48 | <strong>altlandkreis</strong>
Geldlehrer unterrichten an Schulen Vom Schüler zum Millionär? Stefan Pflugmacher von Geldlehrer e. V. möchte junge Menschen fit in Finanzthemen machen. Starnberg | Alles begann im Jahr 2008, als Grischa Schulz seine damals 16-jährige Tochter mit dem Auftrag zur Bank schickte, ein Girokonto <strong>für</strong> sie zu eröffnen. Die junge Dame wollte einen Ferienjob antreten – und irgendwohin musste das verdiente Geld schließlich fließen. Zurück kam sie letztlich auch mit einem eigenen Girokonto, aber zusätzlich hatte ihr die Bank einen Bausparvertrag über 50 000 Euro „aufgeschwatzt“. Grischa Schulz war zunächst sauer auf seine Tochter, dann auf die Bank, und schließlich auf sich selbst, weil er die Jugendliche nicht ausreichend auf <strong>den</strong> Umgang mit Banken und Geld vorbereitet hatte. Zwei Jahre später gründete er im Bayerischen Wald <strong>den</strong> Verein „Geldlehrer e.V.“. Dessen Ziel: Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren finanzielle Bildung zu vermitteln. Inzwischen, elf Jahre später, hat der Verein 6 237 ehrenamtlich geleistete Unterrichtstun<strong>den</strong> abgehalten, 6 475 Bücher mit dem Titel „Geldschule“ samt Taschenrechner an Schüler verschenkt und 185 Kooperationsverträge mit Schulen abgeschlossen. Und er beschäftigt derzeit 162 ehrenamtliche Geldlehrer in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Einer davon ist Stefan Pflugmacher, der sein Büro als Finanzdienstleister in Starnberg hat. Der 59-jährige Fachwirt aus Wolfsburg stieß 2011 zu Geldlehrer e. V., unterstützt heute <strong>den</strong> Vorstand. Ausbildung kostet 3 000 Euro „Ich fand die Idee gut, ehrenamtlich an Schulen zu gehen und Schülern finanzmathematische Kenntnisse beizubringen“, erzählt Stefan Pflugmacher von seiner Motivation. „Erst einmal war ich nur Mitglied und Förderer, doch irgendwann bin ich selbst Geldlehrer gewor<strong>den</strong>.“ Doch so leicht war das gar nicht. Jeder, der Schüler in Finanzfragen unterrichten möchte, muss eine Ausbildung zum Geldlehrer absolvieren und da<strong>für</strong> 3000 Euro aus eigener Tasche bezahlen. „Wir lehnen immer wieder einige Kandidaten ab, <strong>den</strong>n wir möchten nicht, dass Finanzdienstleister <strong>den</strong> Verein benutzen, um ihr Image aufzupolieren oder gar Produkte anzupreisen. Jeder Geldlehrer muss einen Ehrenkodex unterschreiben, und wer sich an <strong>den</strong> nicht hält, kann nicht mehr mitmachen. Die Hürde, Geldlehrer zu wer<strong>den</strong>, ist hoch.“ Nach der Ausbildung bekommen die frisch gebackenen Geldlehrer einen Mentor zur Seite gestellt und dürfen die ersten Schritte wagen. Denn es geht nicht nur um <strong>den</strong> Lehrplan und erklärungsbedürftige Finanzkonstrukte an sich, sondern auch um didaktische und schulrechtliche Inhalte. In Zeiten der Corona-Pandemie geriet der Unterricht zwangsläufig ins Stocken, Online-Angebote kamen nur schleppend ins Rollen. Direktoren*innen der Schulen reagieren generell unterschiedlich auf das Angebot des Vereins. Es herrscht erhöhter Erklärungsbedarf und so manche Lehrkraft fühlt sich in ihrer Kompetenz beschnitten. Dabei betont Pflugmacher, dass es das Ziel sei, gemeinsam mit <strong>den</strong> regulären Pädagogen*innen <strong>den</strong> Stoff zu vermitteln. „Wir haben einen umfassen<strong>den</strong> Lehrplan erarbeitet. Dazu gehört begleitend das Buch ‚Geldschule 3.0‘ von Grischa Schulz und jeder Schüler erhält einen eigens von uns entwickelten Taschenrechner, mit dem sich beispielsweise Zins und Zinseszins leicht errechnen lassen.“ Besser machen als die Großeltern Natürlich wird die Anwesenheit eines Geldlehrers von <strong>den</strong> Schülerinnen und Schülern nicht spontan bejubelt. Die Skepsis ist groß, die Motivation zu Beginn der Stunde gering. Aber Stefan Pflugmacher kriegt die jungen Menschen sehr schnell mit praktischen Beispielen. Er lässt sie ausrechnen, was die Finanzierung eines Autos wirklich kostet, wenn Zins und In- flation einberechnet wer<strong>den</strong>. „Die Jugendlichen sehen es oft bei ren Großeltern, dass nicht viel ih- Geld zur Verfügung steht. Und dann möchten sie natürlich wissen, was sie selbst besser machen können. <strong>Das</strong> Interesse ist sehr schnell geweckt“, berichtet der ehrenamtliche Pädagoge. Die Kids lernen in der Schule zwar Algebra, Kurvendiskussion, deutsche Klassiker und englische Vokabeln, doch über Altersvorsorge oder Baufinanzierung wissen die Schüler in der Regel nichts, sobald sie die Schule verlassen. Mittlerweile fragen sogar Unternehmen bei Stefan Pflugmacher an, ob er nicht <strong>den</strong> Azubis ein paar Stun<strong>den</strong> etwas über Vermögenswirksame Leistungen erzählen könne. „Der Bedarf und das Interesse ist da. Die jungen Menschen möchten auch Antworten auf die grundlegen<strong>den</strong> Fragen bekommen: Wie ist Geld entstan<strong>den</strong>? Was ist überhaupt Inflation?“ Der Unterricht erfolgt über mindestens drei Monate, oft auch über ein komplettes Schuljahr, mit einer Stun<strong>den</strong>zahl von 22 bis zu 40 Stun<strong>den</strong>. Auch Hausaufgaben gehören zum Lehrprogramm, aber auch hier setzt Stefan Pflugmacher auf praktische Lebenshilfen. „Holt euch mal drei Kreditangebote von Banken und rechnet über das Wochenende aus, welcher <strong>für</strong> euch der günstigste ist. <strong>Das</strong> weckt <strong>den</strong> Ehrgeiz bei <strong>den</strong> jungen Menschen.“ Zertifikat <strong>für</strong> die Bewerbungsmappe Haben die Schülerinnen und Schüler ausreichend über Spar-, Belohnung <strong>für</strong> finanzielle Bildung: <strong>Das</strong> Zertifikat der Geldlehrer. Darlehens- und Finanzierungsangebote gelernt und können eine Vermögens- und Ruhestandsstrategie entwickeln, schreiben sie abschließend einen Test. Wird er bestan<strong>den</strong>, nehmen die Jugendlichen ein Zertifikat mit nach Hause, das sich in der Bewerbungsmappe durchaus vorteilhaft liest. Stefan Pflugmacher hat einfach schon zu viele Menschen, geschäftlich wie privat, finanziellen Schiffbruch erlei<strong>den</strong> sehen. Sein Ziel ist, <strong>den</strong> jungen Leuten das nötige Rüstzeug mitzugeben, um versteckte Kosten oder Fallen im Kleingedruckten zu erkennen. „Es macht mir einfach Spaß, mit zwanzig Jugendlichen zusammenzusitzen, die aufmerksam zuhören. Und dann merke ich nach einer Weile, wie bei <strong>den</strong>en eine Veränderung stattfindet und sie <strong>den</strong> Themen gegenüber aufgeschlossen sind. Und wenn ich frage, wer Millionär wer<strong>den</strong> möchte, gehen viele Hände hoch. Dann male ich einen Zeitstrahl an die Tafel und wir berechnen, wie viel jeder im Monat sparen muss, um mit 50 oder 60 eine Million auf dem Konto zu haben.“ Spätestens dann hören wirklich alle zu. edl juli / august <strong>2021</strong> | 49