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Berliner Kurier 06.02.2020

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SEITE5<br />

BERLINER KURIER, Donnerstag, 6. Februar 2020<br />

Von<br />

CHRISTIAN GEHRKE<br />

Wenn Eltern sich trennen,<br />

ist das für ein Kind<br />

oft eine dramatische<br />

Situation. In Berlin sind etwa<br />

123 500 Mütter und 19 100 Väter<br />

alleinerziehend –ein Drittel der<br />

Haushalte mit Kindern.<br />

Sozialarbeiterin Aktas Nursen<br />

vom Verbund „pro familia“ berät<br />

Frauen, die schon in der Schwangerschaft<br />

sitzengelassen worden<br />

sind. Sie kennt Geschichten von<br />

Männern, die die Vaterschaft<br />

leugnen oder Schwangere sogar<br />

körperlich bedrohen. Oft sei es<br />

einfach nur Zukunftsangst, weswegen<br />

werdende Eltern sich trennen,<br />

erzählt sie. Nicht selten wird<br />

bei Alleinerziehenden dann das<br />

Geld knapp, weiß Sozialarbeiterin<br />

Aktas Nursen.<br />

Das Drama der <strong>Berliner</strong> Kinder<br />

wird nun mehr zur Belastung für<br />

die Jugendämter und die Staatskasse.<br />

Denn oft zahlen Väter<br />

(manchmal auch Mütter) einfach<br />

keinen Unterhalt an den alleinerziehenden<br />

Ex-Partner. Folge: Die<br />

Jugendämter der Bezirke müssen<br />

einspringen und einen Unterhaltsvorschuss<br />

zahlen: Im letzten<br />

Jahr mussten die Jugendämter<br />

für 46 346 Kinder diesen<br />

Vorschuss übernehmen.<br />

Kosten für das Jahr 2019:<br />

131 Millionen Euro. Ein<br />

deutlicher Anstieg sowohl<br />

bei den betroffenen<br />

Kindern als auch bei den<br />

Gesamtkosten. Die Zahlen<br />

liegen dem KURIER<br />

exklusiv vor. Der Senat<br />

gab sie nach einer parlamentarischen<br />

Anfrage<br />

der FDP bekannt.<br />

Zum Vergleich: Im Jahr 2018 bekamen<br />

noch etwa 43 700 Mädchen<br />

und Jungen den Vorschuss.<br />

Im Jahr 2017 sind es nur etwa<br />

30 527 Kinder gewesen. Die Kosten<br />

lagen 2017 noch bei 65 Millionen.<br />

Im Jahr 2018 stiegen sie dann<br />

auf etwa 125 Millionen Euro<br />

hoch– und kletterten dann im Folgejahr<br />

auf das eben erwähnte Rekordhoch<br />

von über 131 Millionen<br />

Euro.<br />

Die meisten Kinder, die einen<br />

Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt<br />

bekamen, wohnen im<br />

Ost-Bezirk Marzahn-Hellersdorf<br />

(6339). Die wenigsten mit Unterstützung<br />

leben in Steglitz-Zehlendorf.<br />

Hier waren es 2385 Kinder<br />

(siehe Grafik unter dem Text).<br />

Nur in Pankow, Charlottenburg-<br />

Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf<br />

ist eine Verbesserung der<br />

Maren Jasper-Winter (FDP)<br />

ist das Wohl der Kinder ein<br />

Anliegen. Sie macht bei den<br />

Ämtern Druck.<br />

Situation zu erkennen. Inallen anderen<br />

Bezirken mussten die Ämter<br />

zuletzt tiefer in die Tasche<br />

greifen. Aber: Nicht etwa die Jugendämter<br />

übernehmen die Kosten.<br />

Das Land Berlin und der Bund<br />

zahlen für säumige Väter.<br />

Nun kann man mutmaßen, dass<br />

die Zahl der unwilligen Papas in<br />

Berlin steigt. Doch so einfach ist es<br />

nicht: Die Senatsverwaltung für<br />

Bildung, Jugend und Familie bekräftigt<br />

auf Anfrage, dass es 2017<br />

eine große Reform gab –inganz<br />

Deutschland: Bisher galt der Unterhaltsanspruch<br />

für Kinder bis<br />

zwölf Jahre. Ab 2017 galt der Anspruch<br />

dann für Jugendliche bis<br />

18 Jahre. Die Folge: Die Anträge<br />

der <strong>Berliner</strong> Mütter auf Unterhaltsvorschuss<br />

gingen in den letzten<br />

Jahren sprunghaft in die Höhe.<br />

Die Kosten sind trotzdem explodiert<br />

und die Jugendämter<br />

keuchen jetzt<br />

wegen der Mehrbelastung.<br />

In den Jugendämtern<br />

sind derzeit 245 von<br />

284 Stellen besetzt.<br />

Pankows Jugendstadträtin Rona<br />

Tietje (SPD) hat nichts gegen die<br />

Reform von 2017. Dem KURIER<br />

sagt sie aber: „Die Änderung war,<br />

bevor wir das Personal an Bord<br />

hatten. Die Belastung für unser<br />

Jugendamt ist enorm. Aber wir<br />

kriegen das in den Griff.“ In Pankow<br />

wartet eine Mutter 3,5 Wochen,<br />

ehe ihrem Antrag auf Unterhaltsvorschuss<br />

stattgegeben wird.<br />

In Lichtenberg oder Mitte sind es<br />

zehn Wochen, in Neukölln acht.<br />

Die parlamentarische Anfrage<br />

stellte übrigens Maren Jasper-<br />

Winter von der FDP. „Alleinerziehende<br />

müssen viel zu lange auf<br />

den so wichtigen Unterhaltsvorschuss<br />

warten“, sagt sie. Für den<br />

Senat sei es eine Zahl, für die Kinder<br />

und die Alleinerziehenden<br />

gehe es um die Existenz.<br />

Aallein!<br />

In Berlin gibt es<br />

etwa140 000<br />

Familie<br />

mit Alleinerziehenden.<br />

Leistungsgewährung vonUnterhaltsvorschuss<br />

in Euro 2017 2019<br />

Marzahn-Hellersdorf<br />

Lichtenberg<br />

0 2000 4000 6000<br />

Spandau<br />

Neukölln<br />

Mitte<br />

Pankow<br />

Reinickendorf<br />

Tempelhof-Schöneberg<br />

Treptow-Köpenick<br />

Friedrichshain-Kreuzberg<br />

Charlottenburg-Wilmersdorf<br />

Steglitz-Zehlendorf<br />

Grafik/Galanty; Quelle: senbjf<br />

Foto: imago, FDP

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