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altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Juli/August 2021

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Geldlehrer unterrichten an Schulen<br />

Vom Schüler zum Millionär?<br />

Stefan Pflugmacher von Geldlehrer<br />

e. V. möchte junge Menschen fit in Finanzthemen<br />

machen.<br />

Starnberg | Alles begann im Jahr<br />

2008, als Grischa Schulz seine<br />

damals 16-jährige Tochter mit<br />

dem Auftrag zur Bank schickte,<br />

ein Girokonto <strong>für</strong> sie zu eröffnen.<br />

Die junge Dame wollte einen Ferienjob<br />

antreten – und irgendwohin<br />

musste das verdiente Geld<br />

schließlich fließen. Zurück kam<br />

sie letztlich auch mit einem eigenen<br />

Girokonto, aber zusätzlich<br />

hatte ihr die Bank einen Bausparvertrag<br />

über 50 000 Euro „aufgeschwatzt“.<br />

Grischa Schulz war<br />

zunächst sauer auf seine Tochter,<br />

dann auf die Bank, und schließlich<br />

auf sich selbst, weil er die<br />

Jugendliche nicht ausreichend<br />

auf <strong>den</strong> Umgang mit Banken und<br />

Geld vorbereitet hatte. Zwei Jahre<br />

später gründete er im Bayerischen<br />

Wald <strong>den</strong> Verein „Geldlehrer e.V.“.<br />

Dessen Ziel: Jugendlichen zwischen<br />

15 und 19 Jahren finanzielle<br />

Bildung zu vermitteln. Inzwischen,<br />

elf Jahre später, hat der Verein<br />

6 237 ehrenamtlich geleistete Unterrichtstun<strong>den</strong><br />

abgehalten, 6 475<br />

Bücher mit dem Titel „Geldschule“<br />

samt Taschenrechner an Schüler<br />

verschenkt und 185 Kooperationsverträge<br />

mit Schulen abgeschlossen.<br />

Und er beschäftigt derzeit<br />

162 ehrenamtliche Geldlehrer in<br />

Österreich, Deutschland und der<br />

Schweiz. Einer davon ist Stefan<br />

Pflugmacher, der sein Büro als<br />

Finanzdienstleister in Starnberg<br />

hat. Der 59-jährige Fachwirt aus<br />

Wolfsburg stieß 2011 zu Geldlehrer<br />

e. V., unterstützt heute <strong>den</strong> Vorstand.<br />

Ausbildung kostet<br />

3 000 Euro<br />

„Ich fand die Idee gut, ehrenamtlich<br />

an Schulen zu gehen und<br />

Schülern finanzmathematische<br />

Kenntnisse beizubringen“, erzählt<br />

Stefan Pflugmacher von seiner<br />

Motivation. „Erst einmal war ich<br />

nur Mitglied und Förderer, doch<br />

irgendwann bin ich selbst Geldlehrer<br />

gewor<strong>den</strong>.“ Doch so<br />

leicht war das gar nicht. Jeder,<br />

der Schüler in Finanzfragen<br />

unterrichten möchte,<br />

muss eine Ausbildung zum<br />

Geldlehrer absolvieren und<br />

da<strong>für</strong> 3000 Euro aus eigener<br />

Tasche bezahlen. „Wir lehnen<br />

immer wieder einige Kandidaten<br />

ab, <strong>den</strong>n wir möchten<br />

nicht, dass Finanzdienstleister<br />

<strong>den</strong> Verein benutzen, um<br />

ihr Image aufzupolieren oder<br />

gar Produkte anzupreisen.<br />

Jeder Geldlehrer muss einen<br />

Ehrenkodex unterschreiben,<br />

und wer sich an <strong>den</strong> nicht<br />

hält, kann nicht mehr mitmachen.<br />

Die Hürde, Geldlehrer<br />

zu wer<strong>den</strong>, ist hoch.“<br />

Nach der Ausbildung bekommen<br />

die frisch gebackenen Geldlehrer<br />

einen Mentor zur Seite gestellt<br />

und dürfen die ersten Schritte wagen.<br />

Denn es geht nicht nur um<br />

<strong>den</strong> Lehrplan und erklärungsbedürftige<br />

Finanzkonstrukte an sich,<br />

sondern auch um didaktische und<br />

schulrechtliche Inhalte. In Zeiten<br />

der Corona-Pandemie geriet der<br />

Unterricht zwangsläufig ins Stocken,<br />

Online-Angebote kamen nur<br />

schleppend ins Rollen.<br />

Direktoren*innen der Schulen reagieren<br />

generell unterschiedlich<br />

auf das Angebot des Vereins. Es<br />

herrscht erhöhter Erklärungsbedarf<br />

und so manche Lehrkraft<br />

fühlt sich in ihrer Kompetenz<br />

beschnitten. Dabei betont Pflugmacher,<br />

dass es das Ziel sei,<br />

gemeinsam mit <strong>den</strong> regulären<br />

Pädagogen*innen <strong>den</strong> Stoff zu<br />

vermitteln. „Wir haben einen<br />

umfassen<strong>den</strong> Lehrplan erarbeitet.<br />

Dazu gehört begleitend das<br />

Buch ‚Geldschule 3.0‘ von Grischa<br />

Schulz und jeder Schüler erhält<br />

einen eigens von uns entwickelten<br />

Taschenrechner, mit dem sich<br />

beispielsweise Zins und Zinseszins<br />

leicht errechnen lassen.“<br />

Besser machen als<br />

die Großeltern<br />

Natürlich wird die Anwesenheit<br />

eines Geldlehrers von <strong>den</strong> Schülerinnen<br />

und Schülern nicht spontan<br />

bejubelt. Die Skepsis ist groß, die<br />

Motivation zu Beginn der Stunde<br />

gering. Aber Stefan Pflugmacher<br />

kriegt die jungen Menschen sehr<br />

schnell mit praktischen Beispielen.<br />

Er lässt sie ausrechnen, was<br />

die Finanzierung eines Autos<br />

wirklich kostet, wenn Zins und In-<br />

flation einberechnet wer<strong>den</strong>. „Die<br />

Jugendlichen sehen es oft bei ren Großeltern, dass nicht viel<br />

ih-<br />

Geld zur Verfügung steht. Und<br />

dann möchten sie natürlich wissen,<br />

was sie selbst besser machen<br />

können. <strong>Das</strong> Interesse ist<br />

sehr schnell geweckt“, berichtet<br />

der ehrenamtliche Pädagoge.<br />

Die Kids lernen in der Schule<br />

zwar Algebra, Kurvendiskussion,<br />

deutsche Klassiker und englische<br />

Vokabeln, doch über Altersvorsorge<br />

oder Baufinanzierung<br />

wissen die Schüler in der Regel<br />

nichts, sobald sie die Schule verlassen.<br />

Mittlerweile fragen sogar<br />

Unternehmen bei Stefan Pflugmacher<br />

an, ob er nicht <strong>den</strong> Azubis<br />

ein paar Stun<strong>den</strong> etwas über<br />

Vermögenswirksame Leistungen<br />

erzählen könne. „Der Bedarf und<br />

das Interesse ist da. Die jungen<br />

Menschen möchten auch Antworten<br />

auf die grundlegen<strong>den</strong> Fragen<br />

bekommen: Wie ist Geld entstan<strong>den</strong>?<br />

Was ist überhaupt Inflation?“<br />

Der Unterricht erfolgt über mindestens<br />

drei Monate, oft auch<br />

über ein komplettes Schuljahr, mit<br />

einer Stun<strong>den</strong>zahl von 22 bis zu 40<br />

Stun<strong>den</strong>. Auch Hausaufgaben gehören<br />

zum Lehrprogramm, aber<br />

auch hier setzt Stefan Pflugmacher<br />

auf praktische Lebenshilfen.<br />

„Holt euch mal drei Kreditangebote<br />

von Banken und rechnet über<br />

das Wochenende aus, welcher <strong>für</strong><br />

euch der günstigste ist. <strong>Das</strong> weckt<br />

<strong>den</strong> Ehrgeiz bei <strong>den</strong> jungen Menschen.“<br />

Zertifikat <strong>für</strong> die<br />

Bewerbungsmappe<br />

Haben die Schülerinnen und<br />

Schüler ausreichend über Spar-,<br />

Belohnung<br />

<strong>für</strong> finanzielle Bildung:<br />

<strong>Das</strong> Zertifikat der Geldlehrer.<br />

Darlehens- und Finanzierungsangebote<br />

gelernt und können eine<br />

Vermögens- und Ruhestandsstrategie<br />

entwickeln, schreiben sie<br />

abschließend einen Test. Wird er<br />

bestan<strong>den</strong>, nehmen die Jugendlichen<br />

ein Zertifikat mit nach Hause,<br />

das sich in der Bewerbungsmappe<br />

durchaus vorteilhaft liest.<br />

Stefan Pflugmacher hat einfach<br />

schon zu viele Menschen, geschäftlich<br />

wie privat, finanziellen<br />

Schiffbruch erlei<strong>den</strong> sehen. Sein<br />

Ziel ist, <strong>den</strong> jungen Leuten das<br />

nötige Rüstzeug mitzugeben, um<br />

versteckte Kosten oder Fallen im<br />

Kleingedruckten zu erkennen.<br />

„Es macht mir einfach Spaß, mit<br />

zwanzig Jugendlichen zusammenzusitzen,<br />

die aufmerksam<br />

zuhören. Und dann merke ich<br />

nach einer Weile, wie bei <strong>den</strong>en<br />

eine Veränderung stattfindet<br />

und sie <strong>den</strong> Themen gegenüber<br />

aufgeschlossen sind. Und wenn<br />

ich frage, wer Millionär wer<strong>den</strong><br />

möchte, gehen viele Hände hoch.<br />

Dann male ich einen Zeitstrahl an<br />

die Tafel und wir berechnen, wie<br />

viel jeder im Monat sparen muss,<br />

um mit 50 oder 60 eine Million auf<br />

dem Konto zu haben.“ Spätestens<br />

dann hören wirklich alle zu. edl<br />

juli / august <strong>2021</strong> | 49

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