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GESUNDHEIT<br />
KOMMENTAR<br />
TÄGLICH GRÜSST DAS<br />
SEXKAUFVERBOT<br />
Die Corona-Krise hat neben<br />
vielen weiteren Bruchstellen<br />
im sozialen und wirtschaftlichen<br />
Gefüge der Bundesrepublik auch die<br />
Situation von Sexarbeit überdeutlich<br />
sichtbar werden lassen. Statt<br />
angemessener Diskussion über<br />
Soforthilfen und Reform wurde am<br />
lautesten – mal wieder – ein Verbot<br />
von Sexkauf diskutiert. Als wenn<br />
damit jemandem geholfen wäre, der<br />
seinen Körper aus wirtschaftlicher<br />
Not heraus feilbietet. Von denen,<br />
die dieser Arbeit aus freien Stücken<br />
nachgehen, einmal ganz abgesehen.<br />
Seit März sind Kontaktanbahnungslokale<br />
und Laufhäuser geschlossen. Aus der<br />
schwulen Hobby-Escort-Szene hört<br />
man von gelegentlichen Strafanzeigen<br />
durch die Polizei, die demnach auch<br />
Online-Dating-Portale durchsucht haben<br />
soll, um verzichtsunwillige Sexkäufer<br />
und eben Stricher an der Ausübung ihrer<br />
Geschäftstätigkeit zu hindern. Das ist erst<br />
einmal nichts Besonderes und angesichts<br />
der damals völlig unklaren Gefährdungslage<br />
durch COVID-19 nachvollziehbar<br />
gewesen. Irgendwie auch nachvollziehbar,<br />
aber ungleich weltfremder und geradezu<br />
zynisch und menschenfeindlich, kommt<br />
aber der fix veröffentlichte Brief einer<br />
Gruppe von Bundestagsabgeordneten<br />
daher, der die Forderung nach einem<br />
Sexkaufverbot wieder einmal aufwärmt.<br />
VORWAND SOCIAL DISTANCING<br />
Das Schreiben an die Bundesländer haben<br />
16 Abgeordnete unterzeichnet, darunter<br />
der Epidemiologe Karl Lauterbach (SPD)<br />
und der ehemalige Gesundheitsminister<br />
Hermann Gröhe (CDU). Sie warnen darin,<br />
dass es „auf der Hand liegen [dürfte], dass<br />
Prostitution die Wirkung eines epidemiologischen<br />
Superspreaders hätte – sexuelle<br />
Handlungen sind in der Regel nicht mit<br />
Social Distancing vereinbar.“ So weit, so<br />
verständlich. Aber warum darf inzwischen<br />
eine Massage gegeben werden, nur halt<br />
FOTO: CHESTER WAD<br />
nicht an bestimmten Stellen und auch<br />
nur von bestimmten Berufsgruppen? Das<br />
passt nicht zusammen.<br />
VORWAND FRAUENRECHTE<br />
Unter dem Deckmantel einer vorgetäuschten<br />
Sorge um das Wohl von Frauen<br />
kommen die Unterzeichner*innen des<br />
Schreibens dann aber auch schnell zur<br />
eigentlichen und zynischen Forderung:<br />
Man solle die „in den meisten Fällen<br />
menschenunwürdige, zerstörerische und<br />
frauenfeindliche Tätigkeit“ untersagen,<br />
zu der „diese durch Zuhälter gezwungen“<br />
seien. Es solle doch bitte das „nordische<br />
Modell“ eingeführt werden, das den Sexkauf<br />
unter Strafe stellt, also den Sexkäufer<br />
im Visier hat. Dieses Modell sieht zum<br />
Beispiel in Schweden vor, Sexarbeitenden<br />
Alternativen wie Ausbildung oder Beruf<br />
zu ermöglichen. „Diesen Frauen hilft nicht<br />
die Wiedereröffnung der Bordelle, sondern<br />
eine Ausbildung oder Tätigkeit in einem<br />
existenzsichernden Beruf“, heißt es denn<br />
auch weiter in dem Papier. Haben sich die<br />
Damen und Herren in der Runde einmal<br />
mit dem Gesamtkontext von Sexarbeit<br />
beschäftigt? Als queeres Magazin fällt zum<br />
Beispiel ins Auge, dass in dem Schreiben<br />
mann-männliche Sexarbeit nicht erwähnt<br />
wird. Soll die auch verboten werden? Ist sie<br />
eigentlich auch frauenfeindlich? Ab wann<br />
fangen wir insgesamt damit an, von Sex<br />
zu sprechen, und ab wann ist dieser eben<br />
„menschenunwürdig“?<br />
FOTO: KEAGAN HENMAN