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hinnerk Juni / Juli 2021

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16 SZENE<br />

INTERVIEW<br />

FOTO: NATE ISAAC ADIT/UNSPLASH/CC0<br />

TSEPO BOLLWINKEL:<br />

„Schuld ist ein bescheuertes Konzept!“<br />

Die Vorstellung von Queerness<br />

als ein westliches Phänomen<br />

ist weitverbreitet, doch könnte sie<br />

nicht weiter von der Realität entfernt<br />

sein. Tsepo Bollwinkel ist Experte und<br />

klärt uns im „Salongespräch: BIPoC<br />

Movements und Rassismus – auch in<br />

der queeren Szene Thema“ über die<br />

Zusammenhänge von Rassismus und<br />

Queerness auf.<br />

Was ist eine konstruktive Definition<br />

von Rassismus?<br />

Jetzt hast du mich etwas Schwieriges<br />

gefragt. (lacht) Rassismus ist eine<br />

Diskriminierungsform, aber auch ein<br />

soziales System, in dem wir uns alle seit<br />

Jahrhunderten bewegen. Dementsprechend<br />

ist Rassismus nicht abhängig davon, ob<br />

jemand absichtlich irgendetwas tut oder<br />

nicht tut. Rassismus ist weniger das<br />

Handeln von Einzelnen als ein System, auf<br />

das man überall in unserer Gesellschaft<br />

trifft. Das Bild von einem Neonazi mit<br />

Baseballschläger, der mir auf den Schädel<br />

schlägt, ist verkürzt. Rassistische Strukturen<br />

können so nicht wahrgenommen werden.<br />

Ich würde Rassismus lieber so definieren,<br />

dass Rassismus eine Rechtfertigungsideologie<br />

ist, um gesellschaftliche Zustände<br />

zu legitimieren. Die Behauptung, die diese<br />

Ideologie aufstellt, ist dreiteilig. Erstens seien<br />

Menschen unterschiedlich viel wert. D.h. sie<br />

seien unterschiedlich befähigt oder schlau<br />

etc. Zweitens: Diese Unterschiede seien<br />

genetisch bedingt und somit unveränderlich.<br />

Drittens: Die Wertigkeit von einer Person<br />

könne man an äußeren Merkmalen wie<br />

Haut oder Haaren erkennen. Diese äußeren<br />

Merkmale können aber auch Dinge wie die<br />

Religionszugehörigkeit, Nationalität oder<br />

schlicht und ergreifend der Name sein. Die<br />

Zuweisung von verschiedenen Wertigkeiten<br />

ist durch Rassismus zu einer sozialen<br />

Realität in diesem Land und überall auf der<br />

Welt geworden. Menschen verbringen, je<br />

nachdem, wo sie in so einer hierarchischen<br />

Idee von Wertigkeit angesiedelt werden, ein<br />

sehr unterschiedliches Leben.<br />

Auf der Internetseite der Initiative<br />

Schwarze Menschen in Deutschland,<br />

beschreibt die AG Black und Queer,<br />

dass ihr unter anderem Queerness<br />

erweitern möchtet. Was genau ist mit<br />

Queerness erweitern gemeint?<br />

Nächste komplexe Frage. (lacht) Queerness<br />

wird gern an dem Buchstabensalat LGBTIQ*<br />

festgemacht. Einerseits ist das nicht<br />

verkehrt. Anderseits befinden wir uns aber<br />

die ganze Zeit in Ideen und Konstruktionen<br />

von Identitäten, die sich im globalen<br />

Norden abspielen und somit spezifisch<br />

weiß sind. Das heißt nicht, dass nur weiße<br />

Menschen in dieser Form queer sind, aber<br />

dass die Identitätskonstruktion aus dem<br />

globalen Norden kommen. Der ISD und<br />

besonders mir ist es wichtig, diesen Blick zu<br />

erweitern. Es gibt noch viel mehr Arten von<br />

Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten als<br />

die, die in dem westlichen Buchstabensalat<br />

bedacht werden. Wir übersehen sonst<br />

Millionen und Abermillionen von Menschen.<br />

Ja, es gibt mehr als zwei Geschlechter auf<br />

der ganzen Welt. Es gibt andere Ideen von<br />

Zusammenleben als Monogamie. Es gibt<br />

mehr als entweder gegengeschlechtliche<br />

oder gleichgeschlechtliche Liebe. Meine<br />

persönliche Behauptung ist immer, dass es<br />

7,6 Milliarden Menschen gibt und genauso<br />

viele Sexualitäten und Geschlechter. Die<br />

Erweiterung des Begriffs queer bedeutet<br />

auch, einen Blick darauf zu werfen, wie<br />

Sexualität und Geschlechtlichkeit über sich<br />

hinaus mit anderen sozialen Phänomenen<br />

zusammenhängen. In der Kolonialgeschichte<br />

ist beispielsweise viel Herrschaft<br />

über das Ausleben von Sexualität und<br />

Geschlecht verhandelt worden. Was ist die<br />

richtige Körperlichkeit? Was ist die richtige<br />

Sexualität? Was ist die richtige Form, eine<br />

Familie zu gründen? In diesem Lebensbereich<br />

ist sehr viel Macht ausgeübt, aber<br />

auch viel Widerstand geübt worden. Solche<br />

Zusammenhänge in den Blick zu nehmen<br />

und Sexualität und Geschlechtlichkeit nicht<br />

nur mit einem westlich-engen Blick zu<br />

betrachten, ist der ISD wichtig. Wir würden<br />

sogar sagen: Das finden wir spannend und<br />

sexy.

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