Berliner Kurier 06.02.2020
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Jetztgibt’s sogar Bohrmaschinen am Automaten<br />
SEITE21<br />
BERLINER KURIER, Donnerstag, 6. Februar 2020<br />
echtwas aufdem Kasten<br />
schlägt das Bastler-Herz höher.<br />
Über die Website von „toolbot“<br />
können sich die Kunden ein<br />
Werkzeug oder Gerät reservieren.<br />
Steht der Handwerker neben<br />
dem Automaten, kann er<br />
über sein Smartphone den Ausleihvorgang<br />
starten –der fest<br />
angeschlossene Koffer mit Inhalt<br />
wird dann freigegeben und<br />
kann mitgenommen werden.<br />
„Die Ausleihe kostet für die ersten<br />
sechs Stunden einen Euro<br />
pro Stunde, danach 50 Cent“,<br />
erklärt Gerlach.<br />
Auf die Idee kam der <strong>Berliner</strong><br />
vor vier Jahren, als er sich ein<br />
Werkzeug im Baumarkt ausleihen<br />
wollte. „Ich brauchte eine<br />
Stichsäge, musste mich dort in<br />
die Schlange stellen“, erzählt<br />
er. „Vor mir standen vier, fünf<br />
Leute – ich dachte: So lange<br />
kann das nicht dauern.“ Fehlanzeige:<br />
Viele Formulare mussten<br />
ausgefüllt, viele Ausweise<br />
abgeglichen werden. „Ich saß<br />
wie auf Kohlen, weil zu Hause<br />
meine Freunde warteten, die<br />
mir beim Bauen helfen wollten.“<br />
Als er an der Reihe war,<br />
musste neben den 30 Euro Ausleihgebühr<br />
auch eine Kaution<br />
hinterlegt werden, Gerlach hatte<br />
nicht genug Geld dabei. Also<br />
ging er zurück in den Baumarkt<br />
und kaufte sich eine Billig-<br />
Stichsäge –für 15 Euro.<br />
„Die hielt natürlich nicht lange.<br />
Normalerweise achte ich<br />
sehr auf Nachhaltigkeit, aber in<br />
dem Moment ging es nicht anders.<br />
Also fragte ich mich, wie<br />
man so ein Problem anders lösen<br />
könnte.“ Über die Beschäftigung<br />
mit Car- und Bikesharing<br />
kam er auf die Idee des Teilens.<br />
Hinzu kommt: Nicht jeder<br />
könne sich eine<br />
Stichsäge für<br />
mehrere Hundert<br />
Euro leisten.<br />
Die, die es<br />
nicht können,<br />
greifen zu billigen<br />
Produkten,<br />
die dann schnell<br />
kaputt gehen<br />
und entsorgt<br />
werden müssen.<br />
„Wenn sich aber<br />
100 Leute eine<br />
Säge teilen, hat<br />
man 99 Prozent<br />
der Ressourcen<br />
eingespart“, sagt<br />
Gerlach. Der 38-Jährige sieht<br />
diese Praxis als guten Weg zu<br />
einem nachhaltigeren Bewusstsein.<br />
„Es geht nicht darum, auf<br />
etwas zu verzichten, sondern<br />
KURIER-Reporter<br />
Florian Thalmann<br />
am U-Bahnhof<br />
Alexanderplatz. Hier<br />
steht seit sechs<br />
Jahren ein Bücherautomat<br />
–heute<br />
gibt’s hier aber<br />
weniger Literatur,<br />
sondern mehr<br />
Schokoriegel.<br />
Für Sehschwache: Am U-Bahnhof Turmstraße gibt es einen Automaten<br />
für Kontaktlinsen –leider mit ziemlich kleiner Schrift.<br />
darum, den Konsum anders zu<br />
organisieren“, sagt er.<br />
Derzeit stehen die „toolbots“<br />
zum Test im „Daily Store“ am<br />
Hermannplatz in Neukölln und<br />
im Späti „Hutfabrik“ in Prenzlauer<br />
Berg. Das Angebot soll<br />
aber schon bald weiter ausgebaut<br />
werden. Bald könnten<br />
die Ausleihstationen<br />
größer werden, aussehen<br />
wie die „Packstationen“<br />
von DHL und beispielsweise<br />
in U-Bahnhöfen<br />
zu finden sein.<br />
Und sie könnten noch<br />
andere Dinge bereithalten<br />
als Werkzeug. „Das<br />
gleiche funktioniert<br />
auch mit Spielzeug, Reinigungsgeräten<br />
oder<br />
Sportzubehör“, sagt Gerlach.<br />
Automaten für mehr Nachhaltigkeit?<br />
Das gibt es auch anderswo:<br />
Am S-Bahnhof Bornholmer<br />
Straße steht seit kurzer<br />
Zeit ein „Rettomat“<br />
– ein<br />
Automat gegen<br />
Lebensmittelverschwendung.<br />
Nahrungsmittel,<br />
die eigentlich<br />
im Müll<br />
gelandet wären,<br />
aber theoretisch<br />
noch<br />
haltbar sind,<br />
werden hier<br />
zum Kauf angeboten.<br />
„Wir<br />
wollen, dass<br />
die Leute Lebensmittel<br />
wieder mehr<br />
schätzen.<br />
Wenn sie abgelaufen<br />
sind oder ein falsches<br />
Logo auf der Verpackung ist,<br />
kann man die Schokoladen und<br />
Müsliriegel ja immer noch essen“,<br />
sagt Raphael Fellmer, der<br />
Gründer des Startups „Sirplus“.<br />
Bevor die Lebensmittel in die<br />
Automaten kommen, testen die<br />
Mitarbeiter, ob die Produkte<br />
tatsächlich noch zu gebrauchen<br />
sind. „Wir prüfen jede Charge<br />
sensorisch, das heißt: Wie sieht<br />
das Produkt aus? Wie riecht es?<br />
Schmeckt es noch gut? Ist es genießbar?“<br />
Denn wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum<br />
überschritten<br />
ist, haftet nicht mehr<br />
der Hersteller, sondern in diesem<br />
Fall das Unternehmen, das<br />
die Lebensmittel verkauft. Die<br />
Firma will das Angebot bald erweitern<br />
–und neue Stationen<br />
an vielen Orten einrichten.<br />
Andere Automaten, die in<br />
Berlin zu finden sind, sind übrigens<br />
längst Kult: Immer wieder<br />
belächelt wird der Maden-Automat<br />
von Wedding. Inder Verkaufskiste<br />
vor dem Angelhaus<br />
Koss können sich Hobby-Angler<br />
mit Insekten eindecken –<br />
auch dann, wenn der Shop gerade<br />
geschlossen ist. Und in der<br />
Arminiusmarkthalle in Kreuzberg<br />
steht seit Jahren ein knallroter<br />
„Gebetsautomat“, in dem<br />
religiöse Kunden 300 Gebete in<br />
65 Sprachen anhören und dabei<br />
abschalten können. Ein Ort der<br />
Stille im Einkaufstrubel.<br />
Nicht jedes Automaten-Konzept<br />
trägt aber Früchte: Am U-<br />
Bahn-Gleis der U8 wurde 2013<br />
ein Bücher-Automat aufgestellt.<br />
Damals gab’s hier für ein<br />
paar Euro Lesestoff für die U-<br />
Bahn-Fahrt –doch heute sieht<br />
das Innere der Verkaufskiste<br />
leider schon ganz anders aus.<br />
Wenig Bücher, viele Schokoriegel.<br />
Und Handy-Akkus für unterwegs.<br />
Auch bei Automaten<br />
gilt: Die Zeiten ändern sich.<br />
Fotos: Thomas Uhlemann, Sabine Gudath<br />
Auch solche Automaten mit kleinen<br />
Kunstwerken hängen überall in der Stadt.<br />
In der Arminiusmarkthalle gibt es einen<br />
Gebetsautomaten für Momente der Stille.<br />
DasAngelladen Koss wartet mit einem<br />
Maden-Automaten auf –ein Kult-Teil!<br />
Gerettete Lebensmittel<br />
gibt’s seit Januar im<br />
Automaten am S-Bahnhof<br />
Bornholmer Straße.