2021/07 |Unternehmen #78 | Ausgabe Juli 2021 | !
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unternehmen [!] TITELTHEMA 13<br />
„Wir dürfen nicht mehr<br />
Getriebene sein“<br />
Automobilwirtschaft Stefan Reindl ist ein bundesweit gefragter Experte. Der<br />
Studiendekan an der Hochschule Nürtingen-Geislingen und Direktor des Instituts für<br />
Automobilwirtschaft berät auch die Politik und Unternehmen. Im Interview erläutert er,<br />
was sich ändern muss, damit Hersteller und Autohäuser erfolgreich bleiben.<br />
Wie pendelt der Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft<br />
zwischen der Wohnung in Ulm und dem<br />
Arbeitsplatz in Geislingen?<br />
Prof. Stefan Reindl: Seit einem viertel Jahr mit einem<br />
Elektroauto, genauer gesagt mit einem Audi<br />
e-tron.<br />
Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem elektrischen<br />
Oberklassen-SUV von Audi?<br />
Ich bin ehrlich gesagt sehr positiv überrascht. Ich<br />
fahre sehr gerne mit diesem Auto. Es ist sehr leise<br />
– und die Leistung teilweise überwältigend. Allerdings<br />
habe ich noch einen Zweitwagen. Einen VW<br />
mit Heckmotor (lacht). Ich ertappe<br />
mich aber immer wieder dabei,<br />
dass ich lieber mit dem Audi als<br />
mit dem Porsche fahre. Es ist einfach<br />
ein schönes Fahrgefühl. Das<br />
einzige Manko ist bislang noch die<br />
Reichweite. Ich gehe aber davon<br />
aus, dass diese sich bei Nachfolgemodellen<br />
sukzessive verbessern<br />
wird.<br />
Warum leistet man sich zwei so schöne Autos<br />
gleichzeitig?<br />
Das ist wohl eine Berufskrankheit. Ich bin nach wie<br />
vor begeisterter Autofan. Das wurde mir sozusagen<br />
in die Wiege gelegt. In meinem Büro steht ein Blechschild<br />
mit der Aufschrift „Gasolin“, das einst meinem<br />
Großvater gehörte. Er hatte eine Gasolin-Tankstelle<br />
in der Oberpfalz, aus der sich ein VW-Betrieb<br />
entwickelt hat. Gasolin wurde übrigens später von<br />
Aral aufgekauft.<br />
Wir müssen<br />
künftig auch<br />
auf kleinere Märkte<br />
schauen und das<br />
Risiko streuen.<br />
Welches sind die Herausforderungen für den Automobilstandort<br />
Deutschland?<br />
Momentan sind wir Getriebene, die sich wieder zu<br />
innovativen Treibern entwickeln müssen. Aus meiner<br />
Sicht gibt es dabei zwei wichtige Ansätze: Einerseits<br />
das Thema Antriebe. Beim Pkw zum Beispiel<br />
muss die Entwicklung batterieelektrischer Antriebe<br />
deutlich schneller voranschreiten. Und – das<br />
ist der zweite große Punkt – wir müssen die Digitalisierung<br />
vorantreiben, auf allen Ebenen. In der<br />
Produktion und Leistungserstellung, über digitale<br />
Angebotsformen bis hin zur vollständig digitalisierten<br />
Kundenbeziehung. 2020 war ein Jahr der<br />
Schockstarre. Die Produktionen standen zeitweise<br />
still.<br />
Warum war Corona so ein Schock für die deutsche<br />
Automobilindustrie?<br />
Geschockt hat uns das doch alle, oder? Wir haben<br />
einfach noch keine solche Situation erlebt. Eine Krise,<br />
die nicht nur bestimmte Branchen oder Nationen<br />
trifft, die nicht von einem Krieg ausgelöst ist,<br />
sondern von einem Virus, das Einfluss<br />
auf die gesamte Menschheit<br />
hat. In der Folge brach nicht nur<br />
die weltweite Nachfrage ein. Auch<br />
die Lieferketten wackelten und rissen<br />
zeitweise ab.<br />
Aber es ging rasch wieder nach<br />
oben, warum?<br />
Geholfen hat der zeitliche Versatz<br />
des Infektionsgeschehens. Also,<br />
dass nicht alle Regionen zur selben Zeit gleich stark<br />
betroffen waren. Dass die Nachfrage in China<br />
schnell wieder angezogen hat, als wir uns noch im<br />
Lockdown befanden, hat uns natürlich geholfen.<br />
Denn die deutsche Automobilindustrie ist exportlastig.<br />
Eine Studie besagt, dass In China und den USA die<br />
Märkte <strong>2021</strong> wieder kräftig wachsen. Ist also alles<br />
wieder gut?<br />
Das sind aktuell die wichtigsten Absatzmärkte. Ich<br />
glaube aber, wir müssen künftig mehr auf andere<br />
Märkte schauen. Auch kleinere Marktregionen tragen<br />
zur Stabilität bei.<br />
Aber doch nur bedingt, oder?<br />
Wenn eine Nation wie China oder ganze Regionen<br />
wie Nordamerika ausfallen, hat das massive Auswirkungen<br />
auf unsere Wirtschaft. Wenn das Risiko<br />
stärker gestreut wird, lassen sich nationale Ein-<br />
Zur Person<br />
Stefan Reindl, Jahrgang<br />
1966, ist in der<br />
Oberpfalz geboren<br />
und seit Kindertagen<br />
an von Autos fasziniert.<br />
Seit 1997 ist er<br />
am Institut für Automobilwirtschaft<br />
(IfA)<br />
Geslingen für eine<br />
Vielzahl von Forschungsprojekten<br />
verantwortlich,<br />
2003<br />
wurde er als Professor<br />
für Automobilwirtschaft<br />
an die Hochschule<br />
für Wirtschaft<br />
und Umwelt Nürtingen-Geislingen<br />
berufen<br />
und war stellvertretender<br />
Direktor des<br />
Instituts für Automobilwirtschaft,<br />
bevor er<br />
2018 die Leitung übernahm.<br />
Seit 2008 trägt<br />
er als Studiendekan<br />
die Verantwortung für<br />
die automobil- und<br />
mobilitätswirtschaftlichen<br />
Bachelor- und<br />
Masterprogramme. Er<br />
ist zudem Mitglied im<br />
Lenkungskreis des<br />
Transformationsrats<br />
Automobilwirtschaft<br />
der baden-württembergischen<br />
Landesregierung.<br />
Reindl ist Autor<br />
zahlreicher Veröffentlichungen<br />
und berät<br />
Unternehmen.