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HOCH HINAUS.<br />
Vladik zeigt einen<br />
elegant ausgeführten<br />
„360 Kick Flip“<br />
vor der ehe maligen<br />
4711-Zentrale in Köln.<br />
Dass Skateboarden für Vladik eine ganze Zeitlang<br />
der einzige Weg war, sich auszudrücken, hat<br />
mit seiner Herkunft zu tun. Zur Welt kam er 1988 in<br />
der weißrussischen Trabantenstadt Nawapolazk, als<br />
Sohn einer alleinerziehenden Ingenieurin. Die Stadt<br />
im Norden des Landes war ursprünglich als Wohnstätte<br />
für die sozialistischen Arbeiterinnen und Arbeiter<br />
geplant worden, die in den Fabriken im Windschatten<br />
der Stadt Polazk arbeiteten. Vladik war<br />
gerade mal ein Schulkind, als seine Mutter beschloss,<br />
sich in Deutschland eine Arbeit als Haushaltshilfe<br />
zu suchen, um Vladik eine bessere Zukunft zu ermöglichen.<br />
Sieben Jahre lang pendelte sie zwischen<br />
Bielefeld und Nawapolazk, zwischen westdeutscher<br />
Beschaulichkeit und postsowjetischer Plattenbausiedlung,<br />
wo Vladik derweil bei seiner Oma lebte.<br />
Irgendwann dann wünschte er sich als Mitbringsel<br />
ein Skateboard von seiner Mutter, ein eigenes.<br />
Unter den Freunden, mit denen er seine Nachmittage<br />
verbrachte, gab es zwei Bretter, die sich<br />
fünf Jungen teilten. Die ersten Versuche waren recht<br />
hilflos; Skate-Magazine schafften es nicht bis nach<br />
Nawa polazk, viel Internet war nicht, sowieso sollte<br />
es bis zur Erfindung von YouTube noch ein paar<br />
Jahre dauern. Moskau, wo es um die Jahrtausendwende<br />
herum schon so etwas wie eine Szene gab,<br />
war mit mehr als 600 Kilometern unendlich weit<br />
entfernt.<br />
Irgendwann holte ihn seine Mutter nach Bielefeld.<br />
Vladik, mittlerweile 14 Jahre alt, war noch<br />
nie in Deutschland gewesen und sprach kein Wort<br />
dieser fremden, irre komplizierten Sprache, deren<br />
Schriftbild zu allem Überfluss auch rein gar nichts<br />
mit dem kyrillischen Alphabet des Russischen gemein<br />
hatte. Anfangs verwechselte er „Bitteschön“<br />
und „Dankeschön“, in der Schule lachten sie ihn<br />
aus. Wenn er von der Lehrerin aufgerufen wurde,<br />
sprach er seine Antwort vor lauter Scham eher in<br />
sich hinein als laut und deutlich aus. Nur zwei Jahre<br />
dauerte es, bis sein Deutsch flüssig war. Aber bis<br />
heute ist es manchmal etwas vernuschelt, während<br />
er behauptet, in seiner Muttersprache über eine sehr<br />
klare Aussprache zu verfügen.<br />
Skaten immerhin ging auch, ohne zu sprechen.<br />
Anfangs stand Vladik im Skatepark allerdings immer<br />
nur am Rand, schaute denen zu, die es besser konnten,<br />
und traute sich nicht, selbst zu fahren. Erst<br />
abends, wenn die anderen nach Hause gegangen<br />
THE RED BULLETIN 61