Prinz Charles wird vom israelischen Präsidenten Reuven Rivlin empfangen. AP<br />

Der russische Präsident Putin (l.) mit Israels Ministerpräsident Netanjahu und dessen Frau Sarah.<br />

AP<br />

Frankreichs Staatschef Macron umarmt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.<br />

AFP<br />

„Wenn der Antisemitismus<br />

wieder<br />

auftaucht, vermehren<br />

sich alle Formen des<br />

Rassismus, alle<br />

Formen der Spaltung<br />

breiten sich aus. (…)<br />

Wir haben kein Recht<br />

zu vergessen.“<br />

Emmanuel Macron,<br />

französischer Präsident<br />

„Wir müssen stark<br />

zusammenstehen<br />

gegen (…) die eine<br />

Regierung auf der<br />

Welt, für die<br />

das Leugnen des<br />

Holocaust<br />

Staatspolitik ist.<br />

Die Welt muss stark<br />

zusammenstehen<br />

gegen die Islamische<br />

Republik Iran.“<br />

Gepriesen sei der Herr, (…) dass er<br />

mich heute hier sein lässt.<br />

Welche Gnade, welches Geschenk,<br />

dass ich heute hier in Yad<br />

Vashem zu Ihnen sprechen darf. Hier in Yad<br />

Vashem brennt die ewige Flamme der Erinnerung<br />

an die Toten der Schoah. Dieser Orterinnertanihr<br />

millionenfaches Leid. Undererinnertanihr<br />

Leben, an jedes einzelne Schicksal.<br />

Dieser Ort erinnert anSamuel Tytelman,<br />

ein begeisterter Schwimmer,der bei Makkabi<br />

Warschau Wettkämpfe gewann, und an seine<br />

kleine Schwester Rega, die ihrer Mutter beim<br />

Kochen für den Schabbat half. Dieser Ort erinnert<br />

anIda Goldis und ihren dreijährigen<br />

Sohn Vili. Im Oktober wurden sie aus dem<br />

Ghetto Chisinau deportiert, und im Januar,in<br />

bitterster Kälte,schrieb Idaein letztes Malan<br />

ihre Eltern und an ihre Schwester: „Ich bedaure<br />

aus tiefster Seele, dass ich beim Abschied<br />

die Bedeutung des Augenblicks nicht<br />

erfasste,[…] dass ich Dich nicht fest umarmt<br />

habe,ohne loszulassen.“ Deutsche haben sie<br />

verschleppt. Deutsche haben ihnen Nummern<br />

auf die Unterarme tätowiert. Deutsche<br />

haben versucht, diese Menschen zu entmenschlichen,<br />

zu Nummern zumachen, im<br />

Vernichtungslager jede Erinnerung an sie<br />

auszulöschen. Es ist ihnen nicht gelungen.<br />

Samuel und Rega, Ida und Vili waren<br />

Menschen. UndMenschen bleiben sie in unserer<br />

Erinnerung. Hier in YadVashem wird<br />

ihnen –wie es im Buch des Propheten Jesaja<br />

heißt –„ein Denkmal und ein Name“ gegeben.<br />

Vordiesem Denkmal stehe auch ich als<br />

Mensch –und als Deutscher.(...) Undich verneige<br />

mich in tiefer Trauer.<br />

Samuel und Rega, Idaund Vili waren Menschen.<br />

Undauch das muss ich hier und heute<br />

aussprechen: DieTäter waren Menschen. Sie<br />

waren Deutsche. Die Mörder, die Wachleute,<br />

die Helfershelfer, die Mitläufer: Sie waren<br />

„Wir schützen<br />

jüdisches Leben!“<br />

Die Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier<br />

in der Holocaust-Gedenkstätte YadVashem<br />

Dokumentiert<br />

Deutsche. Der industrielle Massenmord an<br />

sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das<br />

größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte<br />

–eswurde vonmeinen Landsleuten<br />

begangen. Dergrausame Krieg, der weit mehr<br />

als 50 Millionen Menschenleben kosten<br />

sollte,erging vonmeinem Lande aus.<br />

75 Jahrenach der Befreiung vonAuschwitz<br />

stehe ich als deutscher Präsident vorIhnen allen,<br />

beladen mit großer historischer Schuld.<br />

Doch zugleich bin ich erfüllt vonDankbarkeit:<br />

für die ausgestreckte Hand der Überlebenden,<br />

für das neue Vertrauen vonMenschen in<br />

Israel und der ganzen Welt, für das wieder erblühte<br />

jüdische Leben in Deutschland. Ich<br />

bin beseelt vom Geist der Versöhnung, der<br />

Deutschland und Israel, der Deutschland, Europa<br />

und den Staaten der Welt einen neuen,<br />

einen friedlichenWeggewiesen hat.<br />

Die Flamme von Yad Vashem erlischt<br />

nicht. Und unsere deutsche Verantwortung<br />

vergeht nicht. Ihrwollen wir gerecht werden.<br />

An ihr sollt Ihruns messen. Weil ich dankbar<br />

bin für das Wunder der Versöhnung, stehe<br />

ich vor Ihnen und wünschte, sagen zu können:<br />

Unser Erinnernhat uns gegen das Böse<br />

immun gemacht.<br />

Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber<br />

manchmal scheint es mir, als verstünden wir<br />

die Vergangenheit besser als die Gegenwart.<br />

Diebösen Geister zeigen sich heute in neuem<br />

Gewand. Mehr noch: Siepräsentieren ihr antisemitisches,<br />

ihr völkisches, ihr autoritäres<br />

Denken als Antwortfür die Zukunft, als neue<br />

Lösung für die Probleme unserer Zeit. Ich<br />

wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche<br />

haben für immer aus der Geschichte gelernt.<br />

Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und<br />

Hetzesich ausbreiten. Daskann ich nicht sagen,<br />

wenn jüdische Kinder auf dem Schulhof<br />

bespuckt werden. Das kann ich nicht sagen,<br />

wenn unter dem Deckmantel angeblicher<br />

Kritik an israelischer Politik kruder Antisemitismus<br />

hervorbricht. Das kann ich nicht sagen,<br />

wenn nur eine schwere Holztür verhindert,<br />

dass ein Rechtsterrorist an JomKippur in<br />

einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet.<br />

Natürlich: Unsere Zeit ist nicht dieselbe<br />

Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es sind<br />

nicht dieselben Täter. Aber es ist dasselbe<br />

Böse. Und es bleibt die eine Antwort: Nie<br />

wieder! Niemals wieder! Deshalb darfeskeinen<br />

Schlussstrich unter das Erinnerngeben.<br />

Diese Verantwortung ist der Bundesrepublik<br />

Deutschland vom ersten Tage eingeschrieben.<br />

Aber sie prüft uns –hier und heute!<br />

Dieses Deutschland wird sich selbst nur<br />

dann gerecht, wenn es seiner historischen<br />

Verantwortung gerecht wird: Wirbekämpfen<br />

den Antisemitismus! Wir trotzen dem Gift<br />

des Nationalismus! Wir schützen jüdisches<br />

Leben! Wirstehen an der Seite Israels! Dieses<br />

Versprechen erneuereich hier inYadVashem<br />

vorden Augen derWelt. Undich weiß, ich bin<br />

nicht allein. Hier in YadVashem sagen wir<br />

heute gemeinsam: Nein zu Judenhass! Nein<br />

zu Menschenhass!<br />

Im Erschrecken vor Auschwitz hat die<br />

Welt schon einmal Lehren gezogen und eine<br />

Friedensordnung errichtet, erbaut auf Menschenrechten<br />

undVölkerrecht.WirDeutsche<br />

stehen zu dieser Ordnung und wir wollen sie,<br />

mit Ihnen allen, verteidigen. Denn wir wissen:<br />

Jeder Friede bleibt zerbrechlich. Undals<br />

Menschen bleiben wir verführbar.<br />

(...) „Wer weiß, ob wir noch einmal den<br />

zauberhaften Klang des Lebens werden hören<br />

können? Werweiß, ob wir uns in die Ewigkeit<br />

werden einweben können –wer weiß.“ Salmen<br />

Gradowski schrieb diese Zeilen als Häftling<br />

in Auschwitz und er vergrub sie in einer<br />

Blechbüchse unter einem Krematorium.<br />

Hier in YadVashem sind sie eingewoben<br />

in die Ewigkeit: Salmen Gradowski, die Geschwister<br />

Tytelman, Ida und Vili Goldis. Sie<br />

alle sind ermordet worden. IhrLeben ging im<br />

entfesselten Hass verloren. Aber die Erinnerung<br />

an sie besiegt das Nichts.Und das Handeln,<br />

unser Handeln, besiegt den Hass.Dafür<br />

stehe ich. Darauf hoffe ich.<br />

Gepriesen sei der Herr,dass er mich heute<br />

hier sein lässt.“<br />

Mike Pence,<br />

Vizepräsident der USA<br />

„Antisemitismus<br />

hört nicht bei den<br />

Juden auf.<br />

Antisemitismus und<br />

Rassismus sind<br />

bösartige<br />

Krankheiten,<br />

die Gesellschaften von<br />

innen zerstören.“<br />

Reuven Rivlin,<br />

Israels Präsident<br />

Holocaust: Der Begriff ist die inzwischen weltweit gebräuchliche<br />

Bezeichnung für den Völkermord an der jüdischen<br />

Bevölkerung Europas durch die Nazis. Ihm fielen<br />

etwa sechs Millionen Menschen zum Opfer.ImNationalsozialismus<br />

wurden auch Hunderttausende Sinti und<br />

Roma, Behinderte, Homosexuelle, Regimegegner,Sozialisten,<br />

Kommunisten und Christen ermordet.<br />

Ermordet: Sie wurden ermordet durch Vergasung,Erschießung,Injektionen,<br />

medizinische Versuche oder<br />

durch gezieltes Verhungernlassen. In Polen wurden etwa<br />

90 Prozent der Menschen jüdischen Glaubens umgebracht,<br />

in Ungarnoder den Niederlanden 70 Prozent.<br />

Der Begriff: Holocaust stammt vomgriechischen Wort<br />

„holokauston“ und bedeutet Brandopfer –wörtlich: „ganz<br />

verbrannt“. Menschen jüdischen Glaubens verwenden in<br />

den meisten Fällen das hebräische Wort Schoah –das<br />

bedeutet: Katastrophe.<br />

Überfall: Mit dem deutschen Angriff auf Polen im Sommer<br />

1939 ging eine Radikalisierung der nationalsozialistischen<br />

„Judenpolitik“ einher.Die deutschen Besatzer<br />

richteten Ghettos für die jüdische Bevölkerung ein. Dort<br />

starben monatlich Tausende Menschen an den katastrophalen<br />

Lebensbedingungen oder an den Folgen der<br />

Zwangsarbeit, die sie leisten mussten.<br />

HISTORIE<br />

Krieggegendie Sowjetunion: Die Vernichtungspolitik<br />

der Nationalsozialisten erhielt eine neue Dimension, als<br />

das Deutsche Reich im Juni 1941 den Krieg gegendie<br />

Sowjetunion begann. Mordkommandos erschossen in<br />

der Folgejüdische Kinder,Frauen und Männer und verscharrten<br />

sie in Massengräbern.<br />

Wannsee-Konferenz: Im Verlauf des Jahres 1941 beschloss<br />

die NS-Führung die Ermordung aller Juden, die<br />

im deutschen Machtbereich lebten. Die systematische<br />

und koordinierte Umsetzung des Völkermordes in Europa<br />

wurde auf der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 besprochen.<br />

Auschwitz: Juden wurden aus verschiedenen Ländernin<br />

Lager gebracht und dortvor allem durch Giftgas umgebracht.<br />

Im Zentrum des Völkermords stand das deutsche<br />

Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau<br />

im besetzen Polen. Allein dortwurden etwa eine Million<br />

Menschen jüdischen Glaubens ermordet. Zudem<br />

wurden etwa 100000 weitere Menschen umgebracht,<br />

darunter Polen, Sinti und Roma sowie Kriegsgefangene.<br />

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Lager.<br />

Die Soldaten trafen auf 7000 überlebende Gefangene.<br />

Im Jahr 1996 erklärte der damaligeBundespräsident Roman<br />

Herzog den 27. Januar zum zentralen Gedenktag an<br />

die Opfer des Nationalsozialismus.

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