Traumarbeit Psychodynamik Psychotherapieforschung GLE-Akademie
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oder unsicher durch fehlende Erfahrung, dem kann sich die<br />
Psyche als Gegenspielerin zum verantwortlichen Entschluß<br />
einstellen und als Angst die geplante Aktion blockieren.<br />
Eine anthropologische Diskussion könnte sich dann z.B. um<br />
den Stellenwert der noetischen Diskussion bemühen. Ein<br />
psychotherapeutisches Vorgehen hingegen wird als erstes<br />
die psychische Repräsentanz zu verstehen und zu integrieren<br />
versuchen. Nur in leichten Fällen und in vereinzelten<br />
Situationen mag es angehen, die psychisch wahrgenommene<br />
Realität durch alleinige Selbstdistanzierung in den Wind<br />
zu schlagen und dann einer anthropologischen Vorgabe zu<br />
folgen. Das wiederholte Handeln in diesem Sinne - mit<br />
alleiniger Selbstdistanzierung ohne Selbstannahme - käme<br />
aber auf die Dauer einer Selbstverleugnung und Feindlichkeit<br />
bzw. Abwertung des eigenen, leibhaftig empfundenen<br />
Daseins gleich. Zu Recht warnt Frankl (1982b, 151 f.) aus<br />
diesem Grunde vor der Gefahr eines einseitigen<br />
Noologismus.<br />
Es scheint uns daher für eine psychotherapeutische<br />
Haltung wesentlich, die antagonistische Sichtweise der<br />
Psyche auf indizierte Fälle und Situationen zu beschränken<br />
und die wesentliche Dynamik, die zwischen Psyche und<br />
Nous herrscht, nicht ausschließlich in der antagonistischen<br />
Sicht zu sehen, sondern mehr in einer kooperativen bzw.<br />
integrativen. In dieser Sicht läßt sich die Psyche etwa mit<br />
einer guten Mutter vergleichen, die auf das leibliche Wohl<br />
und auf die Gefahr der Überforderung bedacht nimmt und<br />
auf die Fähigkeiten und das physische und psychische<br />
Gewachsensein achtet. In der Alltagsbewältigung zeigt die<br />
Psyche auch ihren “Nous”, ihre “vernehmende Potenz”, nur<br />
ist ihr Horizont ein anderer als der des Geistes, ist binnenhaft,<br />
der Lebenserhaltung dienend. In manchen Situationen,<br />
in denen es der Person um situationsüberdauernde Werte<br />
geht (z.B. in einem Erleben, in einer schöpferischen Leistung,<br />
in einer Einstellung oder im Glauben), ist dieser<br />
einseitig auf das Wohlbefinden bedachtnehmenden Fürsorge<br />
durchaus auch mit Opposition oder Relativierung zu begegnen.<br />
Dabei soll aber doch bewußt bleiben, daß wir Menschen<br />
dieser psychischen Funktion in der Regel das Überleben<br />
verdanken.<br />
Die existentielle Bedeutung der <strong>Psychodynamik</strong><br />
Der Psyche kommt also neben der Funktion, in Form<br />
von Gefühlen und Trieben die vitale Lage abzubilden und<br />
die erfahrenen Informationen fühlend zu speichern, auch<br />
die Aufgabe zu, sich als Hüterin und Bewahrerin der Vitalität<br />
und des Überlebens “einzusetzen”. Mit welchen<br />
Mitteln kommt nun die Psyche dieser Aufgabe nach? Dies<br />
geschieht durch zwei Mechanismen: durch Beeinflussen der<br />
Aufmerksamkeit (Allertheit, wachsam machen) des Noetischen<br />
(z.B. thematische Apperzeptionen) und durch Ausbilden<br />
von autonomen Schutzreaktionen (Copings) ohne<br />
nennenswerte Beteiligung und gleichsam wie unter Umgehung<br />
des Noetischen. Die Psyche ist somit auch Korrektor<br />
(vielleicht auch “Ko-rektor”?) des Noetischen, das den<br />
Menschen vor dem von sich oder von anderen geforderten<br />
ORIGINALARBEIT<br />
Unzumutbaren bewahrt. Sie “scheut” sich sozusagen nicht,<br />
zu ihrem Schutz auch Angstreaktionen oder depressive Verstimmungen<br />
zu entwickeln. Das Psychische vermag somit<br />
eine kognitive Entscheidung hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit<br />
in ihren Modalitäten aus Gründen der Zumutbarkeit<br />
(des sich Gewachsen-Fühlens) zu korrigieren, zu ergänzen,<br />
zu verlangsamen, zu beschleunigen oder zu blockieren.<br />
Nicht nur der Freiheit, sondern auch der Verantwortung und<br />
dem Gewissen kann die Psyche entgegenhalten, daß durch<br />
die eingenommene Haltung im Einzelfall das Leben bedroht<br />
zu sein scheint oder die Lebensfreude Mangel erleidet.<br />
Was die Psyche in die menschliche Realität einbringt,<br />
ist ein einseitiges, aber hinsichtlich des vitalen, leibhaftigen<br />
Lebens bzw. Lebensgefühls legitimiertes Anliegen.<br />
Wenngleich die Psyche mitunter in die Position einer Gegenspielerin<br />
zum Noetischen kommt, erweist sie sich im<br />
Lichte einer akzeptierenden Sichtweise als Herausforderin<br />
und Mitspielerin des Noetischen, die nur im Falle einer zur<br />
noetischen Dimension divergenten Einschätzung der Lage<br />
eigens zur Stellungnahme auffordert. Dann ist das psychische<br />
Gefühl auf seine integrale, ganz-menschliche und existentielle<br />
Bedeutung hin zu prüfen und vermittels einer<br />
Stellungnahme personal zu integrieren (integrierte Emotion<br />
in der PEA).<br />
Eine solche Sichtweise der Psyche erlaubt eine angstfreie<br />
Haltung ihr gegenüber. Mit ihr kann die psychische<br />
Dimension des Menschseins ohne Beklemmung oder vorausgehender<br />
Verdächtigung als Lebenskraft gelebt werden<br />
und der Zugang zur Lebensfreude erweitert werden, wodurch<br />
das genuine Anliegen der Psyche zum Leben kommen<br />
kann. Darin sehen wir eine spezifische Aufgabe der<br />
Psychotherapie.<br />
Die Entstehung der Dynamik der Psyche<br />
Ihre Dynamik erhält das psychische Erleben aus zwei Quellen:<br />
- aus der Selbsterhaltung und<br />
- aus den existentiellen Haltungen<br />
Zum einen ist die Psyche daher Ausfluß der Verwurzeltheit<br />
des Menschen in der (physischen) Natur, zum anderen ist<br />
die Psyche Spiegel der ganz-menschlichen und somit auch<br />
geistigen Veranlagung der Person und ihres In-der-Welt-<br />
Seins. Betrachten wir diese beiden Punkte etwas genauer.<br />
Die natürliche Dynamik der Psyche ist identisch mit<br />
der selbsterhaltenden, biologischen Veranlagung des Menschen.<br />
Wie jedes Lebewesen, so ist auch der Mensch von<br />
Anfang an mit einer Art von Steuerungssystem versehen,<br />
das auf die Erhaltung des individuellen Lebens sowie auf<br />
die Erhaltung der eigenen Art ausgerichtet ist. Bei den<br />
höheren Lebewesen, die über ein Nervensystem verfügen,<br />
bildet sich diese vitale Intentionalität als lenkende, lebensfördernde<br />
und lebensentfaltende Gefühle (Lebenserhaltungstrieb<br />
und Sexualtrieb) ab oder macht sich als len-<br />
EXISTENZANALYSE 1/98 19