Die Malteser-Zeitung 4/2020
Berichterstattung über nationale und internationale Tätigkeiten des Souveränen Malteser-Ritter-Orden und seiner Werke sowie religiöse, karitative und soziale Fragen aller Art.
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IMFOKUS<br />
fuhren nach dieser Nachricht sofort zum Krankenhaus,<br />
holten die Mutter ab und besuchten die Mädchen im<br />
Krisenzentrum. Am folgenden Tag ging die Mutter zu<br />
ihrem Ehemann zurück und kurz darauf wurde den<br />
Eltern die Obsorge für ihre Kinder entzogen, da die Mutter<br />
nicht bereit war, sich vom Vater zu trennen.<br />
PETRA WIMBERGER AUS WIEN HAT DREI ERWACHSENE<br />
KINDER UND UNGEPLANT ZWEI SYRISCHE MÄDCHEN ALS<br />
PFLEGEKINDER AUFGENOMMEN. EIN GANZ BESONDERER<br />
ERFAHRUNGSBERICHT.<br />
Mein Mann, unsere große Tochter, die damals noch bei<br />
uns wohnte, und ich nahmen im November 2015 eine<br />
fünfköpfige Familie aus Syrien privat bei uns zu Hause<br />
auf. Nach eineinhalb Jahren, in denen wir uns intensiv<br />
um die Familie kümmerten – inklusive Wohnungsbeschaffung<br />
–, wurde der Kontakt von den sehr jungen<br />
Eltern plötzlich abgebrochen.<br />
Grund dafür war zum einen, dass sie einiges an Geld ausbezahlt<br />
bekommen hatten und dachten, sie bräuchten<br />
unsere finanzielle Unterstützung nicht mehr. Vor allem<br />
aber schien der junge Vater und Ehemann unseren Einfluss<br />
nicht zu goutieren. Er wurde immer wieder gewalttätig<br />
gegenüber seiner Frau und unterband alle Versuche<br />
unsererseits, die junge Mutter selbstständiger und unabhängiger<br />
zu machen.<br />
Eskalation und häusliche Gewalt<br />
Zwei Wochen nach dem Kontaktabbruch bekam ich einen<br />
Anruf von einem Krankenhaus, da die junge Mutter von<br />
ihrem Mann geschlagen worden war. Eine Nachbarin hatte<br />
die Polizei und Rettung verständigt. <strong>Die</strong> drei Kinder<br />
waren vom Jugendamt abgenommen und der Mann auf<br />
freiem Fuß angezeigt worden.<br />
<strong>Die</strong> beiden Mädchen waren bereits älter als drei Jahre und<br />
kamen in ein Krisenzentrum. Der damals jüngste Bruder<br />
war jünger als drei und wurde in einer Krisenpflegefamilie<br />
untergebracht. Mein Mann, unsere Tochter und ich<br />
Pflegschaft für die Mädchen<br />
Daraufhin beschlossen wir, die beiden Mädchen bei uns<br />
aufzunehmen, um ihnen ein Leben in einer Wohngruppe<br />
– früher sagte man „Kinderheim“ – zu ersparen. Da es<br />
keine anderen Verwandten in Österreich gab und wir die<br />
nächsten Bezugspersonen für sie waren, ging das glücklicherweise<br />
sehr rasch. Mein Mann und ich entschieden<br />
uns die Pflegschaft, nicht die Obsorge zu übernehmen,<br />
weil wir nicht gerichtlich mit den leiblichen Eltern um<br />
die Kinder kämpfen und das Jugendamt als „Puffer“<br />
zwischen uns haben wollten. Auch konnten wir uns aufgrund<br />
unserer Vorgeschichte mit der Herkunftsfamilie zu<br />
diesem Zeitpunkt nicht vorstellen, die Besuchskontakte<br />
ohne die Unterstützung der Sozialarbeiter am Pflegekinderzentrum<br />
mit den Eltern privat zu verbringen.<br />
<strong>Die</strong> ersten Monate, in denen die beiden Mädchen ganz<br />
bei uns lebten, waren sehr intensiv und verlangten viel<br />
Fürsorge und Traumenaufarbeitung. Es war aber auch<br />
eine wunderschöne und erfüllende Zeit, in der viel Gutes<br />
passierte und sehr viele Wunden heilen konnten. Nach<br />
etwa zwei Monaten nannten sie uns plötzlich „Mama“<br />
und „Papa“ und meinten, sie hätten jetzt zwei Familien.<br />
Besseres Verhältnis zu den leiblichen Eltern<br />
Ich habe noch zwei leibliche Söhne, die allerdings auch<br />
schon erwachsen sind und bereits ausgezogen waren. Für<br />
sie war es am Anfang etwas befremdlich, dass sie so überraschend<br />
neue Geschwister hatten, die natürlich schon<br />
bald gefühlsmäßig auch „unsere“ Kinder waren. Doch<br />
die anfängliche Skepsis war bald vorbei. Der kleine Bruder<br />
der Mädchen kam glücklicherweise auch zu Pflegeeltern,<br />
die perfekt zu ihm passen. Wir sind mittlerweile gut befreundet,<br />
sehen uns regelmäßig und verbringen auch<br />
gemeinsam Urlaube. Das Verhältnis zu den leiblichen<br />
Eltern hat sich deutlich verbessert. Sie leben immer noch<br />
zusammen, haben noch einen Sohn bekommen und erwarten<br />
ein weiteres Kind.<br />
DIE MALTESER 4/<strong>2020</strong> 7