Leo Januar/Februar 2021
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28 STYLE STADTGESPRÄCH<br />
rassistischen oder antisemitischen<br />
Hassverbrechen mit ideologischem Hintergrund<br />
üblich, dass die Bundesregierung<br />
und ggf. der Bundespräsident neben der<br />
emotionalen Anteilnahme, das mutmaßliche<br />
Motiv und daraus schlussfolgernde<br />
Handlungsbekundungen öffentlich<br />
äußern. Nichts davon ist bis zur durch den<br />
CSD Dresden e.V. organisierten Gedenkveranstaltung<br />
passiert, an der kein Mitglied<br />
der Bundesregierung teilgenommen<br />
hat. Es gab über den Regierungssprecher<br />
ausgerichtete Allgemeinplätze der<br />
Kanzlerin ohne Hinweis auf das mögliche<br />
Tatmotiv. Das ist erschreckend wie auch<br />
nicht verwunderlich gleichzeitig.<br />
STAATLICHE IGNORANZ VON HOMO-<br />
UND TRANSFEINDLICHEN HASSVER-<br />
BRECHEN HAT SYSTEM<br />
Homo- und Transphobie sind, wie wir auf<br />
den vorhergehenden Seiten zeigten, für den<br />
derzeitigen Innenminister Horst Seehofer<br />
(CSU) und seine Amtsvorgänger Thomas<br />
de Maizière, Hans-Peter Friedrich und<br />
Wolfgang Schäuble (alle CDU) kein Thema.<br />
Spätestens seit 2013 und der zweiten<br />
GroKo hätte es eines sein müssen, denn<br />
im Koalitionsvertrag war von der SPD ein<br />
nationaler Aktionsplan hineinverhandelt<br />
worden. Für jene Legislatur wurde von der<br />
Fraktion unter Johannes Kahrs und Karl-<br />
Heinz Brunner auch ein diesbezüglicher<br />
Kick-off-Event mit Verbänden wie VelsPol<br />
(Verband queerer Polizisten) und dem<br />
Lesben und Schwulenverband Deutschland<br />
(LSVD) gestartet.<br />
Seit dem ist von der Regierung zum Thema<br />
queerfeindliche Hassverbrechen nur noch<br />
über die einmal jährlich und nur auf Anfrage<br />
der Opposition veröffentlichten Zahlen in<br />
Ergänzung zur Kriminalstatistik zu hören.<br />
Sie sind bis heute nur ein Flickwerk aus<br />
den validen Zahlen der Hauptstadt Berlin,<br />
wo seit 2012 konsequent gezählt und<br />
veröffentlicht wird, plus „was so anfällt“ aus<br />
den 14 weiteren Bundesländern. Dennoch<br />
stiegen die gemeldeten homo-und<br />
transphob motivierten Straftaten in 2019<br />
im Vergleich zu 2018 um mehr als 60<br />
Prozent – bei Gewalttaten sogar um fast 70<br />
Prozent.<br />
„SCHWULE KLATSCHEN“ BLEIBT AUCH<br />
2020 HASSVERBRECHEN 2. KLASSE<br />
Als das neueste Gesetz zur Bekämpfung<br />
von Hassverbrechen, sich im <strong>Januar</strong> 2020<br />
auch wieder nur gegen Antisemitismus<br />
und Rechtsextremismus richtete, platzte<br />
dem LSVD der Kragen:<br />
„Noch nie hat Bundesinnenminister<br />
Seehofer eine homophobe oder<br />
transfeindliche Gewalttat explizit<br />
öffentlich verurteilt. Es gibt keinerlei<br />
Maßnahmenprogramm. Dabei<br />
geschehen homophobe und transfeindliche<br />
Gewalttaten tagtäglich<br />
in Deutschland. Seit Jahren weigert<br />
sich die Große Koalition, bei der<br />
von ihr eingeführten Bestimmung<br />
zur Hasskriminalität im deutschen<br />
Strafrecht homophobe und<br />
transfeindliche Motive im Gesetz<br />
ausdrücklich zu benennen. Auch<br />
beim neuesten Gesetzesvorhaben<br />
von Bundesjustizministerin<br />
Lambrecht zur Bekämpfung des<br />
Rechtsextremismus und der Hasskriminalität<br />
bleiben Homophobie und<br />
Transfeindlichkeit im Gesetzestext<br />
erneut ausgegrenzt.“<br />
LSVD im <strong>Februar</strong> 2020<br />
FOTO: PHILIPP GRAFE<br />
Dass es am 1. November 2020 wenigstens ein sichtbares Zeichen<br />
des Gedenkens und damit Sichtbarkeit für das tödliche Problem<br />
Homosexuellenhass gab, war kein Verdienst von Politik und<br />
Verwaltung, sondern des CSD Dresden, des CSD Deutschland e. V.<br />
und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Wir fragten bei CSD<br />
Dresden Vorstandsmitglied Ronald Zenker nach, wie es dazu kam<br />
und was noch kommen muss.<br />
Wer hatte die Idee für die Mahnwache?<br />
Wir hatten eine Art Vorahnung, dass sich die Politik vielleicht nicht<br />
wie von uns als Queeraktivist*innen erwartet engagiert. Darum<br />
haben wir neben einem offenen Brief an die Stadt Dresden, das<br />
Land Sachsen die Bundesregierung und Bundespräsident Steinmeier<br />
auch eine Mahnwache angekündigt und vorgeschlagen, die<br />
Regenbogenfahne am Dresdner Rathaus auf Halbmast zu hängen.<br />
Stattdessen wurde es jetzt ein leuchtendes Zeichen direkt am<br />
Tatort des Verbrechens. Die Zusammenarbeit mit der Stadt war<br />
nicht zu beanstanden und ich freue mich auch, dass mit dem<br />
stellvertretenden Ministerpräsidenten Martin Dulig (SPD) und dem<br />
Ersten Bürgermeister Detlef Sittel (CDU) auch Stadt und Land