BS 12-2021
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EDITORIAL<br />
Hamburgs<br />
maritimesmes Herz<br />
Mehr Fortschritt wagen<br />
Kaum stand das Ergebnis der Bundestagswahl<br />
im September fest, gingen<br />
viele davon aus, dass die Grünen das<br />
Verkehrsministerium übernehmen<br />
würden. Als Symbolfigur für diverse<br />
Befürchtungen, welche Leiden auf die<br />
Wirtschaft zukommen könnten, musste<br />
Anton Hofreiter herhalten, zu jener<br />
Zeit noch Fraktionschef, aber auch<br />
bestens bekannt für sein Faible für Verkehrsthemen<br />
und, bei aller anerkannten<br />
Expertise, für seine durchaus strittige<br />
Art, sie zu deuten.<br />
Nun, der Hofreiter ist es nicht geworden.<br />
Er wird weder Verkehrs- noch<br />
Agrarminister, sondern ist – fast schon<br />
tragisch – ein Quoten-Opfer des grünen<br />
Personal- und Proporzkarussels geworden.<br />
Stattdessen, doppelte Überraschung,<br />
wird es Volker Wissing. Ein<br />
Jurist und Finanzpolitiker und in der<br />
Geschichte der Bundesrepublik der erste<br />
FDP-Politiker, der den Chefposten in<br />
diesem Ministerium übernimmt.<br />
Während einige noch rätseln, warum<br />
die Grünen dieses für ihre Klimaund<br />
Mobilitätspolitik zentrale Ressort<br />
hergegeben haben, atmen andere tief<br />
durch, gerade im Verkehrssektor. Verspricht<br />
doch die gemäß ihrer DNA<br />
wirtschaftsfreundliche und alle individuellen<br />
Freiheitsrechte liebende FDP<br />
einen deutlich moderateren Umgang<br />
mit heiklen Themen. Als Beweis dafür<br />
mag dienen, dass das von den rotgrünen<br />
Ampel-Partnern geforderte<br />
Tempo limit auf deutschen Autobahnen<br />
kurzerhand kassiert wurde.<br />
Das vermeintliche grüne Schreckgespenst<br />
gebannt – ist jetzt alles gut?<br />
Nicht unbedingt. Wissing ist ein hochkarätiger<br />
Politiker, amtierender Generalsekretär<br />
der FDP und maßgeblich<br />
beteiligt am Wahlerfolg der Freidemokraten<br />
und ihrer Regierungsbetei -<br />
ligung mit insgesamt vier Ministern.<br />
Krischan Förster<br />
Chefredakteur<br />
Und auch wenn sich Wissing in jüngerer<br />
Zeit eher in der Finanzwelt getummelt<br />
hat, ist er in Verkehrsfragen beileibe<br />
kein Novize. Schließlich war er in<br />
seinem Heimatland Rheinland-Pfalz<br />
schon mal der zuständige Ressortchef<br />
für Wirtschaft und Verkehr, sollte sich<br />
also auskennen.<br />
Ob er aber für eine echte Verkehrswende<br />
steht, die ebenso nötig wie überfällig<br />
ist und von der das System Wasserstraße<br />
unbedingt profitieren sollte,<br />
bleibt vorerst offen. Der von Wissing<br />
mitverhandelte rot-grün-gelbe Koalitionsvertrag<br />
ist zwar prall gefüllt mit<br />
Willensbekundungen, bleibt im Detail<br />
aber naturgemäß noch sehr vage.<br />
Erste Äußerungen des designierten<br />
Ministers verwirren hingegen: Noch<br />
nicht einmal im Amt, will er die Kfz-<br />
Steuer für Autohalter senken, sollte Diesel<br />
teurer werden … Will er gleichzeitig<br />
zulassen, dass die Steuerbefreiung auf<br />
den Schiffskraftstoff Diesel von der EU<br />
aufgehoben wird und sich Binnenschiffstransporte<br />
erheblich verteuern?<br />
Wird er die Bahn weiter mit Milliarden<br />
alimentieren und Mitnahmeeffekte fördern?<br />
Weiter massiv in Straßen investieren,<br />
wie seine CSU-Vorgänger?<br />
Für den FDP-Mann Wissing gilt, wie<br />
für jeden Politiker, die 100-Tage-Schonfrist.<br />
Zumal er vermutlich nach zwölf<br />
Bayern-Jahren in der Berliner Invalidenstraße<br />
»durchlüften« und den »Mia<br />
san mia«-Geist vertreiben muss. Letzlich<br />
muss sich Wissing aber an der zentralen<br />
Botschaft des Koali tionsvertrages<br />
messen lassen: »Mehr Fortschritt wagen«,<br />
heißt es da. Nicht mehr, aber auch<br />
nicht weniger wird von ihm erwartet.<br />
Viel Spaß beim Lesen wünscht<br />
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