altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Juli/August 2021
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Schwerstarbeit: Margit Lüdemann auf dem Weg zum<br />
Errichten kilometerlanger Weidezäune.<br />
Und eine „gesunde Müdigkeit“,<br />
wie Lüdemann es beschreibt.<br />
„Die Tage auf der Alpe<br />
sind lang und anstrengend,<br />
da<br />
brauchst du am<br />
Abend<br />
wirklich<br />
nichts mehr,<br />
fällst aber trotzdem glücklich<br />
und zufrie<strong>den</strong> ins Bett.“ Und<br />
stehst mit Sonnenaufgang wieder<br />
auf. Johanna Reßle sowie Christian<br />
Schelle und Daniela Alvisini bestätigen<br />
dieses Gefühl von „viel zu<br />
tun, aber wesentlich weniger gestresst<br />
zu sein, weil man viel mehr<br />
bei sich und in sich geruhter ist<br />
als im zivilisierten Leben unten im<br />
Tal“. Hinzu kommen tagein tagaus<br />
unvergessliche Naturerlebnisse. In<br />
2 400 Metern Höhe können über<br />
Nacht auch im Hochsommer mal<br />
15 Zentimeter Neuschnee fallen. Es<br />
gibt jede Menge seltene Blumen<br />
und Pflanzen wie Almrausch, Enzian<br />
und Silberdistel zu entdecken.<br />
Und natürlich wildlebende Tiere,<br />
<strong>für</strong> deren Beobachtung die meisten<br />
Wanderer und Radelfahrer zu<br />
spät unterwegs sind. Schelle, Alvisini<br />
und Reßle berichten von Hirkanten<br />
der 3 000er hereinbricht.<br />
„Da wirken unvorstellbare Kräfte,<br />
mit Gewittern bei uns zuhause ist<br />
das nicht zu vergleichen“, sagt die<br />
Hirtin, die ohne Handynetz keinen<br />
aktuellen Wetterbericht zur<br />
Verfügung hat, und aufziehende,<br />
schwarze Wolken hinter <strong>den</strong><br />
breiten, hohen Felswän<strong>den</strong> nicht<br />
immer rechtzeitig bemerken kann.<br />
So kam es auch schon vor, dass<br />
sie noch eine gute Fußstunde von<br />
ihrer wetterschützen<strong>den</strong> Alpe entfernt<br />
war. „Einer meiner Vorgänger<br />
hat deshalb mal einen kleinen,<br />
provisorischen Unterschlupf, eine<br />
Art Steinhöhle mit Blechdach, gebaut.“<br />
Vergangenes Jahr musste<br />
sich Margit Lüdemann tatsächlich<br />
dort hineinretten. „Da hilft dann<br />
nur noch beten“, sagt die Frau,<br />
die ein ganzes Buch über prägende<br />
Erlebnisse aus ihrem Hirten-<br />
<strong>Das</strong>ein im Oberengadin schreiben<br />
könnte. Zum Beispiel über die<br />
schmerzhafte Szene, als direkt vor<br />
ihren Augen ein Rind über einen<br />
felsdurchsetzten Steilhang abgestürzt<br />
und unmittelbar darauf<br />
verstorben ist, letztlich mit einem<br />
Helikopter abtransportiert wer<strong>den</strong><br />
musste. Oder über das beschwerliche<br />
Errichten von Zäunen an steilen,<br />
ausgesetzten Flanken, „was<br />
mit Pfählen, Litzen, Locheisen<br />
und Schlegel im Rucksack extrem<br />
anstrengend, mühsam und auch<br />
immer wieder sehr gefährlich ist,<br />
da man an mehreren Stellen abstürzen<br />
könnte.“ Lebensgefährlich<br />
ist <strong>für</strong> Margit Lüdemann auch der<br />
zweieinhalbstündige Almauftrieb<br />
von der unteren auf die obere<br />
Alpe. Warum? „Wenn die Rinder<br />
die unteren Flächen abgegrast haben,<br />
sind sie hungrig, aber auch<br />
euphorisch und voller Adrenalin,<br />
weil sie spüren, dass ein besonderer<br />
Tag bevorsteht, und dass<br />
dort oben auf 2 400 Metern wieder<br />
frisches Gras und leckere Kräuter<br />
auf sie warten.“ Die Morgenbacherin,<br />
die an Tagen des Auftriebs<br />
eigentlich 20 anstelle der acht Helfer<br />
gebrauchen könnte, wird dann<br />
vorauslaufen. <strong>Das</strong> Motto: Stolpern<br />
verboten! „Sonst trampeln sie dich<br />
nieder.“<br />
Kreuzottern und<br />
gigantische Greifvögel<br />
Am Abend nach dem Auftrieb, „der<br />
hoffentlich auch diesmal ohne größere<br />
Zwischenfälle über die Bühne<br />
geht“, kehrt wieder Ruhe ein.<br />
Emotionale Verbun<strong>den</strong>heit: Margit Lüdemann bei der Pflege eines leicht<br />
angeschlagenen Rindes — eines von 180 (!) Stück.<br />
16 | <strong>altlandkreis</strong>