antriebstechnik 1-2/2021
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FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG<br />
Bei der Hochgeschwindigkeitszerspanung stellt nicht mehr die<br />
Leistungsfähigkeit der Antriebe die Leistungsgrenze dar, sondern<br />
die Prozessstabilität von Fräsoperationen. Für hohe Zeitspanvolumina<br />
werden die Grenzen der Produktivität durch Ratterschwingungen<br />
bei instabilen Prozesszuständen erreicht. Ratterschwingungen<br />
sind selbsterregte Schwingungen, die aufgrund einer ungünstigen<br />
dynamischen Wechselwirkung aus Zahneingriffsfrequenz<br />
(Drehzahl) und Strukturschwingungen des Werkzeugs<br />
entstehen. Wird die Spindelwelle durch Kräfte infolge des Zahneingriffs<br />
zu Schwingungen angeregt, entstehen Relativverlagerungen<br />
zwischen Werkzeug und Werkstück. Aufgrund dieser Verlagerung<br />
kann es zu einer Variation der Spanungsdicke bei jedem Zahneingriff<br />
kommen. Hieraus resultiert eine sich zeitlich ändernde<br />
Schnittkraft F C<br />
. Eine zeitliche Änderung der Schnittkraft wirkt auf<br />
die Spindelstruktur zurück, sodass eine geschlossene Wirkkette<br />
entsteht. Ist die Strukturdämpfung der Spindel nicht hinreichend<br />
hoch, wird der Zerspanprozess instabil, und die Werkzeugmaschine<br />
„rattert“. Diese Ratterschwingungen reduzieren die Werkstückqualität<br />
sowie die Lebensdauer von Werkzeug und Maschine.<br />
Um Prozessinstabilitäten zu vermeiden, wird in der Regel die<br />
Schnitttiefe beziehungsweise -breite verringert. Zur Kompensation<br />
von Ratterschwingungen an der Hauptspindel erforscht das IFW<br />
gemeinsam mit dem Institut für Antriebssysteme und Leistungselektronik<br />
(IAL) der Leibniz Universität Hannover eine Methode<br />
zur motorintegrierten Spindeldämpfung. Die Methode ermöglicht<br />
eine Erhöhung der Grenzschnitttiefe bei gleichzeitiger Verringerung<br />
der Strukturschwingungen.<br />
Der Ansatz der motorintegrierten Spindeldämpfung basiert auf<br />
der Integration eines elektromagnetischen Aktors in das Aktivteil<br />
eines Synchronmotors [BIC15]. Hierfür wurde der Bauraum einer<br />
bestehenden Motorspindelkonstruktion verändert. In Bild 05 oben<br />
ist das Funktionsmuster a) im Querschnitt als Prinzipdarstellung<br />
gezeigt. Die dynamische Schnittkraftänderung führt zu einer dominanten<br />
Biegeeigenform der Werkzeugspindel (siehe Bild 05, blaue<br />
strichpunktierte Linie). Um die Biegeeigenform der Spindel zu beeinflussen,<br />
ist das externe Aktorwicklungssystem mittig zwischen<br />
zwei Motorsegmente positioniert. Die Permanentmagnete auf dem<br />
Rotorblechpaket werden im Bereich des Aktorwicklungssystems<br />
durch einen magnetischen Rückschluss ersetzt. Durch die Anordnung<br />
von drei um 120° versetzten Aktorsträngen um den Spindelschaft<br />
(Bild 05, rechts) kann ein Kraftvektor, ähnlich wie bei einem<br />
Magnetlager [MAS09], erzeugt werden. Zur Detektion der Spindelschwingungen<br />
sind drei Wirbelstromsensoren in unmittelbarer Nähe<br />
zu der Aktorwicklung verbaut. Anhand eines Systemmodells<br />
werden dann in einem Regelungssystem die notwendige Stellkraft<br />
und die Kraftrichtung berechnet. Durch Transformationsberechnungen<br />
werden Kraft und Kraftrichtung anteilig für die Aktorstränge<br />
berechnet. Die entsprechenden Aktorstränge werden bestromt,<br />
sodass die resultierenden Grenzflächenkräfte den Schwingungen<br />
entgegen wirken, sodass diese aktiv gedämpft werden.<br />
Das Konzept der motorintegrierten Spindeldämpfung wurde mit<br />
Hilfe von Fräsversuchen anhand des Funktionsmusters a) evaluiert.<br />
In den Versuchen wurden Nuten in ein Werkstück aus dem Werkstoff<br />
EN AW-7075 (3.4365) mit unterschiedlichen Werkzeugdurchmessern<br />
(D WZ = 25 mm und D WZ = 16 mm) gefräst. Um die Leiswerden<br />
die Schwingungen vom Maschinenbett entkoppelt. Die aktive<br />
Ruckentkopplung wirkt so als Tiefpass zweiter Ordnung ohne<br />
Reso-nanzüberhöhung, wie sie bei einer passiven Ruckentkopplung<br />
auftritt.<br />
Um die Eigenschaften aktiv ruckentkoppelter Vorschubachsen zu<br />
erforschen, wurde am IFW ein Kreuztisch-Prüfstand mit integrierter<br />
aktiver Ruckentkopplung konzipiert und aufgebaut (Bild 03).<br />
Der Versuchsstand ermöglicht den experimentellen Vergleich von<br />
aktiver Ruckentkopplung, passiver Ruckentkopplung und einer<br />
starren Anbindung des REK-Schlittens an das Maschinenbett. Die<br />
aktive Ruckentkopplung ist hierbei in die überlagerte X-Achse des<br />
Kreuztisches implementiert. Der Entkopplungsaktor ist als konventioneller<br />
Lineardirektantrieb 1 FN3600-4WC00 der Siemens AG, mit<br />
einer Nennkraft von F A<br />
= 5 kN, zwischen REK-Schlitten und Y-<br />
Schlitten positioniert. Das Sekundärteil des REK-Aktors ist auf dem<br />
REK-Schlitten und das Primärteil auf dem Y-Schlitten angebracht.<br />
Zur Evaluierung der aktiven Ruckentkopplung wurde das dynamische<br />
Strukturverhalten des Kreuztisches bei passiver Ruckentkopplung,<br />
aktiver Ruckentkopplung und starrer Anbindung im Frequenz-<br />
und im Zeitbereich bestimmt. Für die Betrachtung im Frequenzbereich<br />
wurde das Nachgiebigkeitsverhalten zwischen<br />
Hauptantrieb und Maschinengestell anhand des Nachgiebigkeitsfrequenzgangs<br />
analysiert. Hierfür wurde die Maschinenstruktur<br />
über den Hauptantrieb der X-Achse über eine sinusförmige Kraftanregung<br />
mit einer Amplitude von F M<br />
= 350 N in einem Bereich von<br />
3 Hz bis 250 Hz bei einer Schrittweite von 0,5 Hz angeregt. Mit Hilfe<br />
eines Laservibrometers (Polytec, OFV 303) wurden die resultierenden<br />
Gestellschwingungen in X-Richtung am Y-Schlitten bei aktiver<br />
Ruckentkopplung, passiver Ruckentkopplung und starrer<br />
Anbindung ermittelt. Links in Bild 04 ist der Nachgiebigkeitsfrequenzgang<br />
des Gestells bei passiver Ruckentkopplung (blau), aktiver<br />
Ruckentkopplung (rot) und starrer Anbindung (schwarz)<br />
dargestellt. Bei starrer Anbindung ist eine Resonanzüberhöhung<br />
bei 38 Hz zu sehen. Die Starrkörperschwingung des Maschinengestells<br />
wird bei dieser Frequenz maximal angeregt. Die dynamische<br />
Nachgiebigkeit beträgt dabei δ = 250 µm/kN. Durch das Tiefpassverhalten<br />
der passiven Ruckentkopplung wird die maximale dynamische<br />
Nach giebigkeit bei 38 Hz um 80 % reduziert (von δ = 250<br />
µm/kN auf 50 µm/kN). Zu erkennen ist die zusätzliche Resonanzerhöhung<br />
in der Eigenfrequenz der passiven Ruckentkopplung bei<br />
5 Hz. Die dynamische Nachgiebigkeit beträgt bei der Eigenfrequenz<br />
δ = 100 kN/µm. Durch den Einsatz der aktiven Ruckentkopplung<br />
wird die Resonanzüberhöhung durch die passive Ruckentkopplung<br />
um 50 % (von δ = 100 kN/µm auf 50 µm/kN) reduziert. Die Wirkung<br />
der aktiven Ruckentkopplung als Tiefpass zweiter Ordnung wird<br />
anhand der Reduzierung der beiden Resonanzüberhöhungen bei<br />
passiver Ruckentkopplung ersichtlich.<br />
Zur Validierung des Ansatzes wurden Positioniersprünge mit einem<br />
Weg s = 120 mm bei einem trapezförmigen Beschleunigungsprofil<br />
(a max<br />
= 15 m/s², v max<br />
= 0,5 m/s) für unterschiedliche Ruckwerte<br />
durchgeführt. In Bild 04 rechts ist die Auslenkung des Maschinengestells<br />
für einen Ruck von r = 500 000 m/s³ über der Zeit dargestellt.<br />
Dieser Ruck stellt die maximale Belastung der starren Anbindung<br />
dar und wurde als Referenzwert verwendet. Es zeigt sich, dass<br />
durch die passive Ruckentkopplung die maximale Amplitude im<br />
Vergleich zur starren Anbindung um 40 % (von x G<br />
= 42 µm“ auf<br />
25 µm) reduziert wird. Die Gestellschwingung bei passiver Ruckentkopplung<br />
weist jedoch eine um 40 % höhere Ausschwingzeit auf.<br />
Die Auslenkung des Maschinengestells bei aktiver Ruckentkopplung<br />
hat eine ähnliche Amplitude wie die passiver Ruckentkopplung.<br />
Die Ausschwingzeit ist gegenüber der passiven<br />
Ruckentkopplung jedoch um 50 % kürzer.<br />
Ziel weiterer Forschung ist der Vergleich der Entkopplungs-Maßnahmen<br />
innerhalb einer Werkzeugmaschine im Fräsversuch. Hierfür<br />
wird eine Werkzeugmaschine mit existierender passiver Ruckentkopplung<br />
um die aktive Ruckentkopplung erweitert.<br />
MOTORINTEGRIERTE SPINDELDÄMPFUNG<br />
40 <strong>antriebstechnik</strong> <strong>2021</strong>/01-02 www.<strong>antriebstechnik</strong>.de