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Leo Juli / August 2020

Leo – queeres Stadtmagazin für München

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GESUNDHEIT<br />

KOMMENTAR<br />

TÄGLICH GRÜSST DAS<br />

SEXKAUFVERBOT<br />

Die Corona-Krise hat neben<br />

vielen weiteren Bruchstellen<br />

im sozialen und wirtschaftlichen<br />

Gefüge der Bundesrepublik auch die<br />

Situation von Sexarbeit überdeutlich<br />

sichtbar werden lassen. Statt<br />

angemessener Diskussion über<br />

Soforthilfen und Reform wurde am<br />

lautesten – mal wieder – ein Verbot<br />

von Sexkauf diskutiert. Als wenn<br />

damit jemandem geholfen wäre, der<br />

seinen Körper aus wirtschaftlicher<br />

Not heraus feilbietet. Von denen,<br />

die dieser Arbeit aus freien Stücken<br />

nachgehen, einmal ganz abgesehen.<br />

Seit März sind Kontaktanbahnungslokale<br />

und Laufhäuser geschlossen. Aus der<br />

schwulen Hobby-Escort-Szene hört<br />

man von gelegentlichen Strafanzeigen<br />

durch die Polizei, die demnach auch<br />

Online-Dating-Portale durchsucht haben<br />

soll, um verzichtsunwillige Sexkäufer<br />

und eben Stricher an der Ausübung ihrer<br />

Geschäftstätigkeit zu hindern. Das ist erst<br />

einmal nichts Besonderes und angesichts<br />

der damals völlig unklaren Gefährdungslage<br />

durch COVID-19 nachvollziehbar<br />

gewesen. Irgendwie auch nachvollziehbar,<br />

aber ungleich weltfremder und geradezu<br />

zynisch und menschenfeindlich, kommt<br />

aber der fix veröffentlichte Brief einer<br />

Gruppe von Bundestagsabgeordneten<br />

daher, der die Forderung nach einem<br />

Sexkaufverbot wieder einmal aufwärmt.<br />

VORWAND SOCIAL DISTANCING<br />

Das Schreiben an die Bundesländer haben<br />

16 Abgeordnete unterzeichnet, darunter<br />

der Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD)<br />

und der ehemalige Gesundheitsminister<br />

Hermann Gröhe (CDU). Sie warnen darin,<br />

dass es „auf der Hand liegen [dürfte], dass<br />

Prostitution die Wirkung eines epidemiologischen<br />

Superspreaders hätte – sexuelle<br />

Handlungen sind in der Regel nicht mit<br />

Social Distancing vereinbar.“ So weit, so<br />

verständlich. Aber warum darf inzwischen<br />

eine Massage gegeben werden, nur halt<br />

FOTO: CHESTER WAD<br />

nicht an bestimmten Stellen und auch<br />

nur von bestimmten Berufsgruppen? Das<br />

passt nicht zusammen.<br />

VORWAND FRAUENRECHTE<br />

Unter dem Deckmantel einer vorgetäuschten<br />

Sorge um das Wohl von Frauen<br />

kommen die Unterzeichner*innen des<br />

Schreibens dann aber auch schnell zur<br />

eigentlichen und zynischen Forderung:<br />

Man solle die „in den meisten Fällen<br />

menschenunwürdige, zerstörerische und<br />

frauenfeindliche Tätigkeit“ untersagen,<br />

zu der „diese durch Zuhälter gezwungen“<br />

seien. Es solle doch bitte das „nordische<br />

Modell“ eingeführt werden, das den Sexkauf<br />

unter Strafe stellt, also den Sexkäufer<br />

im Visier hat. Dieses Modell sieht zum<br />

Beispiel in Schweden vor, Sexarbeitenden<br />

Alternativen wie Ausbildung oder Beruf<br />

zu ermöglichen. „Diesen Frauen hilft nicht<br />

die Wiedereröffnung der Bordelle, sondern<br />

eine Ausbildung oder Tätigkeit in einem<br />

existenzsichernden Beruf“, heißt es denn<br />

auch weiter in dem Papier. Haben sich die<br />

Damen und Herren in der Runde einmal<br />

mit dem Gesamtkontext von Sexarbeit<br />

beschäftigt? Als queeres Magazin fällt zum<br />

Beispiel ins Auge, dass in dem Schreiben<br />

mann-männliche Sexarbeit nicht erwähnt<br />

wird. Soll die auch verboten werden? Ist sie<br />

eigentlich auch frauenfeindlich? Ab wann<br />

fangen wir insgesamt damit an, von Sex<br />

zu sprechen, und ab wann ist dieser eben<br />

„menschenunwürdig“?<br />

FOTO: KEAGAN HENMAN

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