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altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Juli/August 2021

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Weilheim | Als Gruppenleiter der<br />

Staatsanwaltschaft in Augsburg<br />

hatte Dr. Lars Baumann mit Mord<br />

und Totschlag zu tun. Seit April<br />

2019 leitet der aus Friedberg stammende<br />

Hobby-Golfer das Amtsgericht<br />

in Weilheim, wo<strong>für</strong> er viele<br />

weitere Erfahrungen in der Juristerei<br />

gesammelt hatte. Nach Abi,<br />

Wehrdienst, Jurastudium und Promotion<br />

im Jugendstrafrecht startete<br />

er seine Laufbahn zunächst<br />

als Staatsanwalt <strong>für</strong> Verkehr, dann<br />

Wirtschaftsstrafrecht. Er wechselte<br />

als Zivil-, Ermittlungs- und Strafrichter<br />

ans Amtsgericht Augsburg,<br />

ehe er nach dieser lehrreichen Station<br />

als Gruppenleiter der Staatsanwaltschaft<br />

<strong>für</strong> Kapitalstrafrecht<br />

Vize-Direktor des Amtsgerichts<br />

Aichach, später sogar Vorsitzender<br />

Richter am Landgericht München<br />

I wurde. Heute, als Direktor<br />

des Weilheimer Amtsgerichts, ist<br />

Dr. Lars Baumann nicht nur <strong>für</strong><br />

90 Mitarbeiter, Verwaltung und<br />

Gebäudeunterhalt verantwortlich.<br />

Nach wie vor arbeitet er auch als<br />

Richter im Strafrecht, in Bußgeldsachen<br />

und bei Abschiebehaft. Im<br />

großen Interview auf der Roten<br />

Couch spricht der 50-Jährige über<br />

die intensivsten Fälle seiner bisherigen<br />

Laufbahn, 80 Verhandlungen<br />

pro Woche und die höchstmögliche<br />

Strafe, die an einem Amtsgericht<br />

verhängt wer<strong>den</strong> darf. Außerdem<br />

verrät er seinen aktuellen Wohnort<br />

und gibt offen und ehrlich zu, dass<br />

die menschlich-moralische Komponente<br />

sehr wohl eine gewichtige<br />

Rolle spielt im Rahmen einer<br />

Urteilsverkündung.<br />

Herr Dr. Baumann, wie gefährlich<br />

lebt der Direktor eines Gerichts?<br />

Nicht gefährlicher, als ein anderer<br />

Richter. Wir haben es natürlich<br />

immer wieder mal mit schwierigen,<br />

zum Teil auch unberechenbaren<br />

Personen zu tun. Und in <strong>den</strong><br />

1980er ging der Trend tatsächlich<br />

auch hin zum offenen Haus, was<br />

jedoch Angriffe und Anschläge<br />

auf Richter und Personal zur Folge<br />

10 | <strong>altlandkreis</strong><br />

hatte. Seither wer<strong>den</strong> Besucher im<br />

Eingangsbereich von Wachtmeistern<br />

wieder kontrolliert, bevor sie<br />

unsere Büros oder eine öffentliche<br />

Gerichtsverhandlung in unserem<br />

Haus betreten dürfen.<br />

Seit 1. April 2019 sind Sie Direktor<br />

des Weilheimer Amtsgerichts. Ihr<br />

Traumjob?<br />

Als Kind habe ich eher vom Beruf<br />

des Feuerwehrmanns oder Mediziners<br />

geträumt. Im Laufe der<br />

Schulzeit auf dem Gymnasium<br />

habe ich jedoch <strong>für</strong> mich entdeckt,<br />

dass es mir Spaß macht zu debattieren,<br />

Probleme schnell zu erfassen,<br />

sie mit anderen Personen zu<br />

diskutieren und Lösungen zu fin<strong>den</strong>.<br />

Eigenschaften, die man in der<br />

Juristerei braucht.<br />

Warum haben Sie sich <strong>für</strong> die Justiz<br />

entschie<strong>den</strong> – sie hätten auch in der<br />

freien Wirtschaft als Anwalt arbeiten<br />

können?<br />

Ich habe mal ein Praktikum in<br />

einer namhaften Rechtsanwaltskanzlei<br />

gemacht und fand es eher<br />

erschreckend, wie nahe manche<br />

Verteidiger ihren Mandanten stehen.<br />

Mit einem Vergewaltiger per<br />

Du zu sein, könnte ich mir nicht<br />

vorstellen.<br />

Um „Chef“ eines Amtsgerichts zu<br />

wer<strong>den</strong>, gilt es sicherlich Grundvoraussetzungen<br />

zu erfüllen?<br />

Ein gutes Staatsexamen in Jura.<br />

Großes Interesse an der Verwaltung,<br />

am Führen von Personal und<br />

am Unterhalt des Gebäudes. Und<br />

man sollte Erfahrung in vielen juristischen<br />

Bereichen gesammelt<br />

haben, um sich in allen Fachbereichen<br />

gut auszukennen und Überblick<br />

zu bewahren.<br />

Gespräch im Hinterhof: Dr. Lars Baumann (re.) mit „<strong>altlandkreis</strong>“-Redakteur Johannes Schelle.<br />

Ein klassischer Arbeitstag von Ihnen?<br />

Mein Tag beginnt damit, dass ich<br />

in der Früh mein Büro betrete und<br />

erstmal die Kaffeemaschine bediene.<br />

Anschließend wird der PC<br />

hochgefahren, um Mails zu checken,<br />

ehe ich mit meinen Vorzimmerdamen<br />

und dem Geschäftsleiter<br />

über Besonderheiten und <strong>den</strong><br />

bevorstehen<strong>den</strong> Tagesablauf spreche.<br />

Danach schaue ich mir meine<br />

Akten durch, bearbeite diese und<br />

kümmere mich um sämtliche Verwaltungsaufgaben.<br />

Im Laufe des<br />

Tages stehen auch immer wieder<br />

Personalgespräche an. Darüber hinaus<br />

gibt es noch die klassischen<br />

Sitzungstage <strong>für</strong> mich, an <strong>den</strong>en<br />

ich als Richter arbeite.<br />

Für einen Direktor arbeiten Sie<br />

ziemlich viele Bereiche eigenständig<br />

ab. Warum?<br />

Wer ein Gericht gut leiten will,<br />

muss von allem im Haus Bescheid<br />

wissen und die Geschicke selbst<br />

mitleiten, um nicht von manchen<br />

Sachen überrollt zu wer<strong>den</strong>. <strong>Das</strong><br />

Wort das Direktors hat oft ein<br />

nochmals höheres Gewicht –<br />

umso wichtiger, Bescheid zu wissen.<br />

<strong>Das</strong> Einzugsgebiet des Weilheimer<br />

Amtsgerichts?<br />

Ist schnell erklärt: Der komplette<br />

Landkreis Weilheim-Schongau. Es<br />

gab auch noch eine Zweigstelle<br />

von uns in Schongau, die jedoch<br />

im Jahr 2009 samt Personal nach<br />

Weilheim verlagert wurde, was<br />

organisatorisch und verwaltungstechnisch<br />

Vieles erleichtert hat.<br />

Welche Verfahren wer<strong>den</strong> im Weilheimer<br />

Amtsgericht, bestehend aus<br />

drei Hauptgebäu<strong>den</strong> an der Alpenstraße<br />

sowie einem Nebengebäude<br />

an der Waisenhausstraße, behandelt?<br />

Zivilrecht, Strafrecht, Betreuungsrecht,<br />

Nachlassrecht, Grundbuchrecht,<br />

Insolvenzrecht, Vollstreckung<br />

und Zwangsversteigerung. Wir haben<br />

hier <strong>den</strong> breiten Strauß der<br />

Zuständigkeiten unter einem Dach<br />

vereint. Ich sage deshalb immer:<br />

<strong>Das</strong> Amtsgericht ist das Gericht,<br />

das dem Bürger am Nächsten ist,<br />

weil es die täglichen Belange des<br />

Alltags abdeckt.<br />

Konkrete Beispiele?<br />

Diebstahl, Betrug, Trunkenheit im<br />

Verkehr, Unfallflucht, Körperverletzungen<br />

und Betäubungsmittel-<br />

Kriminalität, aber auch Mietrecht,<br />

Betreuungsfragen bei älteren Personen,<br />

Grundstückskäufe, sowie<br />

Streitereien unter Nachbarn, Eheleuten<br />

und in Familien.<br />

Wie kommt es überhaupt zu einer<br />

Gerichtsverhandlung?<br />

Zunächst muss differenziert wer<strong>den</strong><br />

zwischen <strong>den</strong> einzelnen Rechtsgebieten.<br />

Im Strafrecht kommt es zunächst<br />

zu einer Strafanzeige, oder<br />

es wird über Amtswegen von der<br />

Polizei ermittelt. Sind die Ermittlungen<br />

der Polizei abgeschlossen,<br />

geht eine Akte zur Staatsanwaltschaft,<br />

die diese Akte prüft und entscheidet,<br />

ob es eine nachweisbare<br />

Straftat gibt. Wenn nicht, oder das<br />

Verschul<strong>den</strong> ist nur gering, wird<br />

das Verfahren eingestellt. Wenn<br />

doch, wird Anklage erhoben, uns<br />

die Akte geschickt und es kommt<br />

zu einer Hauptverhandlung vor Gericht.<br />

Heißt: 70 Prozent aller Fälle<br />

erledigen sich bereits, bevor sie<br />

hier bei uns im Amtsgericht auf<br />

<strong>den</strong> Tisch kommen.<br />

Umso erstaunlicher, dass Sie und<br />

Ihre Mitarbeiter trotzdem 70 bis 80<br />

Gerichtsverhandlungen pro Woche<br />

abzuhandeln haben. Mehr Verurteilungen<br />

oder Freisprüche?<br />

Im Strafrecht sind Freisprüche sehr<br />

selten, weil durch diese eben angesprochenen<br />

Filterfunktionen im<br />

Vorfeld die meisten nicht strafbaren<br />

oder nicht nachweisbaren<br />

Taten schon eingestellt wer<strong>den</strong>.<br />

Man darf aber auch nicht vergessen,<br />

dass wir viele Verhandlungen

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