Gesundsitzen Ausgabe 2020/2021
Das Schweizer Magazin für Ergonomie, Gesundheit und Wohlbefinden. Ausgabe 2020/2021
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Bild: Inselspital Bern<br />
Schmerzerfahrung. Wenn ein Kind beispielsweise<br />
ständig häuslicher Gewalt<br />
ausgesetzt ist, besteht später ein erhöhtes<br />
Risiko für die Entstehung einer Schmerzerkrankung.<br />
Dabei entwickeln sich die<br />
chronischen Schmerzen häufig in der<br />
Folge körperlicher Verletzungen. Sie können<br />
aber auch spontan entstehen.<br />
Bei den Action-Prone-Patienten handelt<br />
es sich um aktive Menschen, die an<br />
sich meist sehr hohe Leistungsansprüche<br />
stellen und entsprechend dazu tendieren,<br />
sich zu verausgaben. Und das auch,<br />
wenn sie z.B. verletzungsbedingt in ihrer<br />
Leistungsfähigkeit eingeschränkt und so<br />
eigentlich nicht mehr in der Lage wären,<br />
ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden.<br />
Statt das Ziel den situativen Fähigkeiten<br />
anzupassen, versuchen sie bis zur<br />
Verzweiflung, den Verletzungsschmerz<br />
zu bekämpfen und auf die Zähne zu<br />
beissen, um trotzdem ihr Ziel zu erreichen.<br />
Das führt zu vermehrtem Stress<br />
und begünstigt die Chronifizierung von<br />
Schmerz. Unabhängig von diesen Patiententypen<br />
werden allgemein Ängstlich -<br />
keit, eine erhöhte Sensibilität gegenüber<br />
Schmerz und anderen Reizen sowie<br />
eine ungenügende Therapie von akuten<br />
Schmerzen häufiger mit der Entwicklung<br />
chronischer Schmerzen in Verbindung<br />
gebracht. Eine wichtige Rolle spielt hier<br />
das aktuelle psychosoziale Umfeld. So<br />
entstehen z.B. chronische Rückenschmerzen<br />
oft im Kontext mit Problemen bei<br />
der Arbeit, in der Familie oder in einer<br />
Stresssituation. Entsprechend hoch ist<br />
auch in unserer Schmerzambulanz der<br />
Anteil der unter Depressionen und/oder<br />
Ängstlichkeit leidenden Patientinnen,<br />
er liegt zwischen 60 und 70 Prozent.<br />
Wie und mit welchen<br />
Hilfsmitteln wird<br />
eine Diagnose erstellt?<br />
Wesentliche Voraussetzung in der Diagnose<br />
ist zunächst der Ausschluss einer<br />
bedrohlichen (z.B. Tumor) oder somatisch<br />
gut und dringlich zu behandelnden<br />
Erkrankung (wie z.B. ein Bandscheibenvorfall<br />
mit Lähmungserscheinungen<br />
im Bein). In unserem Schmerzzentrum<br />
Gegen chronischen Rückenschmerz: Entzündungshemmer und Lokalanästhetikum<br />
werden in die Wirbelsäule gespritzt.<br />
besteht der wesentliche Vorteil für die<br />
Diagnose darin, dass wichtige Disziplinen<br />
mit ihren entsprechenden Diagnostikmöglichkeiten<br />
(Bildgebung, elektrophysiologische<br />
Tests) als direkte Ansprechpartner<br />
vor Ort sind und die Abklärungsschritte<br />
koordiniert erfolgen können.<br />
Darüber hinaus liefern in der Diagnostik<br />
von chronischen Schmerzpatienten<br />
Fragebögen wichtige Hinweise auf<br />
mögliche Risikofaktoren. Hinzu kommen<br />
spezielle Tests wie quantitative sensorische<br />
Messungen und ein ganz einfacher<br />
Test mittels Algopeg (Klammerschmerzmessung),<br />
um Hinweise zu prüfen, ob<br />
sich bereits ein sogenanntes Schmerzgedächtnis<br />
gebildet hat, das die eigentliche<br />
Schmerzursache überdauert. Ebenfalls<br />
eine wichtige Rolle in der Diagnostik<br />
spielen diagnostische Nervenblockaden,<br />
mit denen wir feststellen können, ob der<br />
Schmerz einer bestimmten Struktur im<br />
Körper zuzuordnen ist. Wenn dies der<br />
Fall ist, ermöglichen therapeutische Nervenblockaden<br />
z. B. mittels Hitze- oder<br />
Kälteverödung eine anhaltende Schmerzreduktion.<br />
Was können Patientinnen<br />
und Patienten selber tun?<br />
Schmerz ist ein subjektives Phänomen,<br />
das immer auch mit einer psychischen<br />
Bewertung verbunden ist. Die psychosomatische<br />
bzw. psychologische Therapie<br />
setzt häufig an der Bewertung des<br />
Schmerzes an. Erfolgreiche Konzepte<br />
kommen dabei aus der Verhaltenstherapie,<br />
die den Ansatz verfolgt, schmerzfördernde<br />
Verhaltensmuster wie z. B.<br />
Vermeidung von Aktivität schrittweise zu<br />
verändern. Einen wesentlichen Bestandteil<br />
der Behandlung bilden Schmerzedukation<br />
und Schmerzmanagement:<br />
Patientin und Patient lernen chronischen<br />
Schmerz verstehen und wie sie ihn<br />
beeinflussen können.<br />
Welchen Ansatz verfolgt<br />
das Schmerzzentrum<br />
in der Therapie?<br />
Im Vordergrund steht bei der Therapie<br />
chronischer Schmerzen immer ein<br />
integrativer multimodaler Ansatz, also<br />
ein Ansatz bestehend aus verschiedenen<br />
Elementen diverser Fachrichtungen. Dazu<br />
zählen eine spezialisierte Physiotherapie<br />
mit aktivierenden Elementen, Entspannungstechniken,<br />
Schmerzedukation,<br />
verhaltenstherapeutische Elemente aus<br />
der Psychotherapie. Und auch Schmerzmedikamente,<br />
wobei hier gilt: so wenig<br />
wie möglich bis möglichst gar nichts.<br />
Je nach Erkrankung können auch<br />
Manualtherapie und komplementäre<br />
Methoden wie Akupunktur und Hypnose<br />
hilfreich sein.<br />
In unserem Schmerzzentrum besteht<br />
die Möglichkeit, diese Therapien von<br />
verschiedenen Kliniken angeboten zu<br />
bekommen. Für die stationäre Schmerztherapie<br />
ist die Psychosomatische Medizin<br />
spezialisiert, ambulante Rehabilitationsprogramme<br />
werden von der Psychosomatik<br />
und Rheumatologie angeboten.<br />
Test und Implantation von Schmerzstimulatoren<br />
erfolgen in der Neurochirurgie<br />
und interventionelle schmerztherapeutische<br />
Verfahren werden im Wesentlichen<br />
16 Chronische Schmerzen<br />
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