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altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Juli/August 2021

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wie dem Berufsrichter zukommen.<br />

Sie vertreten die Bevölkerung und<br />

bringen auch ihre persönlichen Erfahrungen<br />

mit in <strong>den</strong> Strafprozess<br />

ein. <strong>Das</strong> sorgt <strong>für</strong> Verständlichkeit<br />

von Verfahren und Urteil.<br />

Hat sich das Strafverhalten der Gesellschaft<br />

grundlegend verändert die<br />

vergangenen Jahrzehnte?<br />

Was früher oft am nächsten Tag<br />

schon wieder vergessen war, wird<br />

heute auf sozialen Plattformen<br />

festgehalten. In der Hinsicht haben<br />

es Jugendliche sicherlich schwerer<br />

als früher, da<strong>für</strong> bekommen sie in<br />

vielen Bereichen mehr Aufmerksamkeit<br />

und Unterstützung, wer<strong>den</strong><br />

stärker gefördert. Insofern ist<br />

es heutzutage weder besser noch<br />

schlechter also vor 30, 40 Jahren,<br />

nur anders. Was mir tatsächlich<br />

Sorge macht…<br />

<strong>Das</strong> wäre?<br />

<strong>Das</strong>s gewisse Grenzen immer<br />

weiter überschritten wer<strong>den</strong>. Gerade<br />

bei Deliktsstrukturen wie<br />

Kinderpornographie. Vor 40 Jahren<br />

gab es so etwas kaum. Allein<br />

deshalb nicht, weil an solche Medien<br />

kaum jemand rangekommen<br />

ist. Durch das Internet sind diese<br />

Dinge viel leichter zugänglich, was<br />

zugleich dazu führt, dass bei vielen<br />

auch die Hemmschwelle gegenüber<br />

Kinderpornographie und ähnlichen<br />

Verbrechen sinkt.<br />

Ein Fall geht in die nächsthöhere Instanz.<br />

Was heißt das?<br />

Wenn ein Angeklagter mit einem<br />

Urteil nicht zufrie<strong>den</strong> ist, kann er<br />

Berufung oder Revision einlegen.<br />

In der Berufung wird das Urteil<br />

dann vom nächsthöheren Gericht<br />

geprüft und neu bewertet. Manchmal<br />

führt die Berufung zum Erfolg,<br />

weil andere oder neue Aspekte<br />

zum Tragen kommen. Zum Beispiel,<br />

wenn ein Drogenabhängiger,<br />

der zwischenzeitlich in Therapie<br />

gegangen ist, sich zum Positiven<br />

veränderte, könnte die Frage der<br />

Bewährung neu bewertet wer<strong>den</strong>.<br />

Der kurioseste Fall unter Ihrer Amtszeit<br />

in Weilheim?<br />

Im Rahmen eines Verfahrens kam<br />

eine ältere Person, rund 80 Jahre,<br />

wegen eines Verkehrsunfalls zu<br />

mir, <strong>den</strong> sie verschuldet haben soll.<br />

<strong>Das</strong> Verfahren endete so, dass die<br />

Geldbuße geringfügig reduziert<br />

wurde. Kurze Zeit später kam ein<br />

Wachtmeister zu mir ins Büro und<br />

fragte, ob ich schon gesehen hätte,<br />

dass draußen im Innenhof die<br />

Treppe massiv beschädigt sei. Nach<br />

Auswertung des Überwachungsvideos<br />

konnten wir feststellen, wie<br />

der Mann aus diesem Ordnungswidrigkeits-Verfahren<br />

unmittelbar<br />

vor der Hauptverhandlung mit<br />

seinem SUV vom oberen Bereich<br />

unseres Innenhofs über eine steil<br />

abfallende Fußgängertreppe in<br />

<strong>den</strong> eineinhalb Meter tieferen, unteren<br />

Bereich des Innenhofs gefahren<br />

ist, um dort zu parken. <strong>Das</strong>s er<br />

dabei sowohl die Treppe als auch<br />

sein eigenes Auto zum Teil stark<br />

beschädigt hatte, teilte er weder<br />

mir noch anderen Mitarbeitern unseres<br />

Hauses mit. Die geringfügige<br />

Reduzierung des Bußgeldes führte<br />

letztlich zu einer vielfach höheren<br />

Geldstrafe sowie einem mehrmonatigen<br />

Fahrverbot wegen unerlaubten<br />

Entfernens vom Unfallort.<br />

Alles andere als zum Schmunzeln:<br />

Ihre Zeit als Gruppenleiter der<br />

Staatsanwaltschaft Augsburg, in der<br />

sie Kapitalverbrechen mit Mord- und<br />

Totschlag, zum Beispiel <strong>den</strong> „Penzinger<br />

Güllegruben-Mord“ sowie <strong>den</strong><br />

„Augsburger Polizisten-Mord“, geleitet<br />

haben. Die prägendste Zeit Ihrer<br />

bisherigen beruflichen Laufbahn?<br />

Definitiv. <strong>Das</strong> sind, neben sexuellem<br />

Missbrauch von Kindern, die<br />

schlimmsten Fälle, die in der Justiz<br />

behandelt wer<strong>den</strong>. Normalerweise<br />

bewahrt man im Rahmen seiner<br />

Tätigkeit eine sogenannte klinische<br />

Distanz zu <strong>den</strong> Opfern. Bei Tötungsdelikten<br />

unter Erwachsenen gelingt<br />

das in der Regel auch, um nach<br />

Feierabend abschalten zu können.<br />

Bei Tötungsdelikten gegen Kinder –<br />

ich hatte mal einen Fall, bei dem<br />

eine Mutter ihre vierjährige Tochter<br />

erstickt hatte – gelingt das nicht<br />

mehr.<br />

Schlaflose Nächte?<br />

<strong>Das</strong> zum Glück nicht, da ich grundsätzlich<br />

emotional sehr stabil bin.<br />

Außerdem habe ich mir diese Aufgabe<br />

im Bereich der Kapitalverbrechen<br />

auch wohl überlegt im Vorfeld,<br />

mich gut darauf vorbereitet.<br />

Unter anderem war ich im Vorfeld<br />

bei der Obduktion einer Leiche dabei<br />

und mir letztlich sicher, dass<br />

ich diese Aufgabe gut bewältigen<br />

kann.<br />

Ihre schwierigste Aufgabe als Gruppenleiter<br />

der Augsburger Staatsanwaltschaft?<br />

Dem ermordeten Opfer, das ja<br />

nicht mehr anwesend sein kann im<br />

Rahmen der Gerichtsverhandlung,<br />

trotzdem eine Stimme zu geben.<br />

<strong>Das</strong> ist eine sehr wichtige Aufgabe,<br />

die besonders viel Fingerspitzengefühl<br />

verlangt.<br />

Die brenzlichste Situation, die Sie je<br />

in einem Gerichtssaal erlebt haben?<br />

Ich hatte mal Haftbefehl gegen<br />

einen Beschuldigten erwirkt, weil<br />

dieser mit einer Schreckschusspistole<br />

in das Gesicht seines Nachbarn<br />

geschossen hatte, diesen dadurch<br />

schwer verletzte. Wenige Tage später<br />

wollte die Frau des Täters einen<br />

Sprechschein bei mir im Büro abholen.<br />

Gott sei Dank wurde sie am<br />

Eingang kontrolliert – sie hatte in<br />

ihrer Handtasche ebenfalls eine<br />

gela<strong>den</strong>e Schreckschusspistole.<br />

<strong>Das</strong> war allerdings nicht in Weilheim,<br />

sondern Augsburg.<br />

Ein geplanter Anschlag auf Sie!<br />

Überlegt man an solchen Tagen doppelt<br />

und dreifach, seinen Beruf zu<br />

wechseln?<br />

Auch Feuerwehrmänner oder Polizisten<br />

haben ein erhöhtes Risiko<br />

auf Leib und Leben, und trotzdem<br />

erlernen diese Berufe viele Menschen<br />

und fin<strong>den</strong> darin ihr Glück.<br />

Wenn ich be<strong>den</strong>ke, insbesondere<br />

in Zeiten dieser Pandemie, welch<br />

großes Risiko Mediziner eingehen,<br />

dann ist das von mir wesentlich geringer<br />

einzuschätzen. Letztlich finde<br />

ich meinen Beruf nach wie vor<br />

spannend und abwechslungsreich,<br />

weil man sich nicht nur mit Gesetzestexten<br />

auseinanderzusetzen<br />

hat, sondern auch tiefen Einblick<br />

in das Leben anderer Menschen<br />

bekommt.<br />

Vorbildlich: Dr. Lars Baumann mit<br />

Mundschutz im Gericht.<br />

Dabei sind Prozesse am Weilheimer<br />

Amtsgericht, verglichen mit Mordfällen,<br />

geradezu nichtig klein.<br />

Sie sind anders, aber nicht nichtig<br />

klein. Es handelt sich natürlich<br />

um Delikte, die geringer bestraft<br />

wer<strong>den</strong>. Aber <strong>für</strong> <strong>den</strong> Angeklagten<br />

sind auch Prozesse am Amtsgericht<br />

sehr einschnei<strong>den</strong>d. Wir haben es<br />

oft mit einfachen Bürgern zu tun,<br />

die zum ersten Mal vor Gericht stehen.<br />

Zum Beispiel, wenn jemand<br />

betrunken Auto fährt oder sich<br />

unerlaubt vom Unfall entfernt. Für<br />

jeman<strong>den</strong>, der vorher nie straffällig<br />

war, ist dieser vermeintlich „nichtige“<br />

Prozess von großer, existenzieller<br />

Bedeutung.<br />

Auf der Internetseite „justiz.bayern.<br />

de“ findet der User unter „Amtsgericht<br />

Weilheim“ und „Gerichtsvollzieher“<br />

<strong>den</strong> Reiter „Auktionsplattform“.<br />

Was gibt’s da zu ersteigern?<br />

Eine ganze Fülle von Gegenstän<strong>den</strong>.<br />

Angefangen beim großen<br />

Waschmittelvorrat über Schmuck,<br />

PCs, Laptops und Handys bis hin zu<br />

Fahrrädern, Autos und Wohnwagen.<br />

Neben dieser Online-Plattform<br />

gibt’s auch Präsenzversteigerungen<br />

vor Ort, deren Termine über Tageszeitungen<br />

bekanntgegeben wer<strong>den</strong><br />

und durchaus beliebt sind in der<br />

Bevölkerung, weil immer wieder<br />

Schnäppchen zu machen sind.<br />

Woher kommen diese Wertgegenstände?<br />

Es können Tatmittel von Tätern<br />

eingezogen wer<strong>den</strong>, zum Beispiel<br />

Handys, die zum Dealen mit Betäubungsmitteln<br />

genutzt wur<strong>den</strong>.<br />

Oder Autos, weil jemand damit<br />

illegale Rennen auf öffentlichen<br />

Straßen veranstaltet hat. Die eingenommenen<br />

Gelder fließen dann<br />

in <strong>den</strong> allgemeinen Justizhaushalt.<br />

Die andere Säule in diesem Bereich<br />

ist die der Gerichtsvollzieher, zum<br />

Beispiel bei nichtbezahlten For-<br />

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