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22 KOLUMNE<br />
KOLUMNE<br />
Prägte das moderne München:<br />
Hans-Jochen Vogel<br />
FOTO: H-STT - CC BY-SA 4.0, HTTPS://COMMONS.WIKIMEDIA.ORG/W/INDEX.PHP?CURID=57853807<br />
In seiner kommunalpolitischen<br />
Kolumne schreibt Abendzeitung-<br />
Lokalchef Felix Müller in dieser Ausgabe<br />
über 100 Tage Grün-Rot im Rathaus,<br />
Party-Konflikte und die Debatte um ein<br />
Alkoholverbot – sowie den Abschied vom<br />
großen Hans-Jochen Vogel.<br />
100 TAGE ROT-GRÜN<br />
Sowas nimmt man ja gerne zum Anlass, die<br />
echten und vermeintlichen eigenen Erfolge<br />
auszustellen. Ein bisschen peinlich wurde<br />
es in diesem Fall auch. Denn die Grünen<br />
luden zum Bilanzziehen ein, ohne die SPD<br />
darüber zu informieren. Die zog leicht<br />
kleinlaut schnell mit einer eigenen Einladung<br />
nach. Knirscht es schon zwischen<br />
den neuen Partnern? Wohl nicht ernsthaft.<br />
Größerer Streit ist bisher überhaupt nicht<br />
nach draußen gedrungen. Eine Streichliste –<br />
Autotunnel wie etwa an der Landshuter Alle<br />
sollen nicht mehr weiter geplant werden,<br />
bei der Sanierung des Stadtmuseums wird<br />
gespart – konnte offenbar weitgehend<br />
einvernehmlich verabschiedet werden.<br />
Auf eine geplante Taktverdichtung bei der<br />
U-Bahn ist man dafür sehr stolz, auf die<br />
Pop-up-Radwege, breitere Fußwege – und<br />
natürlich auf die Gastronomie auf den<br />
Parkplätzen mit etwa 4.400 zusätzlichen<br />
Gastplätzen. Diese nach Wiener Vorbild so<br />
genannten Schanigärten sollen kein einmaliges<br />
Corona-Wirte-Hilfsprojekt bleiben,<br />
sondern auch in den nächsten Sommern<br />
angeboten werden. Das hat die neue Grünen-Bürgermeisterin<br />
Katrin Habenschaden<br />
kürzlich in dear AZ angekündigt. Und selbst<br />
die CSU befeuert das Thema inzwischen<br />
(obwohl Autofahrer leiden!), sie beantragte,<br />
die Parkplätze vor den Wirtschaften doch<br />
auch im Winter nutzen zu lassen, etwa für<br />
Glühweinstandl.<br />
In diesem Corona-Sommer auf jeden Fall,<br />
spitzen sich die Konflikte im öffentlichen<br />
Raum zu, auch und gerade rund um<br />
Glockenbach- und Gärtnerplatzviertel.<br />
Der wird inzwischen<br />
regelmäßig nachts von der<br />
Polizei geräumt. Und<br />
auch im Rathaus ist die<br />
bundesweite Debatte<br />
etwa um Alkoholverbote<br />
angekommen.<br />
Ein solches an der Isar<br />
könnte das Münchner<br />
Lebensgefühl hart<br />
treffen – immerhin sind<br />
es zehntausende, die dort<br />
jeden Sommerabend ganz<br />
selbstverständlich (und ganz überwiegend<br />
sehr friedlich!) zusammensitzen.<br />
Noch aber deutet nicht viel auf striktere<br />
Verbote hin, die Stadtrats-SPD hat sich für<br />
ein sanfteres Vorgehen entschieden, spricht<br />
sich für neue Kampagnen aus, in denen für<br />
Rücksicht geworben werden soll, also etwa<br />
auch dafür, seinen Müll nach der Isar-Party<br />
wieder mit nach Hause zu nehmen.<br />
ABSCHIED VOM<br />
JAHUNDERTBÜRGERMEISTER<br />
Kurz vor der Sommerpause hatte das<br />
Rathaus tagelang innegehalten, die<br />
Tagespolitik war plötzlich komplett<br />
in den Hintergrund gerückt. Denn der<br />
große Hans-Jochen Vogel ist tot. Er starb<br />
im Alter von 94 Jahren. Vogel war von<br />
1960 bis 1972 Oberbürgermeister, in<br />
seiner Amtszeit wurde der U-Bahn-Bau<br />
angestoßen, die Trabantenstädte in Neuperlach<br />
und am Hasenbergl entstanden,<br />
er holte die Olympischen Spiele nach<br />
München, schuf die Fußgängerzone.<br />
Vogel hat damit das Gesicht des<br />
modernen, des heutigen<br />
Münchens geprägt wie<br />
kaum ein anderer. Später<br />
wurde er Bundesminister<br />
unter Helmut<br />
Schmidt, Regierender<br />
Bürgermeister<br />
von West-Berlin,<br />
Kanzlerkandidat der<br />
SPD gegen Helmut<br />
Kohl, Bundesparteivorsitzender<br />
der SPD. Bis<br />
zuletzt lebte er mit seiner Frau<br />
in seiner Herzensstadt München,<br />
kämpfte gegen Bodenspekulation, engagierte<br />
sich in der Erinnerungskultur. Noch<br />
im Herbst, da war er bereits 93, stellte<br />
er noch einmal ein Buch vor, mit dem<br />
er die Politik aufrütteln wollte für eine<br />
bessere Wohnungspolitik. Es war sein<br />
letztes Projekt. „Mehr geht nicht mehr“,<br />
sagte er mir, als ich ihn daheim in der<br />
Seniorenresidenz Augustinum besuchte.<br />
Zur Trauerfeier für Hans-Jochen Vogel<br />
kamen unter anderem auch Alt-Kanzler<br />
Gerhard Schröder und Bundespräsident<br />
Frank-Walter Steinmeier in den Gasteig.<br />
So, wie es der große Hans-Jochen Vogel<br />
verdient hat. *Felix Müller<br />
FOTO: PRIVAT