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Logopädie, Pflanzen, Probiotika

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Wissenschaft

Wut aber gegen die eigenen Eltern, die

ihm dieses Unzulänglichkeitsgefühl quasi

eingebrannt haben. Frühe Bedürfnisse

nach Spiegelung und empathischer Zuwendung

werden reaktiviert und überfordern

ihn. Ein regressiver Prozess wird

angestoßen und befördert ihn zurück in

ein frühes ambivalentes Erleben aus Enttäuschungswut,

Insuffizienzgefühlen und

der Suche danach, von den eigenen Eltern

gesehen zu werden. Es ist ihm kaum

möglich, diese Emotionen zu benennen,

vielmehr tanzen sie auf der „Leibbühne

des Körpers“ [1]. Es ist ein Schmerz, der

über Kopf, Hüfte bis ins Herz wandert.

Diese körperlichen Symptome sind für

ihn neu, bergen sie doch viel von einem

frühen, noch vorsprachlichen Schmerz.

Die Wut kann nicht dorthin lokalisiert

werden, wo sie hingehört, weil die Bedürftigkeit,

die sich ebenfalls an die eigenen

Eltern richtet, zu dringlich ist. Freuds

These der Aggressionsumkehr als „Mord

am introjizierten Objekt“ ist denkbar,

vielleicht geht es aber auch gerade darum,

diese inneren Objekte zu schützen

und – in diesem Rettungsversuch – (lieber)

den eigenen bedürftigen Selbstanteil

anzugreifen. Verstrickter ist die Situation

noch, weil er nun das Alter erreicht, in

dem der eigene Vater an Herzversagen

plötzlich verstarb, ohne dass ungelöste

Gefühle Klärung finden und ein Trauerprozess

stattfinden konnte. Dass der

Vater ihn so zurückgelassen hat, macht

ihn unbewusst wütend und verzweifelt.

Gleichzeitig fühlt er sich durch diese Gefühle

schuldig, aus einer Ehr- und Respektsverpflichtung

diesem gegenüber;

aber auch, weil er in der vernichtend

brodelnden Wut riskiert, das so wichtige

Objekt (Vater) vollends zu verlieren. So

sehr sein Leitmotiv hieß „Ich möchte keinesfalls

werden wie mein Vater“, so blieb

er in dieser betonten Abgrenzung doch

im Grunde ganz eng mit diesem verbunden.

Es wäre (noch) zu schmerzhaft und

bedrohlich sich einzugestehen, dass er

seinem Vater gerade innerlich sehr nah

gerückt ist. Er inszeniert in seiner äußeren

Situation die ganze Dramatik dieser

Beziehung, insbesondere im Kontakt zu

seinen Söhnen. Diese bieten ihm nun,

aus Dankbarkeit und Zuneigung einem

wohl tatsächlich sehr liebevollen Vater

gegenüber, ihre finanzielle Unterstützung

an. Herr A. kann aber weder die Motive

dahinter erkennen, noch, dass diese womöglich

zum Ausdruck bringen, dass er

eben doch etwas anders gemacht hat als

sein Vater. Vielmehr erinnert er sich nun

daran, wie er wiederum seinem Vater

die Entzüge finanzierte und wie er sich

schwor, niemals so etwas von jemandem

zu verlangen. Die Suizidgedanken, als

Reparationsversuch, sind in dieser Konstellation

vielleicht eher als ein letzter

Versuch der Autonomiesicherung in der

Auseinandersetzung mit einer inneren

Beziehungsrepräsentanz zu sehen, mit

der er bis heute kämpft und in der er sich

stets als hilflos und ausgeliefert erlebt

hat. Die zunächst paradox anmutende

Befürchtung, plötzlich unvermittelt als

Folge einer Panikattacke an Herzversagen

zu versterben, wie er es häufig phantasiert,

verängstigt ihn massiv. Diese hypochondrischen

Ängste spiegeln, wie tief

die Abhängigkeit von dieser ungelösten

Beziehung ist. Ebenso zu versterben würde

unbewusst bedeuten, die Ablösung sei

endgültig missglückt. Die Suizidgedanken

sind somit paradoxerweise als Autonomiebestreben

zu verstehen, gleichwohl

dem Versuch, den eigenen Selbstwert

wiederherzustellen und eine vernichtende

narzisstische Krise aufzuhalten.

Die aktuelle Situation offenbart Herrn A.

auf eine Art, in der er sich schamhaft

ausgeliefert fühlt, sie spiegelt aber auch,

20 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 4/2021

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